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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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desgenosse. Hat das im abgelaufenen Monate gefeierte wiener Schützenfest
doch in evidentster Weise bewiesen, daß die verschiedenen großdeutschen und
radicalen Fractionen nicht einmal im Stande sind, von den Mißgriffen
ihrer Gegner Vortheil zu ziehen und auch nur auf dem Papier ein Programm
herzustellen, das eine gemeinsame Action der Feinde Preußens ermöglichte.
Diese Feinde haben vielmehr direct und ausdrücklich anerkannt, daß die Her¬
stellung eines Südbundes ebenso unmöglich ist, wie ein Anschluß der außer¬
halb des norddeutschen Bundes stehenden deutschen Länder an Oestreich, und
die entschiedene Stellung, welche Ungarn zu der großdeutschen Auffassung der
Aufgabe Oestreichs eingenommen, macht ein Bündniß zwischen den Rachedur¬
stigen an der Donau und am Nesenbach noch für längere Zeit unmöglich.
Mit einer Hartnäckigkeit, wie sie nur bei deutschen Doctrinären möglich ist,
sind die legitimistischen und radicalen Parteien immer wieder darauf zurück¬
gekommen, die Wiederherstellung des gesammten Zustandes von 1866 und die
Gleichberechtigung und Selbstbestimmung aller einzelnen Stämme so bedin¬
gungslos zu verlangen, daß sich selbst die großdeutschen Oestreicher und die
Zurechnungsfähigen unter den Stimmführern der süddeutschen Volkspartei
achselzuckend abgewandt haben -- nur zwischen einer vollständigen tadulg,
rasg. und dem preußischen Programm haben diejenigen überhaupt noch zu
wählen, welche nicht eine Verewigung des gegenwärtigen Zustandes wollen.

Für die Annahme, daß Oestreich es mit seiner Weigerung, an die Spitze
einer großdeutschen Partei zu treten, ernstlich meine, sprechen noch sehr viel
gewichtigere Gründe, als die welche man aus der Beust'schen Schützenfest-Rede
hergeholt hat. Einmal liegt die Werthlosigkeit einer Freese-Trabert'schen
Bundesgenossenschaft auf der flachen Hand, und zweitens fallen die Rücksich¬
ten auf Ungarn immer schwerer ins Gewicht. Wohl ist die Regierung aus
dem Kampf um das ungarische Wehrgesetz als Siegerin hervorgegangen
(kaum ein Drittel der Glieder des Pesther Landtags hat sich für die extremen
Forderungen Ghiezy-Tisza's ausgesprochen); aber das Verhältniß zwischen den
beiden Hälften des östreichischen Doppelstaats ist nach wie vor ein gespanntes
geblieben. Die cisleithanischen Provinzen können nicht vergessen, daß die
Unkosten des Ausgleichs von 1867 fast ausschließlich von ihnen und ihrem
Steuersäckel getragen worden sind, und die Magyaren nehmen immer noch die
Miene an, als seien sie es. welche Opfer gebracht und auf billige Förde-
rungen verzichtet hätten. Die Sprache ihrer Presse ist eine unaufhörliche
Provocation gegen das Selbstgefühl der Deutsch-Oestreicher, welche sich be¬
wußt sind, durch ein halbes Jahrtausend die eigentlichen Träger der östrei¬
chischen Monarchie gewesen zu sein, und die sich mit Recht dawider auflehnen,
ihre paritätische Stellung in eine secundäre herabgedrückt zu sehen. Der ungari¬
sche Radicalismus läßt wiederum keine Gelegenheit unbenutzt, welche dazu aus-


desgenosse. Hat das im abgelaufenen Monate gefeierte wiener Schützenfest
doch in evidentster Weise bewiesen, daß die verschiedenen großdeutschen und
radicalen Fractionen nicht einmal im Stande sind, von den Mißgriffen
ihrer Gegner Vortheil zu ziehen und auch nur auf dem Papier ein Programm
herzustellen, das eine gemeinsame Action der Feinde Preußens ermöglichte.
Diese Feinde haben vielmehr direct und ausdrücklich anerkannt, daß die Her¬
stellung eines Südbundes ebenso unmöglich ist, wie ein Anschluß der außer¬
halb des norddeutschen Bundes stehenden deutschen Länder an Oestreich, und
die entschiedene Stellung, welche Ungarn zu der großdeutschen Auffassung der
Aufgabe Oestreichs eingenommen, macht ein Bündniß zwischen den Rachedur¬
stigen an der Donau und am Nesenbach noch für längere Zeit unmöglich.
Mit einer Hartnäckigkeit, wie sie nur bei deutschen Doctrinären möglich ist,
sind die legitimistischen und radicalen Parteien immer wieder darauf zurück¬
gekommen, die Wiederherstellung des gesammten Zustandes von 1866 und die
Gleichberechtigung und Selbstbestimmung aller einzelnen Stämme so bedin¬
gungslos zu verlangen, daß sich selbst die großdeutschen Oestreicher und die
Zurechnungsfähigen unter den Stimmführern der süddeutschen Volkspartei
achselzuckend abgewandt haben — nur zwischen einer vollständigen tadulg,
rasg. und dem preußischen Programm haben diejenigen überhaupt noch zu
wählen, welche nicht eine Verewigung des gegenwärtigen Zustandes wollen.

