Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

Bild:
<< vorherige Seite

liebter Gegenstand der Malerei; Karikaturen fehlten auch nicht. Andere er¬
strebten in der Kleinheit und Feinheit ihrer Miniaturgemälde den höchsten
Ruhm, ja wir finden selbst die bescheidenste aller Arten bildender Kunst, das
sogenannte Stillleben nicht unvertreten. So richtete sich die Kunst häuslich
ein in den Wohnungen der Großen und Reichen.

Mit dem Tode Alexanders zerfiel das Reich. Jahrzehnte vergingen in
blutigen Successionskämpfen, bis am Ende eine Anzahl fester Monarchien
aus dem einen Weltreiche hervorgegangen waren. Sie alle erfüllen weiter
die vorgezeichnete Mission, den ganzen Orient zu hellenisiren, natürlich nicht
ohne daß das hellenische Wesen auch viel Orientalisches in sich aufnehmen
und verarbeiten mußte. Unter allen Residenzen ragt Alexandrien hervor als
die größte und prächtigste des Alterthums, bis sie später von Rom über¬
troffen ward. Ihr folgt im Range Antiochien, die Hauptstadt des Syrer¬
reiches, dann Pergamos. Aber auch die geringeren Herrensitze suchen es die¬
sen gleich zu thun, Prusa in Bithynien, Pella in Makedonien, Ambrakia, die
epirotische Residenz des Pyrrhos, bis in den Westen hinein, wo über Allen
Syrakus hervorragt. Daneben entstanden fort und fort unzählige helleni"
stische Neugründungen, die es von Anfang an auf Pracht und Glanz an¬
legten. Unter den Freistaaten nahm bei weitem den ersten Rang Rhodos
ein, welches trefflich verstanden hatte, die kriegerischen Wirren nach dem Tode
Alexanders, die den ganzen Continent Kleinasiens verheerten, für sich zu
benutzen, sich den anderen Staaten unentbehrlich zu machen, seine Macht
und seinen Reichthum zu erhöhen, und nun an der Spitze einer weitverbrei¬
teten Hansa als unbestrittener Vorort stand. Auch im europäischen Grie¬
chenland war noch nicht alle Freiheit verschwunden, wenn auch bei den stä-
ten Befehdungen der einzelnen Stämme und Bünde unter einander für die
Pflege der geistigen Güter wenig Gunst zu erwarten war und fast nur
Sikyon darin seinem alten Ruhme nicht ganz untreu ward. Und merkwür- ^
dig, wie sich in den Freistaaten die ältere idealere Tradition der Kunst i
noch eine Zeit lang wach erhielt gegenüber dem äußeren Prunk der Kö¬
nigsstädte.

Dies zeigt sich vor Allem in der Jdealbildnerei, die ihre Darstel¬
lungen sowohl aus dem Kreise der Götter wie aus dem weiten Gebiete der
heroischen Mythologie entnahm. Die letzteren Gegenstände wurden ganz
und gar in der pathetischen Weise der euripideischen Tragödie aufgefaßt,
!Um Theil sogar direct aus derselben entlehnt. Da begegnen wir Bildern
des Greuels, wie dem Muttermorde des Orestes oder den getödteten Kin¬
dern des Thyest, Scenen des Wahnsinns, von welchem Orestes wie Atha-
Mas verfolgt werden (letzterer in einer Bronzestatue, deren Wangen, um die
Scham ob seiner Schandthat auszudrücken, geröthet waren); dem Ausdruck


liebter Gegenstand der Malerei; Karikaturen fehlten auch nicht. Andere er¬
strebten in der Kleinheit und Feinheit ihrer Miniaturgemälde den höchsten
Ruhm, ja wir finden selbst die bescheidenste aller Arten bildender Kunst, das
sogenannte Stillleben nicht unvertreten. So richtete sich die Kunst häuslich
ein in den Wohnungen der Großen und Reichen.

