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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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Häupten, daß das Verhältniß der beiden Staaten zu einander seit Jahren
nicht so befriedigend gewesen ist, als im gegenwärtigen Zeitpunkt. Im Osten
fürchtet, im Westen hofft man, die orientalische Frage sei der Punkt gewe¬
sen, an welchem die beiden langjährigen Gegner sich zuerst freundlich begeg¬
net sind, und die Kreuzzeitung hat bekanntlich dieser Annahme Vorschub ge¬
leistet, indem sie ihre Verwunderung darüber aussprach, wie eine östreichisch¬
preußische Verständigung über die Dinge an der Donau und am Bosporus,
in Paris Mißtrauen erregen könne. Diese Notiz, welche in der übrigen
Welt ziemlich rasch wieder vergessen worden ist, hat in Rußland eine gewisse
Rolle gespielt. Die lebhafte Phantasie moskowischer Journalisten, die die
russische "Unterstützung" des in Preußen verkörperten "pangermanischen" Ehr¬
geizes schon lange ungern gesehen haben, träumt bereits von einer französisch¬
russischen Alliance und glaubt das Gerücht von Verbesserungen der Bezieh¬
ungen zwischen Wien und Berlin als Antwort auf die Wünsche für eine
holländisch-belgische Alliance ansehen zu müssen, mit denen die pariser Pr'esse
sich allen Desaveus zum Trotz noch immer trägt. -- Wir sind zu gewohnt, daß
der französische Herrscher als beständig brütender Planmacher angesehen werde,
als daß uns Wundernehmen kann, wenn die immer wiederkehrenden Gerüchte
von Verhandlungen zwischen den Höfen von Paris, Brüssel und Lasten das
Mißtrauen der Presse wach erhalten, zumal die Ostentation, mit welcher
französischerseits der Beginn eines ewigen Friedens ausposaunt wird, eine
ziemlich auffallende ist, und die französische Diplomatie sich im Uebrigen völlig
still hält.

Den inneren Zuständen Frankreichs hat die kaiserliche Regierung dieses
Mal selbst und in aller Form das Zeugniß ausgestellt, daß sie für die An¬
hänger des Empire wenig befriedigend seien. Trotz der zahlreichen Gründe,
welche Herr Rouher zu Gunsten einer baldmöglichsten Ausschreibung der
Neuwahlen für das Lvrps l^islatik anführte, hat der Kaiser sich dafür ent¬
schieden, dieselben auf das nächste Jahr hinauszuschieben, eine Entscheidung
die wahrscheinlich nur in den Kreisen der dem Staatsminister feindlichen
Kriegspartei besonderes Glück machen wird. Vom Regierungsstandpunkt
erscheint allerdings begreiflich, daß man den gegenwärtigen Zeitpunkt für
wenig geeignet zu erfolgreicher Vornahme des Wahlgeschäfts hält, es ist
aber mehr als fraglich, ob die Zukunft irgend welche Bürgschaften für eine
Besserung der Stimmung bieten wird. Gerade der letzte Monat hat -- wenn
wir von der reichlichen Deckung der neuen "Friedens"-Anleihe absehen -- dem
Kaiserthum fast ausschließlich peinliche Erfahrungen eingebracht. Beim Schluß
der Session gelobten die sonst so zerfahrenen Oppositionsmänner noch einmal
festes Zusammenstehen im Kampf gegen das ^ouveineineut xersormel --
ein Gelöbniß das gerade während des temxus elausum auf sichere Erfüllung


Häupten, daß das Verhältniß der beiden Staaten zu einander seit Jahren
nicht so befriedigend gewesen ist, als im gegenwärtigen Zeitpunkt. Im Osten
fürchtet, im Westen hofft man, die orientalische Frage sei der Punkt gewe¬
sen, an welchem die beiden langjährigen Gegner sich zuerst freundlich begeg¬
net sind, und die Kreuzzeitung hat bekanntlich dieser Annahme Vorschub ge¬
leistet, indem sie ihre Verwunderung darüber aussprach, wie eine östreichisch¬
preußische Verständigung über die Dinge an der Donau und am Bosporus,
in Paris Mißtrauen erregen könne. Diese Notiz, welche in der übrigen
Welt ziemlich rasch wieder vergessen worden ist, hat in Rußland eine gewisse
Rolle gespielt. Die lebhafte Phantasie moskowischer Journalisten, die die
russische „Unterstützung" des in Preußen verkörperten „pangermanischen" Ehr¬
geizes schon lange ungern gesehen haben, träumt bereits von einer französisch¬
russischen Alliance und glaubt das Gerücht von Verbesserungen der Bezieh¬
ungen zwischen Wien und Berlin als Antwort auf die Wünsche für eine
holländisch-belgische Alliance ansehen zu müssen, mit denen die pariser Pr'esse
sich allen Desaveus zum Trotz noch immer trägt. — Wir sind zu gewohnt, daß
der französische Herrscher als beständig brütender Planmacher angesehen werde,
als daß uns Wundernehmen kann, wenn die immer wiederkehrenden Gerüchte
von Verhandlungen zwischen den Höfen von Paris, Brüssel und Lasten das
Mißtrauen der Presse wach erhalten, zumal die Ostentation, mit welcher
französischerseits der Beginn eines ewigen Friedens ausposaunt wird, eine
ziemlich auffallende ist, und die französische Diplomatie sich im Uebrigen völlig
still hält.

Den inneren Zuständen Frankreichs hat die kaiserliche Regierung dieses
Mal selbst und in aller Form das Zeugniß ausgestellt, daß sie für die An¬
hänger des Empire wenig befriedigend seien. Trotz der zahlreichen Gründe,
welche Herr Rouher zu Gunsten einer baldmöglichsten Ausschreibung der
Neuwahlen für das Lvrps l^islatik anführte, hat der Kaiser sich dafür ent¬
schieden, dieselben auf das nächste Jahr hinauszuschieben, eine Entscheidung
die wahrscheinlich nur in den Kreisen der dem Staatsminister feindlichen
Kriegspartei besonderes Glück machen wird. Vom Regierungsstandpunkt
erscheint allerdings begreiflich, daß man den gegenwärtigen Zeitpunkt für
wenig geeignet zu erfolgreicher Vornahme des Wahlgeschäfts hält, es ist
aber mehr als fraglich, ob die Zukunft irgend welche Bürgschaften für eine
Besserung der Stimmung bieten wird. Gerade der letzte Monat hat — wenn
wir von der reichlichen Deckung der neuen „Friedens"-Anleihe absehen — dem
Kaiserthum fast ausschließlich peinliche Erfahrungen eingebracht. Beim Schluß
der Session gelobten die sonst so zerfahrenen Oppositionsmänner noch einmal
festes Zusammenstehen im Kampf gegen das ^ouveineineut xersormel —
ein Gelöbniß das gerade während des temxus elausum auf sichere Erfüllung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/378>, abgerufen am 04.07.2024.