Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.Nicht blos vom Wegschleppen, sondern auch vom Ruiniren erzählt uns Auf seinen gelehrten Exkursionen gerieth er mit dem Haß des Volkes Der achtzehnte Brumaire veränderte seine Lage nicht und weckte auch "Eben haben wir einen Kaiser gemacht, und ich für mein Theil habe Nicht blos vom Wegschleppen, sondern auch vom Ruiniren erzählt uns Auf seinen gelehrten Exkursionen gerieth er mit dem Haß des Volkes Der achtzehnte Brumaire veränderte seine Lage nicht und weckte auch „Eben haben wir einen Kaiser gemacht, und ich für mein Theil habe <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0436" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/287148"/> <p xml:id="ID_1108" prev="#ID_1107"> Nicht blos vom Wegschleppen, sondern auch vom Ruiniren erzählt uns<lb/> Courier, der auf das Postament eines frech verstümmelten Eros die Worte<lb/> schrieb: I^ugstk, Vensres OuxiäinesHUö I —</p><lb/> <p xml:id="ID_1109"> Auf seinen gelehrten Exkursionen gerieth er mit dem Haß des Volkes<lb/> und der Habgier der calabresischen Räuberbanden (die übrigens schon zu<lb/> jener Zeit in das Programm des Legitimismus eingefügt waren) öfter in<lb/> Conflicte und Gefahren, als in seiner militärischen Eigenschaft. Dabei sind<lb/> seine persönlichen Sympathien mehr auf Seiten des italienischen Volkes, als<lb/> der französischen Eroberer. Als die Macdonald'sche Division Rom verlassen<lb/> mußte, versäumte Courier in der Bibliothek des Vaticans die Frist der Capitula-<lb/> tion, die Stunde des Abzugs und entging darauf nur mit knapper Noth der<lb/> gegen den „Kiaeeobiin)" erregten Wuth des römischen Pöbels.</p><lb/> <p xml:id="ID_1110"> Der achtzehnte Brumaire veränderte seine Lage nicht und weckte auch<lb/> noch nicht den Politiker in ihm. Damals ließ er sich wohl nicht träumen,<lb/> daß die schönen antikisirenden Versuche, die er nach Jsokrates und anderen<lb/> Mustern verfaßte und für Uebersetzungen ausgab. nur dadurch auf die Nach¬<lb/> welt kommen sollten, daß er später in heiligem Zorn ganz andere und mäch¬<lb/> tigere Dinge schrieb. Eine starke Pointe politischen Gefühls bricht erst, aber<lb/> noch in ganz besonderer Weise, bei ihm durch, als die Komödie der Ab¬<lb/> stimmung für das Kaiserthum in der Armee durchgespielt wurde. Courier<lb/> stand gerade als endet ä'eseaäron in Piacenza und erzählt brieflich folgende<lb/> Scene, die sicherlich zu den treffendsten historischen Genrebildern gehört:</p><lb/> <p xml:id="ID_1111" next="#ID_1112"> „Eben haben wir einen Kaiser gemacht, und ich für mein Theil habe<lb/> ihm keinen Abbruch gethan. Wie es zuging. will ich Dir erzählen. Diesen<lb/> Morgen ruft uns d'Anthouard (der Oberst) zusammen und sagt uns. um was<lb/> es sich handelt, geradezu, ohne Umschweife oder Vorrede. Ein Kaiser oder<lb/> die Republik, was ist mehr nach eurem Geschmack? So wie man sagt:<lb/> Gesotten oder gebraten, Fleischbrühe oder Kohlsuppe, was befehlen Sie?