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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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Statthaltern die gewünschte Gelegenheit, sich als Organe des liberalen
Ministeriums vorzustellen und die Vertrauensvoten entgegen zu nehmen
welche die bisherige Thätigkeit des Cabinets Giskra-Auersperg sich erworben.
In diesen Ländern (vielleicht Tyrol ausgenommen) hat die Zurückhaltung
der Klerikalen wenig zu bedeuten, denn diese repräsentiren lediglich sich selbst,
während der Kern der Bevölkerung unzweifelhaft auf dem Boden der Verfas¬
sung und der neugeschaffenen Zustände steht. Anders in Böhmen und Mäh-
ren, wo die Agitation der letzten Monate nicht vergeblich thätig gewesen ist, da
hinter den czechischen Stimmführern eine compacte Masse und die Sympathie
aller übrigen slavischen Stämme steht. In Prag ist der Eröffnung des Land-
tags ein lebhafter Conflict zwischen den einzelnen Fractionen des Czechen-
thums vorhergegangen. Hinter den alten nationalen Führern Palaczky und
Rieger steht nach dem Gesetz des "sich Ueberbietenwollens" bereits eine vor¬
geschrittene jungczechische Partei, deren Helden Sladkowsky und Gregr auf
den historischen Standpunkt des böhmischen Landeshistoriographen und dessen
Eonnivenz gegen den Particularismus der Feudalen verächtlich herabsehen und
liebsten mit ihrem russisch-panslavistischen Programm direct hervortreten
Würden. Nur mit Mühe sind diese zur Annahme des Rieger'schen Protest-
entwurfs vermocht worden, welcher die Theilnahme an den Landtagsverhand-
lungen auf Grund des Patents vom 8. April 1848 ablehnt. Zu einer
förmlichen Mandatsniederlegung scheint man sich einstweilen noch nicht ent¬
schlossen zu haben. Der Taktik der böhmischen Nationalpartei haben sich auch
die Klerikalen angeschlossen, obgleich das Verhältniß zu diesen durch die
hussitischen Demonstrationen des vorigen Monats und den Gegensatz zwischen
Katholicismus und russischem Panslavismus viel von seiner früheren Innig¬
keit verloren hat und die Heißsporne der russischen Alliance von der com-
promittirenden Gevatterschaft mit Feudalen und Klerikalen schon den neuen
Petersburger Freunden zu Liebe grundsätzlich Nichts wissen wollen. In
Lemberg hat der Landtag seine Thätigkeit mit der Niedersetzung einer Com¬
mission zur Prüfung der vom Reichsrath erlassenen Gesetze begonnen.
Und diesem dadurch von vorn herein ein Mißtrauensvotum gegeben. An dem
Süden Willen der Klerikalen und der westslavischen Elemente wird es nicht
^egen. dieses Verfahren in den übrigen Provinztalversammlungen keine
Nachfolge findet. Sind die Provinziallandtage doch in Oestreich ebenso als
Tummelplätze arti-constitutioneller Gelüste bekannt, wie in Preußen und hat
b°es schon der Zusammentritt derselben in gewissen wiener Kreisen lebhafte
Besorgnisse hervorgerufen.

Oestreichs Stellung nach Außen ist in den letzten Monaten unverändert
^eselve geblieben. Sind die Gerüchte von einer Annäherung an Preußen
auch von den verschiedensten Seiten dementirt worden, so läßt sich doch be"


Statthaltern die gewünschte Gelegenheit, sich als Organe des liberalen
Ministeriums vorzustellen und die Vertrauensvoten entgegen zu nehmen
welche die bisherige Thätigkeit des Cabinets Giskra-Auersperg sich erworben.
In diesen Ländern (vielleicht Tyrol ausgenommen) hat die Zurückhaltung
der Klerikalen wenig zu bedeuten, denn diese repräsentiren lediglich sich selbst,
während der Kern der Bevölkerung unzweifelhaft auf dem Boden der Verfas¬
sung und der neugeschaffenen Zustände steht. Anders in Böhmen und Mäh-
ren, wo die Agitation der letzten Monate nicht vergeblich thätig gewesen ist, da
hinter den czechischen Stimmführern eine compacte Masse und die Sympathie
aller übrigen slavischen Stämme steht. In Prag ist der Eröffnung des Land-
tags ein lebhafter Conflict zwischen den einzelnen Fractionen des Czechen-
thums vorhergegangen. Hinter den alten nationalen Führern Palaczky und
Rieger steht nach dem Gesetz des „sich Ueberbietenwollens" bereits eine vor¬
geschrittene jungczechische Partei, deren Helden Sladkowsky und Gregr auf
den historischen Standpunkt des böhmischen Landeshistoriographen und dessen
Eonnivenz gegen den Particularismus der Feudalen verächtlich herabsehen und
liebsten mit ihrem russisch-panslavistischen Programm direct hervortreten
Würden. Nur mit Mühe sind diese zur Annahme des Rieger'schen Protest-
entwurfs vermocht worden, welcher die Theilnahme an den Landtagsverhand-
lungen auf Grund des Patents vom 8. April 1848 ablehnt. Zu einer
förmlichen Mandatsniederlegung scheint man sich einstweilen noch nicht ent¬
schlossen zu haben. Der Taktik der böhmischen Nationalpartei haben sich auch
die Klerikalen angeschlossen, obgleich das Verhältniß zu diesen durch die
hussitischen Demonstrationen des vorigen Monats und den Gegensatz zwischen
Katholicismus und russischem Panslavismus viel von seiner früheren Innig¬
keit verloren hat und die Heißsporne der russischen Alliance von der com-
promittirenden Gevatterschaft mit Feudalen und Klerikalen schon den neuen
Petersburger Freunden zu Liebe grundsätzlich Nichts wissen wollen. In
Lemberg hat der Landtag seine Thätigkeit mit der Niedersetzung einer Com¬
mission zur Prüfung der vom Reichsrath erlassenen Gesetze begonnen.
Und diesem dadurch von vorn herein ein Mißtrauensvotum gegeben. An dem
Süden Willen der Klerikalen und der westslavischen Elemente wird es nicht
^egen. dieses Verfahren in den übrigen Provinztalversammlungen keine
Nachfolge findet. Sind die Provinziallandtage doch in Oestreich ebenso als
Tummelplätze arti-constitutioneller Gelüste bekannt, wie in Preußen und hat
b°es schon der Zusammentritt derselben in gewissen wiener Kreisen lebhafte
Besorgnisse hervorgerufen.

