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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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Materialersparnis; durch geschickte Anordnung der einzelnen Bautheile den
Anschein eines in Wirklichkeit nicht vorhandenen Reichthums affectiren. Dem¬
gemäß bildet die Malerei in Ephesus und andern ionischen Städten Klein¬
asiens die neue in Attika begonnene Richtung aus, welche die gesteigerten
Mittel der Technik benutzt, um an Stelle der früher üblichen colorirten Zeich¬
nungen die volle Illusion mannigfaltiger Farben- und Lichtwirkungen zu setzen.
Die Sculptur. endlich sieht ihre Hauptmeister für Städte und Höfe Kleinasiens
beschäftigt. An allen Punkten der Küste begegnen wir ihnen: Praxiteles' be¬
rühmtestes Werk schmückt den Aphroditetempel in Knidos, Skopas und seine
Genossen arbeiten neben unzähligen anderen Werken den plastischen Schmuck
des Mausoleums (über dessen Ausgrabung früher in d. Bl. berichtet worden
ist). Hier zeigte sich aber recht deutlich, daß der alte ideale Sinn noch nicht
erloschen war, denn die Künstler vollendeten ihr Werk ohne Entschädigung,
blos im Interesse der Kunst selber und ihres eigenen Ruhmes. Zum Lohn
ward ihr Werk unter die sieben Weltwunder gezählt.

Consequent wird die Umformung der Kunst für Zwecke und Bedürfnisse
der Monarchie erst am makedonischer Hofe vorgenommen. Sie beginnt unter
Philipp, sie erreicht bereits eine erstaunliche Höhe unter seinem großen Sohne.
Was die welthistorische Bedeutung Alexanders ausmacht, die Verschmelzung
hellenischen und orientalischen Wesens, übt den entscheidendsten Einfluß auch
auf ti.e Kunst. Nichts ist bezeichnender als die den Hellenen fremde, echt
orientalische Anschauung von der Person des Herrschers, die den Göttern
näher steht, als den Mitmenschen. Da wird also die Kunst zur Glorificirung
der Mächtigen an den Hof gezogen; es entstehen Hofkünstler: der Hofmaler
Apelles, welcher Kleinasien vertritt, der Hofbildgießer Lysippos, dessen Heimath
Sikyon lange Zeit eine Hauptpflegestätte der Kunst gewesen war, der Hof¬
gemmenschneider Pyrgoteles. Diesen drei Künstlern allein mochte Alexander
die Aufgabe anvertrauen, sein eignes Bildniß darzustellen. Bereitwillig bietet
sich die Architektur derselben Tendenz dar. Der erfindungsreichste unter den
Baumeistern Alexanders, Deinokrates, legte dem Könige jenes Project vor, den
Ungeheuren Bergkegel des Athos, welcher unmittelbar aus dem Meere bis
ZU einer Höhe von 6350 Fuß aufsteigt, in ein Sitzbild des Herrschers umzu¬
wandeln! Nach der bestbeglaubigten Nachricht (denn die Angaben schwanken
über die Einzelheiten) sollte Alexander in der Rechten eine Schale halten; aus
^eher sollte ein Fluß sich ergießen und hinübergeleitet werden nach der linken
Hand, welche eine auf 10000 Einwohner berechnete Stadt zu tragen bestimmt
War. Das Project zeigt, welcher Abenteuerlichkeiten sich eine Künstlerphan-
tasie vermaß, um dem Herrscher zu gefallen: wir glauben uns in die Wun¬
derwelt von 1001 Nacht versetzt. Alexander war natürlich einsichtig und ge¬
schmackvoll genug, um die Ausführung dieses Planes auch nicht einmal ver-


Materialersparnis; durch geschickte Anordnung der einzelnen Bautheile den
Anschein eines in Wirklichkeit nicht vorhandenen Reichthums affectiren. Dem¬
gemäß bildet die Malerei in Ephesus und andern ionischen Städten Klein¬
asiens die neue in Attika begonnene Richtung aus, welche die gesteigerten
Mittel der Technik benutzt, um an Stelle der früher üblichen colorirten Zeich¬
nungen die volle Illusion mannigfaltiger Farben- und Lichtwirkungen zu setzen.
Die Sculptur. endlich sieht ihre Hauptmeister für Städte und Höfe Kleinasiens
beschäftigt. An allen Punkten der Küste begegnen wir ihnen: Praxiteles' be¬
rühmtestes Werk schmückt den Aphroditetempel in Knidos, Skopas und seine
Genossen arbeiten neben unzähligen anderen Werken den plastischen Schmuck
des Mausoleums (über dessen Ausgrabung früher in d. Bl. berichtet worden
ist). Hier zeigte sich aber recht deutlich, daß der alte ideale Sinn noch nicht
erloschen war, denn die Künstler vollendeten ihr Werk ohne Entschädigung,
blos im Interesse der Kunst selber und ihres eigenen Ruhmes. Zum Lohn
ward ihr Werk unter die sieben Weltwunder gezählt.

