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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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dessen Amtsführung durch zwei große Thatsachen bezeichnet ist: die Ver¬
legung der Hauptstadt nach Florenz im Zusammenhang mit der Räumung
Roms durch die Franzosen, und die Befreiung Venetiens durch die preußi¬
sche Allianz. Jacini, obwohl Minister der öffentlichen Arbeiten, scheint, da
Lamarmora neben dem auswärtigen Ministerium zugleich durch das des
Kriegs in Anspruch genommen war. an den diplomatischen Verhandlungen
thätigen Antheil genommen zu haben. Die Schrift rührt von einem un¬
mittelbar Betheiligten, und schon das würde ihr ein hervorragendes Interesse
verleihen, selbst wenn sie eine einseitige Parteischrift wäre, was sie nicht ist.
Man hat sie zuweilen in eine Reihe mit den empfindlichen Kundgebungen
Lamarmora's gestellt, aber mit Unrecht. Jacini spricht allerdings als Freund
Lamarmora's, dem er das höchste Lob spendet, aber er behandelt ausschlie߬
lich die diplomatische Action, nicht die militärische. Es spricht der Minister,
der Rechenschaft ablegt von der Amtsführung dieser zwei entscheidenden Jahre,
aber er thut es ohne zu beschönigen, mit scharfer Kritik der inneren Ge¬
brechen des unfertigen Staats. Es spricht der Italiener, doch ohne die
Eifersucht und Einseitigkeit seines College", und es spricht vor Allem der
Politiker, der ohne vorgefaßte Sympathien Zweck und Mittel ruhig abwägt
und die Motive, welche die italienische Regierung geleitet haben, offen und
leidenschaftslos darlegt. Daß eine preußische Darstellung manches anders
nuanciren würde, und daß der Verfasser am rechten Ort auch zu schweigen
weiß, versteht sich von selbst.

Einzelnes aus der Schrift Jacini's ist bisher bekannt geworden. Seine
Erzählung der preußisch-italienischen Verhandlungen verdient aber im Zusam¬
menhang wiedergegeben zu werden. Erst so gewinnt man einen Blick in die
eigenthümlichen Schwierigkeiten, auf welche die Verhandlungen fortwährend
stießen und auf die eigentlichen Gründe der italienischen Empfindlichkeit.
Gerne wird man auch in das Schlußurtheil Jacini's einstimmen: "Sowohl
Preußen als Italien haben ihre Verbindlichkeiten loyal erfüllt" und es nur
um so mehr bedauern, daß die militärische Action auf Seiten Italiens --
aus welchen Gründen immer -- nicht auf der gleichen Höhe stand mit der
diplomatischen.




I.

Italien befand sich im Jahre 1865 in einer Lage, welche die Lösung der
venetianischen Frage zu einer Nothwendigkeit seiner inneren Politik machte
zu diesem Ergebniß gelangt Jacini, nachdem er in der ersten Hälfte seiner
Schrift die Verhältnisse Italiens seit dem Abschlüsse des Septembervertrags
ausführlich dargelegt. Die allgemeinen Wahlen von 1865 waren das Symptom


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dessen Amtsführung durch zwei große Thatsachen bezeichnet ist: die Ver¬
legung der Hauptstadt nach Florenz im Zusammenhang mit der Räumung
Roms durch die Franzosen, und die Befreiung Venetiens durch die preußi¬
sche Allianz. Jacini, obwohl Minister der öffentlichen Arbeiten, scheint, da
Lamarmora neben dem auswärtigen Ministerium zugleich durch das des
Kriegs in Anspruch genommen war. an den diplomatischen Verhandlungen
thätigen Antheil genommen zu haben. Die Schrift rührt von einem un¬
mittelbar Betheiligten, und schon das würde ihr ein hervorragendes Interesse
verleihen, selbst wenn sie eine einseitige Parteischrift wäre, was sie nicht ist.
Man hat sie zuweilen in eine Reihe mit den empfindlichen Kundgebungen
Lamarmora's gestellt, aber mit Unrecht. Jacini spricht allerdings als Freund
Lamarmora's, dem er das höchste Lob spendet, aber er behandelt ausschlie߬
lich die diplomatische Action, nicht die militärische. Es spricht der Minister,
der Rechenschaft ablegt von der Amtsführung dieser zwei entscheidenden Jahre,
aber er thut es ohne zu beschönigen, mit scharfer Kritik der inneren Ge¬
brechen des unfertigen Staats. Es spricht der Italiener, doch ohne die
Eifersucht und Einseitigkeit seines College», und es spricht vor Allem der
Politiker, der ohne vorgefaßte Sympathien Zweck und Mittel ruhig abwägt
und die Motive, welche die italienische Regierung geleitet haben, offen und
leidenschaftslos darlegt. Daß eine preußische Darstellung manches anders
nuanciren würde, und daß der Verfasser am rechten Ort auch zu schweigen
weiß, versteht sich von selbst.

