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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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Das Ministerium war reconstruirt (2. Januar); bald darauf nahm die
Lage in Deutschland einen ernsteren Charakter an. Der Notenwechsel zwischen
Berlin und Wien im Januar und Februar, der preußische Ministerrath am
28. Februar erweckte die Hoffnung auf eine erfolgreichere Wiederaufnahme der
seit Gastein abgebrochenen Verhandlungen. Graf Bismarck nährte diese Hoff¬
nung in seinen Unterredungen mit dem italienischen Gesandten in Berlin,
Grafen Barral, welcher an die Stelle des Grafen de Launay getreten war.
Unabhängig vom Gesandten hielt es Lamarmora für zweckmäßig, auf aus¬
drücklichen'Wunsch des Grafen Bismarck, eine Persönlichkeit nach Berlin zu
schicken, die in der Kriegskunst wie in diplomatischen Geschäften erfahren, mit
den Intentionen ihrer Regierung vollständig vertraut, die Aufgabe hätte,
über alle wünschenswerthen Punkte die preußische Regierung aufzuklären und
die Verabredungen, die etwa in Berlin und Florenz durch chiffrirte Telegramme
getroffen würden, in bestimmte Form zu bringen. Es war dies der General
Govone, der mit einem (bekannten) Schreiben Lamarmoras vom 9. März
versehen am 14. März in Berlin eintraf und am selben Tage eine lange
Unterredung mit dem Grafen Bismarck in der italienischen Gesandt¬
schaft hatte.

Bald erhielt man Kunde von dem Kriegsrath, der in Wien gehalten
wurde, von der geheimen östreichischen Rundnote vom 16. März; in den
folgenden Tagen begannen die ostensiblen Rüstungen Oestreichs und zahlreiche
Truppenbewegungen nach Böhmen und Oestreichisch-Schlesien. Preußen traf
seinerseits Maßregeln, die seiner Militärorganisation entsprechend waren, und
richtete gleichzeitig, am 24. März, sein Rundschreiben an die Bundesregierun¬
gen über die Nothwendigkeit einer Bundesreform. Graf Bismarck sah nun¬
mehr den Bruch als unvermeidlich an, während auf den König noch immer
einflußreiche Friedensrathschläge einstürmten. Von Zeit zu Zeit trafen von
Govone Nachrichten über den Stand der Dinge und den Meinungsaustausch,
den er mit der preußischen Negierung hatte, in Florenz ein. Wie rasch die
Eindrücke wechselten, davon nur das eine Beispiel: am 22. März, also
zwei Tage vor dem erwähnten Rundschreiben, hatte Govone nach Florenz
berichtet,, es scheine ihm der Aufenthalt in Berlin von keinerlei Nutzen mehr
zu sein.

Während dieser andauernden Schwankungen am berliner Hof war es
der Wunsch des Grafen Bismarck, daß Italien den Kampf mit Oestreich er¬
öffne, indem er rechnete, daß durch dieses Mittel die einem Bruch mit Oest¬
reich widerstrebenden Elemente am Hof überwunden würden, da Preußen
gegen die Gefahr, die sein einziger möglicher Bundesgenosse lief, unmöglich
gleichgiltig bleiben konnte. Allein in Italien erwog man jetzt die Möglich¬
keit, daß, falls es mit dem Angriff begänne, Oestreich eben dadurch zu


Das Ministerium war reconstruirt (2. Januar); bald darauf nahm die
Lage in Deutschland einen ernsteren Charakter an. Der Notenwechsel zwischen
Berlin und Wien im Januar und Februar, der preußische Ministerrath am
28. Februar erweckte die Hoffnung auf eine erfolgreichere Wiederaufnahme der
seit Gastein abgebrochenen Verhandlungen. Graf Bismarck nährte diese Hoff¬
nung in seinen Unterredungen mit dem italienischen Gesandten in Berlin,
Grafen Barral, welcher an die Stelle des Grafen de Launay getreten war.
Unabhängig vom Gesandten hielt es Lamarmora für zweckmäßig, auf aus¬
drücklichen'Wunsch des Grafen Bismarck, eine Persönlichkeit nach Berlin zu
schicken, die in der Kriegskunst wie in diplomatischen Geschäften erfahren, mit
den Intentionen ihrer Regierung vollständig vertraut, die Aufgabe hätte,
über alle wünschenswerthen Punkte die preußische Regierung aufzuklären und
die Verabredungen, die etwa in Berlin und Florenz durch chiffrirte Telegramme
getroffen würden, in bestimmte Form zu bringen. Es war dies der General
Govone, der mit einem (bekannten) Schreiben Lamarmoras vom 9. März
versehen am 14. März in Berlin eintraf und am selben Tage eine lange
Unterredung mit dem Grafen Bismarck in der italienischen Gesandt¬
schaft hatte.