Oestreichs Stellung nach Außen ist in den letzten Monaten unverändert
^eselve geblieben. Sind die Gerüchte von einer Annäherung an Preußen
auch von den verschiedensten Seiten dementirt worden, so läßt sich doch be»


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[0377] Statthaltern die gewünschte Gelegenheit, sich als Organe des liberalen Ministeriums vorzustellen und die Vertrauensvoten entgegen zu nehmen welche die bisherige Thätigkeit des Cabinets Giskra-Auersperg sich erworben. In diesen Ländern (vielleicht Tyrol ausgenommen) hat die Zurückhaltung der Klerikalen wenig zu bedeuten, denn diese repräsentiren lediglich sich selbst, während der Kern der Bevölkerung unzweifelhaft auf dem Boden der Verfas¬ sung und der neugeschaffenen Zustände steht. Anders in Böhmen und Mäh- ren, wo die Agitation der letzten Monate nicht vergeblich thätig gewesen ist, da hinter den czechischen Stimmführern eine compacte Masse und die Sympathie aller übrigen slavischen Stämme steht. In Prag ist der Eröffnung des Land- tags ein lebhafter Conflict zwischen den einzelnen Fractionen des Czechen- thums vorhergegangen. Hinter den alten nationalen Führern Palaczky und Rieger steht nach dem Gesetz des „sich Ueberbietenwollens" bereits eine vor¬ geschrittene jungczechische Partei, deren Helden Sladkowsky und Gregr auf den historischen Standpunkt des böhmischen Landeshistoriographen und dessen Eonnivenz gegen den Particularismus der Feudalen verächtlich herabsehen und liebsten mit ihrem russisch-panslavistischen Programm direct hervortreten Würden. Nur mit Mühe sind diese zur Annahme des Rieger'schen Protest- entwurfs vermocht worden, welcher die Theilnahme an den Landtagsverhand- lungen auf Grund des Patents vom 8. April 1848 ablehnt. Zu einer förmlichen Mandatsniederlegung scheint man sich einstweilen noch nicht ent¬ schlossen zu haben. Der Taktik der böhmischen Nationalpartei haben sich auch die Klerikalen angeschlossen, obgleich das Verhältniß zu diesen durch die hussitischen Demonstrationen des vorigen Monats und den Gegensatz zwischen Katholicismus und russischem Panslavismus viel von seiner früheren Innig¬ keit verloren hat und die Heißsporne der russischen Alliance von der com- promittirenden Gevatterschaft mit Feudalen und Klerikalen schon den neuen Petersburger Freunden zu Liebe grundsätzlich Nichts wissen wollen. In Lemberg hat der Landtag seine Thätigkeit mit der Niedersetzung einer Com¬ mission zur Prüfung der vom Reichsrath erlassenen Gesetze begonnen. Und diesem dadurch von vorn herein ein Mißtrauensvotum gegeben. An dem Süden Willen der Klerikalen und der westslavischen Elemente wird es nicht ^egen. dieses Verfahren in den übrigen Provinztalversammlungen keine Nachfolge findet. Sind die Provinziallandtage doch in Oestreich ebenso als Tummelplätze arti-constitutioneller Gelüste bekannt, wie in Preußen und hat b°es schon der Zusammentritt derselben in gewissen wiener Kreisen lebhafte Besorgnisse hervorgerufen. Oestreichs Stellung nach Außen ist in den letzten Monaten unverändert ^eselve geblieben. Sind die Gerüchte von einer Annäherung an Preußen auch von den verschiedensten Seiten dementirt worden, so läßt sich doch be»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/377>, abgerufen am 04.07.2024.