Consequent wird die Umformung der Kunst für Zwecke und Bedürfnisse
der Monarchie erst am makedonischer Hofe vorgenommen. Sie beginnt unter
Philipp, sie erreicht bereits eine erstaunliche Höhe unter seinem großen Sohne.
Was die welthistorische Bedeutung Alexanders ausmacht, die Verschmelzung
hellenischen und orientalischen Wesens, übt den entscheidendsten Einfluß auch
auf ti.e Kunst. Nichts ist bezeichnender als die den Hellenen fremde, echt
orientalische Anschauung von der Person des Herrschers, die den Göttern
näher steht, als den Mitmenschen. Da wird also die Kunst zur Glorificirung
der Mächtigen an den Hof gezogen; es entstehen Hofkünstler: der Hofmaler
Apelles, welcher Kleinasien vertritt, der Hofbildgießer Lysippos, dessen Heimath
Sikyon lange Zeit eine Hauptpflegestätte der Kunst gewesen war, der Hof¬
gemmenschneider Pyrgoteles. Diesen drei Künstlern allein mochte Alexander
die Aufgabe anvertrauen, sein eignes Bildniß darzustellen. Bereitwillig bietet
sich die Architektur derselben Tendenz dar. Der erfindungsreichste unter den
Baumeistern Alexanders, Deinokrates, legte dem Könige jenes Project vor, den
Ungeheuren Bergkegel des Athos, welcher unmittelbar aus dem Meere bis
ZU einer Höhe von 6350 Fuß aufsteigt, in ein Sitzbild des Herrschers umzu¬
wandeln! Nach der bestbeglaubigten Nachricht (denn die Angaben schwanken
über die Einzelheiten) sollte Alexander in der Rechten eine Schale halten; aus
^eher sollte ein Fluß sich ergießen und hinübergeleitet werden nach der linken
Hand, welche eine auf 10000 Einwohner berechnete Stadt zu tragen bestimmt
War. Das Project zeigt, welcher Abenteuerlichkeiten sich eine Künstlerphan-
tasie vermaß, um dem Herrscher zu gefallen: wir glauben uns in die Wun¬
derwelt von 1001 Nacht versetzt. Alexander war natürlich einsichtig und ge¬
schmackvoll genug, um die Ausführung dieses Planes auch nicht einmal ver-


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[0403] Materialersparnis; durch geschickte Anordnung der einzelnen Bautheile den Anschein eines in Wirklichkeit nicht vorhandenen Reichthums affectiren. Dem¬ gemäß bildet die Malerei in Ephesus und andern ionischen Städten Klein¬ asiens die neue in Attika begonnene Richtung aus, welche die gesteigerten Mittel der Technik benutzt, um an Stelle der früher üblichen colorirten Zeich¬ nungen die volle Illusion mannigfaltiger Farben- und Lichtwirkungen zu setzen. Die Sculptur. endlich sieht ihre Hauptmeister für Städte und Höfe Kleinasiens beschäftigt. An allen Punkten der Küste begegnen wir ihnen: Praxiteles' be¬ rühmtestes Werk schmückt den Aphroditetempel in Knidos, Skopas und seine Genossen arbeiten neben unzähligen anderen Werken den plastischen Schmuck des Mausoleums (über dessen Ausgrabung früher in d. Bl. berichtet worden ist). Hier zeigte sich aber recht deutlich, daß der alte ideale Sinn noch nicht erloschen war, denn die Künstler vollendeten ihr Werk ohne Entschädigung, blos im Interesse der Kunst selber und ihres eigenen Ruhmes. Zum Lohn ward ihr Werk unter die sieben Weltwunder gezählt. Consequent wird die Umformung der Kunst für Zwecke und Bedürfnisse der Monarchie erst am makedonischer Hofe vorgenommen. Sie beginnt unter Philipp, sie erreicht bereits eine erstaunliche Höhe unter seinem großen Sohne. Was die welthistorische Bedeutung Alexanders ausmacht, die Verschmelzung hellenischen und orientalischen Wesens, übt den entscheidendsten Einfluß auch auf ti.e Kunst. Nichts ist bezeichnender als die den Hellenen fremde, echt orientalische Anschauung von der Person des Herrschers, die den Göttern näher steht, als den Mitmenschen. Da wird also die Kunst zur Glorificirung der Mächtigen an den Hof gezogen; es entstehen Hofkünstler: der Hofmaler Apelles, welcher Kleinasien vertritt, der Hofbildgießer Lysippos, dessen Heimath Sikyon lange Zeit eine Hauptpflegestätte der Kunst gewesen war, der Hof¬ gemmenschneider Pyrgoteles. Diesen drei Künstlern allein mochte Alexander die Aufgabe anvertrauen, sein eignes Bildniß darzustellen. Bereitwillig bietet sich die Architektur derselben Tendenz dar. Der erfindungsreichste unter den Baumeistern Alexanders, Deinokrates, legte dem Könige jenes Project vor, den Ungeheuren Bergkegel des Athos, welcher unmittelbar aus dem Meere bis ZU einer Höhe von 6350 Fuß aufsteigt, in ein Sitzbild des Herrschers umzu¬ wandeln! Nach der bestbeglaubigten Nachricht (denn die Angaben schwanken über die Einzelheiten) sollte Alexander in der Rechten eine Schale halten; aus ^eher sollte ein Fluß sich ergießen und hinübergeleitet werden nach der linken Hand, welche eine auf 10000 Einwohner berechnete Stadt zu tragen bestimmt War. Das Project zeigt, welcher Abenteuerlichkeiten sich eine Künstlerphan- tasie vermaß, um dem Herrscher zu gefallen: wir glauben uns in die Wun¬ derwelt von 1001 Nacht versetzt. Alexander war natürlich einsichtig und ge¬ schmackvoll genug, um die Ausführung dieses Planes auch nicht einmal ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/403>, abgerufen am 04.07.2024.