Bald erhielt man Kunde von dem Kriegsrath, der in Wien gehalten
wurde, von der geheimen östreichischen Rundnote vom 16. März; in den
folgenden Tagen begannen die ostensiblen Rüstungen Oestreichs und zahlreiche
Truppenbewegungen nach Böhmen und Oestreichisch-Schlesien. Preußen traf
seinerseits Maßregeln, die seiner Militärorganisation entsprechend waren, und
richtete gleichzeitig, am 24. März, sein Rundschreiben an die Bundesregierun¬
gen über die Nothwendigkeit einer Bundesreform. Graf Bismarck sah nun¬
mehr den Bruch als unvermeidlich an, während auf den König noch immer
einflußreiche Friedensrathschläge einstürmten. Von Zeit zu Zeit trafen von
Govone Nachrichten über den Stand der Dinge und den Meinungsaustausch,
den er mit der preußischen Negierung hatte, in Florenz ein. Wie rasch die
Eindrücke wechselten, davon nur das eine Beispiel: am 22. März, also
zwei Tage vor dem erwähnten Rundschreiben, hatte Govone nach Florenz
berichtet,, es scheine ihm der Aufenthalt in Berlin von keinerlei Nutzen mehr
zu sein.

Während dieser andauernden Schwankungen am berliner Hof war es
der Wunsch des Grafen Bismarck, daß Italien den Kampf mit Oestreich er¬
öffne, indem er rechnete, daß durch dieses Mittel die einem Bruch mit Oest¬
reich widerstrebenden Elemente am Hof überwunden würden, da Preußen
gegen die Gefahr, die sein einziger möglicher Bundesgenosse lief, unmöglich
gleichgiltig bleiben konnte. Allein in Italien erwog man jetzt die Möglich¬
keit, daß, falls es mit dem Angriff begänne, Oestreich eben dadurch zu


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[0398] Das Ministerium war reconstruirt (2. Januar); bald darauf nahm die Lage in Deutschland einen ernsteren Charakter an. Der Notenwechsel zwischen Berlin und Wien im Januar und Februar, der preußische Ministerrath am 28. Februar erweckte die Hoffnung auf eine erfolgreichere Wiederaufnahme der seit Gastein abgebrochenen Verhandlungen. Graf Bismarck nährte diese Hoff¬ nung in seinen Unterredungen mit dem italienischen Gesandten in Berlin, Grafen Barral, welcher an die Stelle des Grafen de Launay getreten war. Unabhängig vom Gesandten hielt es Lamarmora für zweckmäßig, auf aus¬ drücklichen'Wunsch des Grafen Bismarck, eine Persönlichkeit nach Berlin zu schicken, die in der Kriegskunst wie in diplomatischen Geschäften erfahren, mit den Intentionen ihrer Regierung vollständig vertraut, die Aufgabe hätte, über alle wünschenswerthen Punkte die preußische Regierung aufzuklären und die Verabredungen, die etwa in Berlin und Florenz durch chiffrirte Telegramme getroffen würden, in bestimmte Form zu bringen. Es war dies der General Govone, der mit einem (bekannten) Schreiben Lamarmoras vom 9. März versehen am 14. März in Berlin eintraf und am selben Tage eine lange Unterredung mit dem Grafen Bismarck in der italienischen Gesandt¬ schaft hatte. Bald erhielt man Kunde von dem Kriegsrath, der in Wien gehalten wurde, von der geheimen östreichischen Rundnote vom 16. März; in den folgenden Tagen begannen die ostensiblen Rüstungen Oestreichs und zahlreiche Truppenbewegungen nach Böhmen und Oestreichisch-Schlesien. Preußen traf seinerseits Maßregeln, die seiner Militärorganisation entsprechend waren, und richtete gleichzeitig, am 24. März, sein Rundschreiben an die Bundesregierun¬ gen über die Nothwendigkeit einer Bundesreform. Graf Bismarck sah nun¬ mehr den Bruch als unvermeidlich an, während auf den König noch immer einflußreiche Friedensrathschläge einstürmten. Von Zeit zu Zeit trafen von Govone Nachrichten über den Stand der Dinge und den Meinungsaustausch, den er mit der preußischen Negierung hatte, in Florenz ein. Wie rasch die Eindrücke wechselten, davon nur das eine Beispiel: am 22. März, also zwei Tage vor dem erwähnten Rundschreiben, hatte Govone nach Florenz berichtet,, es scheine ihm der Aufenthalt in Berlin von keinerlei Nutzen mehr zu sein. Während dieser andauernden Schwankungen am berliner Hof war es der Wunsch des Grafen Bismarck, daß Italien den Kampf mit Oestreich er¬ öffne, indem er rechnete, daß durch dieses Mittel die einem Bruch mit Oest¬ reich widerstrebenden Elemente am Hof überwunden würden, da Preußen gegen die Gefahr, die sein einziger möglicher Bundesgenosse lief, unmöglich gleichgiltig bleiben konnte. Allein in Italien erwog man jetzt die Möglich¬ keit, daß, falls es mit dem Angriff begänne, Oestreich eben dadurch zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/398>, abgerufen am 04.07.2024.