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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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"nicht einmal Akademiker." -- Das Kriegsleben war ihm nicht nutzlos: er
lernte aus der unmittelbaren Anschauung desselben seinen Plutarch und
Tenophon besser verstehen (ja er hat sogar nach Xenophon's Theorie der
Reitkunst, die er mit großer Sachkenntniß übersetzte, praktische Versuche
mit unbeschlagenen Pferden angestellt). Indessen hat seine Begeisterung
für Plutarch in späteren Jahren sehr abgenommen bis zu der kühlen Aeuße¬
rung, daß er über Plutarch's Biographien lachen müsse, wenn er die großen
Männer und die Helden der eigenen Gegenwart in der Nähe betrachte.

In der That, was in Courier's zahlreichen Briefen aus dem Felde am
meisten auffällt, das ist die geringe Achtung, die er für alle weltlichen Grö¬
ßen des Heeres und des Hofes hegt, neben der tiefen Verehrung, die er
jedem wirklichen Gelehrten entgegenträgt. Wie verschieden ist sein Stil, ob
er an einen selbst ihm unmittelbar vorgesetzten General, oder ob er an
Ur. Clavier oder Ur. Ackerblad schreibt; wie trotzig und ironisch dort, wie
bescheiden und liebenswürdig hier. Unter den Franzosen, die ihre Eigenschaft
als Heerdenthiere auch in der Revolution, ja in der'Revolution erst recht
bekundeten, war er so wenig disciplinirt, daß er 1793 seinen Dienst und
seine Kanonen ohne Urlaub verließ und nach Hause eilte, um die Mutter
über den Tod seines Vaters zu trösten.

Während das Kriegsministerium ihn als Deserteur verfolgte, übersetzte
^ ruhig auf einem kleinen Landsitz Cicero's Rede pro I^gario. Freunde
vermittelten die Niederschlagung seines kriegsgerichtlichen Processes, aber er
wußte wieder in die Armee eintreten und zwar mit verminderten Aussichten
^ einer obscurer Stellung. Es war gerade der Moment -- unter dem
Direktorium -- daß die Reaction der Lebemänner und der altfranzösischen
Heiterkeit gegen den finsteren Terrorismus der Conventszeit sich geltend machte.
Courier verleugnete seine 23 Jahre nicht, doch standen seine classischen Stu¬
fen stets unter seinen Genüssen obenan. Endlich (1798) ward er nach
Italien geschickt. Auch hier gerieth er in eine Reactionsepoche eigener Art.
Vonaparte's strenges Regiment, sein Plünderungs- und Erpressungssystem*)
hatten die Franzosen in Italien so verhaßt gemacht, daß die Ungunst der-
^ihm auch den ewigen Grundsätzen der großen Revolution bei den Italienern
Abbruch that. Courier's Klagen über den Zustand Italiens erinnern an
Schillers Verse:


"Was der Griechen Kunst geschaffen,
Mag der Franke mit den Waffen
Schleppen nach der Seine Strand " :c.


*) Vergl. P. Lanfrey. Histoirs as Napoleon I. (l>g.ris, Ouarpsutisr 18K7) 'roms I,
"KP, III,--VII., die einzige ganz getreue Schilderung dieses Unwesens durch einen französi-
°n Historiker.

»nicht einmal Akademiker." — Das Kriegsleben war ihm nicht nutzlos: er
lernte aus der unmittelbaren Anschauung desselben seinen Plutarch und
Tenophon besser verstehen (ja er hat sogar nach Xenophon's Theorie der
Reitkunst, die er mit großer Sachkenntniß übersetzte, praktische Versuche
mit unbeschlagenen Pferden angestellt). Indessen hat seine Begeisterung
für Plutarch in späteren Jahren sehr abgenommen bis zu der kühlen Aeuße¬
rung, daß er über Plutarch's Biographien lachen müsse, wenn er die großen
Männer und die Helden der eigenen Gegenwart in der Nähe betrachte.

In der That, was in Courier's zahlreichen Briefen aus dem Felde am
meisten auffällt, das ist die geringe Achtung, die er für alle weltlichen Grö¬
ßen des Heeres und des Hofes hegt, neben der tiefen Verehrung, die er
jedem wirklichen Gelehrten entgegenträgt. Wie verschieden ist sein Stil, ob
er an einen selbst ihm unmittelbar vorgesetzten General, oder ob er an
Ur. Clavier oder Ur. Ackerblad schreibt; wie trotzig und ironisch dort, wie
bescheiden und liebenswürdig hier. Unter den Franzosen, die ihre Eigenschaft
als Heerdenthiere auch in der Revolution, ja in der'Revolution erst recht
bekundeten, war er so wenig disciplinirt, daß er 1793 seinen Dienst und
seine Kanonen ohne Urlaub verließ und nach Hause eilte, um die Mutter
über den Tod seines Vaters zu trösten.

Während das Kriegsministerium ihn als Deserteur verfolgte, übersetzte
^ ruhig auf einem kleinen Landsitz Cicero's Rede pro I^gario. Freunde
vermittelten die Niederschlagung seines kriegsgerichtlichen Processes, aber er
wußte wieder in die Armee eintreten und zwar mit verminderten Aussichten
^ einer obscurer Stellung. Es war gerade der Moment — unter dem
Direktorium — daß die Reaction der Lebemänner und der altfranzösischen
Heiterkeit gegen den finsteren Terrorismus der Conventszeit sich geltend machte.
Courier verleugnete seine 23 Jahre nicht, doch standen seine classischen Stu¬
fen stets unter seinen Genüssen obenan. Endlich (1798) ward er nach
Italien geschickt. Auch hier gerieth er in eine Reactionsepoche eigener Art.
Vonaparte's strenges Regiment, sein Plünderungs- und Erpressungssystem*)
hatten die Franzosen in Italien so verhaßt gemacht, daß die Ungunst der-
^ihm auch den ewigen Grundsätzen der großen Revolution bei den Italienern
Abbruch that. Courier's Klagen über den Zustand Italiens erinnern an
Schillers Verse:


„Was der Griechen Kunst geschaffen,
Mag der Franke mit den Waffen
Schleppen nach der Seine Strand " :c.


*) Vergl. P. Lanfrey. Histoirs as Napoleon I. (l>g.ris, Ouarpsutisr 18K7) 'roms I,
»KP, III,—VII., die einzige ganz getreue Schilderung dieses Unwesens durch einen französi-
°n Historiker.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/435>, abgerufen am 04.07.2024.