Einzelnes aus der Schrift Jacini's ist bisher bekannt geworden. Seine
Erzählung der preußisch-italienischen Verhandlungen verdient aber im Zusam¬
menhang wiedergegeben zu werden. Erst so gewinnt man einen Blick in die
eigenthümlichen Schwierigkeiten, auf welche die Verhandlungen fortwährend
stießen und auf die eigentlichen Gründe der italienischen Empfindlichkeit.
Gerne wird man auch in das Schlußurtheil Jacini's einstimmen: „Sowohl
Preußen als Italien haben ihre Verbindlichkeiten loyal erfüllt" und es nur
um so mehr bedauern, daß die militärische Action auf Seiten Italiens —
aus welchen Gründen immer — nicht auf der gleichen Höhe stand mit der
diplomatischen.




I.

Italien befand sich im Jahre 1865 in einer Lage, welche die Lösung der
venetianischen Frage zu einer Nothwendigkeit seiner inneren Politik machte
zu diesem Ergebniß gelangt Jacini, nachdem er in der ersten Hälfte seiner
Schrift die Verhältnisse Italiens seit dem Abschlüsse des Septembervertrags
ausführlich dargelegt. Die allgemeinen Wahlen von 1865 waren das Symptom


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[0391] dessen Amtsführung durch zwei große Thatsachen bezeichnet ist: die Ver¬ legung der Hauptstadt nach Florenz im Zusammenhang mit der Räumung Roms durch die Franzosen, und die Befreiung Venetiens durch die preußi¬ sche Allianz. Jacini, obwohl Minister der öffentlichen Arbeiten, scheint, da Lamarmora neben dem auswärtigen Ministerium zugleich durch das des Kriegs in Anspruch genommen war. an den diplomatischen Verhandlungen thätigen Antheil genommen zu haben. Die Schrift rührt von einem un¬ mittelbar Betheiligten, und schon das würde ihr ein hervorragendes Interesse verleihen, selbst wenn sie eine einseitige Parteischrift wäre, was sie nicht ist. Man hat sie zuweilen in eine Reihe mit den empfindlichen Kundgebungen Lamarmora's gestellt, aber mit Unrecht. Jacini spricht allerdings als Freund Lamarmora's, dem er das höchste Lob spendet, aber er behandelt ausschlie߬ lich die diplomatische Action, nicht die militärische. Es spricht der Minister, der Rechenschaft ablegt von der Amtsführung dieser zwei entscheidenden Jahre, aber er thut es ohne zu beschönigen, mit scharfer Kritik der inneren Ge¬ brechen des unfertigen Staats. Es spricht der Italiener, doch ohne die Eifersucht und Einseitigkeit seines College», und es spricht vor Allem der Politiker, der ohne vorgefaßte Sympathien Zweck und Mittel ruhig abwägt und die Motive, welche die italienische Regierung geleitet haben, offen und leidenschaftslos darlegt. Daß eine preußische Darstellung manches anders nuanciren würde, und daß der Verfasser am rechten Ort auch zu schweigen weiß, versteht sich von selbst. Einzelnes aus der Schrift Jacini's ist bisher bekannt geworden. Seine Erzählung der preußisch-italienischen Verhandlungen verdient aber im Zusam¬ menhang wiedergegeben zu werden. Erst so gewinnt man einen Blick in die eigenthümlichen Schwierigkeiten, auf welche die Verhandlungen fortwährend stießen und auf die eigentlichen Gründe der italienischen Empfindlichkeit. Gerne wird man auch in das Schlußurtheil Jacini's einstimmen: „Sowohl Preußen als Italien haben ihre Verbindlichkeiten loyal erfüllt" und es nur um so mehr bedauern, daß die militärische Action auf Seiten Italiens — aus welchen Gründen immer — nicht auf der gleichen Höhe stand mit der diplomatischen. I. Italien befand sich im Jahre 1865 in einer Lage, welche die Lösung der venetianischen Frage zu einer Nothwendigkeit seiner inneren Politik machte zu diesem Ergebniß gelangt Jacini, nachdem er in der ersten Hälfte seiner Schrift die Verhältnisse Italiens seit dem Abschlüsse des Septembervertrags ausführlich dargelegt. Die allgemeinen Wahlen von 1865 waren das Symptom 46"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/391>, abgerufen am 04.07.2024.