Mit dem Tode Alexanders zerfiel das Reich. Jahrzehnte vergingen in
blutigen Successionskämpfen, bis am Ende eine Anzahl fester Monarchien
aus dem einen Weltreiche hervorgegangen waren. Sie alle erfüllen weiter
die vorgezeichnete Mission, den ganzen Orient zu hellenisiren, natürlich nicht
ohne daß das hellenische Wesen auch viel Orientalisches in sich aufnehmen
und verarbeiten mußte. Unter allen Residenzen ragt Alexandrien hervor als
die größte und prächtigste des Alterthums, bis sie später von Rom über¬
troffen ward. Ihr folgt im Range Antiochien, die Hauptstadt des Syrer¬
reiches, dann Pergamos. Aber auch die geringeren Herrensitze suchen es die¬
sen gleich zu thun, Prusa in Bithynien, Pella in Makedonien, Ambrakia, die
epirotische Residenz des Pyrrhos, bis in den Westen hinein, wo über Allen
Syrakus hervorragt. Daneben entstanden fort und fort unzählige helleni«
stische Neugründungen, die es von Anfang an auf Pracht und Glanz an¬
legten. Unter den Freistaaten nahm bei weitem den ersten Rang Rhodos
ein, welches trefflich verstanden hatte, die kriegerischen Wirren nach dem Tode
Alexanders, die den ganzen Continent Kleinasiens verheerten, für sich zu
benutzen, sich den anderen Staaten unentbehrlich zu machen, seine Macht
und seinen Reichthum zu erhöhen, und nun an der Spitze einer weitverbrei¬
teten Hansa als unbestrittener Vorort stand. Auch im europäischen Grie¬
chenland war noch nicht alle Freiheit verschwunden, wenn auch bei den stä-
ten Befehdungen der einzelnen Stämme und Bünde unter einander für die
Pflege der geistigen Güter wenig Gunst zu erwarten war und fast nur
Sikyon darin seinem alten Ruhme nicht ganz untreu ward. Und merkwür- ^
dig, wie sich in den Freistaaten die ältere idealere Tradition der Kunst i
noch eine Zeit lang wach erhielt gegenüber dem äußeren Prunk der Kö¬
nigsstädte.

Dies zeigt sich vor Allem in der Jdealbildnerei, die ihre Darstel¬
lungen sowohl aus dem Kreise der Götter wie aus dem weiten Gebiete der
heroischen Mythologie entnahm. Die letzteren Gegenstände wurden ganz
und gar in der pathetischen Weise der euripideischen Tragödie aufgefaßt,
!Um Theil sogar direct aus derselben entlehnt. Da begegnen wir Bildern
des Greuels, wie dem Muttermorde des Orestes oder den getödteten Kin¬
dern des Thyest, Scenen des Wahnsinns, von welchem Orestes wie Atha-
Mas verfolgt werden (letzterer in einer Bronzestatue, deren Wangen, um die
Scham ob seiner Schandthat auszudrücken, geröthet waren); dem Ausdruck