<lb/> Als er mit seiner Rede zu Ende war, sahen wir uns alle stumm einander<lb/> an, wie wir so im Kreise um ihn herumsaßen. — „Meine Herrn, was meinen<lb/> Sie?" — Keine Antwort. Niemand öffnet den Mund. Das dauerte eine<lb/> Viertelstunde oder darüber und wurde eine Verlegenheit sür d'Anthouard und<lb/> für alle Anderen; da steht Maire auf, ein junger Mensch, ein Lieutenant,<lb/> dem Du schon einmal begegnet sein mußt, und.sagt: „Wenn er Kaiser sein<lb/> will, immerhin, das ist seine Sache; aber wenn ich meine Ansicht sagen soll,<lb/> ich finde es gar nicht gut." — „Erklären Sie sich" rief der Oberst; „wollen<lb/> Sie, ja oder nein?" — „Ich will nicht" antwortet Maire. — Auch gut-<lb/> Neues Stillschweigen. Man sieht wieder eine Zeit lang einander an, als<lb/> ob man sich zum ersten Male gesehen hätte. So säßen wir wohl noch, wenn<lb/> ich nicht das Wort genommen hätte. „Meine Herren" sagte ich, „mir</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0436]
Nicht blos vom Wegschleppen, sondern auch vom Ruiniren erzählt uns
Courier, der auf das Postament eines frech verstümmelten Eros die Worte
schrieb: I^ugstk, Vensres OuxiäinesHUö I —
Auf seinen gelehrten Exkursionen gerieth er mit dem Haß des Volkes
und der Habgier der calabresischen Räuberbanden (die übrigens schon zu
jener Zeit in das Programm des Legitimismus eingefügt waren) öfter in
Conflicte und Gefahren, als in seiner militärischen Eigenschaft. Dabei sind
seine persönlichen Sympathien mehr auf Seiten des italienischen Volkes, als
der französischen Eroberer. Als die Macdonald'sche Division Rom verlassen
mußte, versäumte Courier in der Bibliothek des Vaticans die Frist der Capitula-
tion, die Stunde des Abzugs und entging darauf nur mit knapper Noth der
gegen den „Kiaeeobiin)" erregten Wuth des römischen Pöbels.
Der achtzehnte Brumaire veränderte seine Lage nicht und weckte auch
noch nicht den Politiker in ihm. Damals ließ er sich wohl nicht träumen,
daß die schönen antikisirenden Versuche, die er nach Jsokrates und anderen
Mustern verfaßte und für Uebersetzungen ausgab. nur dadurch auf die Nach¬
welt kommen sollten, daß er später in heiligem Zorn ganz andere und mäch¬
tigere Dinge schrieb. Eine starke Pointe politischen Gefühls bricht erst, aber
noch in ganz besonderer Weise, bei ihm durch, als die Komödie der Ab¬
stimmung für das Kaiserthum in der Armee durchgespielt wurde. Courier
stand gerade als endet ä'eseaäron in Piacenza und erzählt brieflich folgende
Scene, die sicherlich zu den treffendsten historischen Genrebildern gehört:
„Eben haben wir einen Kaiser gemacht, und ich für mein Theil habe
ihm keinen Abbruch gethan. Wie es zuging. will ich Dir erzählen. Diesen
Morgen ruft uns d'Anthouard (der Oberst) zusammen und sagt uns. um was
es sich handelt, geradezu, ohne Umschweife oder Vorrede. Ein Kaiser oder
die Republik, was ist mehr nach eurem Geschmack? So wie man sagt:
Gesotten oder gebraten, Fleischbrühe oder Kohlsuppe, was befehlen Sie?
Als er mit seiner Rede zu Ende war, sahen wir uns alle stumm einander
an, wie wir so im Kreise um ihn herumsaßen. — „Meine Herrn, was meinen
Sie?" — Keine Antwort. Niemand öffnet den Mund. Das dauerte eine
Viertelstunde oder darüber und wurde eine Verlegenheit sür d'Anthouard und
für alle Anderen; da steht Maire auf, ein junger Mensch, ein Lieutenant,
dem Du schon einmal begegnet sein mußt, und.sagt: „Wenn er Kaiser sein
will, immerhin, das ist seine Sache; aber wenn ich meine Ansicht sagen soll,
ich finde es gar nicht gut." — „Erklären Sie sich" rief der Oberst; „wollen
Sie, ja oder nein?" — „Ich will nicht" antwortet Maire. — Auch gut-
Neues Stillschweigen. Man sieht wieder eine Zeit lang einander an, als
ob man sich zum ersten Male gesehen hätte. So säßen wir wohl noch, wenn
ich nicht das Wort genommen hätte. „Meine Herren" sagte ich, „mir
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