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0409" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/287121"/>
          <p xml:id="ID_1043" prev="#ID_1042"> liebter Gegenstand der Malerei; Karikaturen fehlten auch nicht. Andere er¬<lb/>
strebten in der Kleinheit und Feinheit ihrer Miniaturgemälde den höchsten<lb/>
Ruhm, ja wir finden selbst die bescheidenste aller Arten bildender Kunst, das<lb/>
sogenannte Stillleben nicht unvertreten. So richtete sich die Kunst häuslich<lb/>
ein in den Wohnungen der Großen und Reichen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1044"> Mit dem Tode Alexanders zerfiel das Reich. Jahrzehnte vergingen in<lb/>
blutigen Successionskämpfen, bis am Ende eine Anzahl fester Monarchien<lb/>
aus dem einen Weltreiche hervorgegangen waren. Sie alle erfüllen weiter<lb/>
die vorgezeichnete Mission, den ganzen Orient zu hellenisiren, natürlich nicht<lb/>
ohne daß das hellenische Wesen auch viel Orientalisches in sich aufnehmen<lb/>
und verarbeiten mußte. Unter allen Residenzen ragt Alexandrien hervor als<lb/>
die größte und prächtigste des Alterthums, bis sie später von Rom über¬<lb/>
troffen ward. Ihr folgt im Range Antiochien, die Hauptstadt des Syrer¬<lb/>
reiches, dann Pergamos. Aber auch die geringeren Herrensitze suchen es die¬<lb/>
sen gleich zu thun, Prusa in Bithynien, Pella in Makedonien, Ambrakia, die<lb/>
epirotische Residenz des Pyrrhos, bis in den Westen hinein, wo über Allen<lb/>
Syrakus hervorragt. Daneben entstanden fort und fort unzählige helleni«<lb/>
stische Neugründungen, die es von Anfang an auf Pracht und Glanz an¬<lb/>
legten. Unter den Freistaaten nahm bei weitem den ersten Rang Rhodos<lb/>
ein, welches trefflich verstanden hatte, die kriegerischen Wirren nach dem Tode<lb/>
Alexanders, die den ganzen Continent Kleinasiens verheerten, für sich zu<lb/>
benutzen, sich den anderen Staaten unentbehrlich zu machen, seine Macht<lb/>
und seinen Reichthum zu erhöhen, und nun an der Spitze einer weitverbrei¬<lb/>
teten Hansa als unbestrittener Vorort stand. Auch im europäischen Grie¬<lb/>
chenland war noch nicht alle Freiheit verschwunden, wenn auch bei den stä-<lb/>
ten Befehdungen der einzelnen Stämme und Bünde unter einander für die<lb/>
Pflege der geistigen Güter wenig Gunst zu erwarten war und fast nur<lb/>
Sikyon darin seinem alten Ruhme nicht ganz untreu ward. Und merkwür- ^<lb/>
dig, wie sich in den Freistaaten die ältere idealere Tradition der Kunst i<lb/>
noch eine Zeit lang wach erhielt gegenüber dem äußeren Prunk der Kö¬<lb/>
nigsstädte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1045" next="#ID_1046"> Dies zeigt sich vor Allem in der Jdealbildnerei, die ihre Darstel¬<lb/>
lungen sowohl aus dem Kreise der Götter wie aus dem weiten Gebiete der<lb/>
heroischen Mythologie entnahm. Die letzteren Gegenstände wurden ganz<lb/>
und gar in der pathetischen Weise der euripideischen Tragödie aufgefaßt,<lb/>
!Um Theil sogar direct aus derselben entlehnt. Da begegnen wir Bildern<lb/>
des Greuels, wie dem Muttermorde des Orestes oder den getödteten Kin¬<lb/>
dern des Thyest, Scenen des Wahnsinns, von welchem Orestes wie Atha-<lb/>
Mas verfolgt werden (letzterer in einer Bronzestatue, deren Wangen, um die<lb/>
Scham ob seiner Schandthat auszudrücken, geröthet waren); dem Ausdruck</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0409] liebter Gegenstand der Malerei; Karikaturen fehlten auch nicht. Andere er¬ strebten in der Kleinheit und Feinheit ihrer Miniaturgemälde den höchsten Ruhm, ja wir finden selbst die bescheidenste aller Arten bildender Kunst, das sogenannte Stillleben nicht unvertreten. So richtete sich die Kunst häuslich ein in den Wohnungen der Großen und Reichen. Mit dem Tode Alexanders zerfiel das Reich. Jahrzehnte vergingen in blutigen Successionskämpfen, bis am Ende eine Anzahl fester Monarchien aus dem einen Weltreiche hervorgegangen waren. Sie alle erfüllen weiter die vorgezeichnete Mission, den ganzen Orient zu hellenisiren, natürlich nicht ohne daß das hellenische Wesen auch viel Orientalisches in sich aufnehmen und verarbeiten mußte. Unter allen Residenzen ragt Alexandrien hervor als die größte und prächtigste des Alterthums, bis sie später von Rom über¬ troffen ward. Ihr folgt im Range Antiochien, die Hauptstadt des Syrer¬ reiches, dann Pergamos. Aber auch die geringeren Herrensitze suchen es die¬ sen gleich zu thun, Prusa in Bithynien, Pella in Makedonien, Ambrakia, die epirotische Residenz des Pyrrhos, bis in den Westen hinein, wo über Allen Syrakus hervorragt. Daneben entstanden fort und fort unzählige helleni« stische Neugründungen, die es von Anfang an auf Pracht und Glanz an¬ legten. Unter den Freistaaten nahm bei weitem den ersten Rang Rhodos ein, welches trefflich verstanden hatte, die kriegerischen Wirren nach dem Tode Alexanders, die den ganzen Continent Kleinasiens verheerten, für sich zu benutzen, sich den anderen Staaten unentbehrlich zu machen, seine Macht und seinen Reichthum zu erhöhen, und nun an der Spitze einer weitverbrei¬ teten Hansa als unbestrittener Vorort stand. Auch im europäischen Grie¬ chenland war noch nicht alle Freiheit verschwunden, wenn auch bei den stä- ten Befehdungen der einzelnen Stämme und Bünde unter einander für die Pflege der geistigen Güter wenig Gunst zu erwarten war und fast nur Sikyon darin seinem alten Ruhme nicht ganz untreu ward. Und merkwür- ^ dig, wie sich in den Freistaaten die ältere idealere Tradition der Kunst i noch eine Zeit lang wach erhielt gegenüber dem äußeren Prunk der Kö¬ nigsstädte. Dies zeigt sich vor Allem in der Jdealbildnerei, die ihre Darstel¬ lungen sowohl aus dem Kreise der Götter wie aus dem weiten Gebiete der heroischen Mythologie entnahm. Die letzteren Gegenstände wurden ganz und gar in der pathetischen Weise der euripideischen Tragödie aufgefaßt, !Um Theil sogar direct aus derselben entlehnt. Da begegnen wir Bildern des Greuels, wie dem Muttermorde des Orestes oder den getödteten Kin¬ dern des Thyest, Scenen des Wahnsinns, von welchem Orestes wie Atha- Mas verfolgt werden (letzterer in einer Bronzestatue, deren Wangen, um die Scham ob seiner Schandthat auszudrücken, geröthet waren); dem Ausdruck

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/409
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/409>, abgerufen am 04.07.2024.