Für die Annahme, daß Oestreich es mit seiner Weigerung, an die Spitze
einer großdeutschen Partei zu treten, ernstlich meine, sprechen noch sehr viel
gewichtigere Gründe, als die welche man aus der Beust'schen Schützenfest-Rede
hergeholt hat. Einmal liegt die Werthlosigkeit einer Freese-Trabert'schen
Bundesgenossenschaft auf der flachen Hand, und zweitens fallen die Rücksich¬
ten auf Ungarn immer schwerer ins Gewicht. Wohl ist die Regierung aus
dem Kampf um das ungarische Wehrgesetz als Siegerin hervorgegangen
(kaum ein Drittel der Glieder des Pesther Landtags hat sich für die extremen
Forderungen Ghiezy-Tisza's ausgesprochen); aber das Verhältniß zwischen den
beiden Hälften des östreichischen Doppelstaats ist nach wie vor ein gespanntes
geblieben. Die cisleithanischen Provinzen können nicht vergessen, daß die
Unkosten des Ausgleichs von 1867 fast ausschließlich von ihnen und ihrem
Steuersäckel getragen worden sind, und die Magyaren nehmen immer noch die
Miene an, als seien sie es. welche Opfer gebracht und auf billige Förde-
rungen verzichtet hätten. Die Sprache ihrer Presse ist eine unaufhörliche
Provocation gegen das Selbstgefühl der Deutsch-Oestreicher, welche sich be¬
wußt sind, durch ein halbes Jahrtausend die eigentlichen Träger der östrei¬
chischen Monarchie gewesen zu sein, und die sich mit Recht dawider auflehnen,
ihre paritätische Stellung in eine secundäre herabgedrückt zu sehen. Der ungari¬
sche Radicalismus läßt wiederum keine Gelegenheit unbenutzt, welche dazu aus-


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[0375] desgenosse. Hat das im abgelaufenen Monate gefeierte wiener Schützenfest doch in evidentster Weise bewiesen, daß die verschiedenen großdeutschen und radicalen Fractionen nicht einmal im Stande sind, von den Mißgriffen ihrer Gegner Vortheil zu ziehen und auch nur auf dem Papier ein Programm herzustellen, das eine gemeinsame Action der Feinde Preußens ermöglichte. Diese Feinde haben vielmehr direct und ausdrücklich anerkannt, daß die Her¬ stellung eines Südbundes ebenso unmöglich ist, wie ein Anschluß der außer¬ halb des norddeutschen Bundes stehenden deutschen Länder an Oestreich, und die entschiedene Stellung, welche Ungarn zu der großdeutschen Auffassung der Aufgabe Oestreichs eingenommen, macht ein Bündniß zwischen den Rachedur¬ stigen an der Donau und am Nesenbach noch für längere Zeit unmöglich. Mit einer Hartnäckigkeit, wie sie nur bei deutschen Doctrinären möglich ist, sind die legitimistischen und radicalen Parteien immer wieder darauf zurück¬ gekommen, die Wiederherstellung des gesammten Zustandes von 1866 und die Gleichberechtigung und Selbstbestimmung aller einzelnen Stämme so bedin¬ gungslos zu verlangen, daß sich selbst die großdeutschen Oestreicher und die Zurechnungsfähigen unter den Stimmführern der süddeutschen Volkspartei achselzuckend abgewandt haben — nur zwischen einer vollständigen tadulg, rasg. und dem preußischen Programm haben diejenigen überhaupt noch zu wählen, welche nicht eine Verewigung des gegenwärtigen Zustandes wollen. Für die Annahme, daß Oestreich es mit seiner Weigerung, an die Spitze einer großdeutschen Partei zu treten, ernstlich meine, sprechen noch sehr viel gewichtigere Gründe, als die welche man aus der Beust'schen Schützenfest-Rede hergeholt hat. Einmal liegt die Werthlosigkeit einer Freese-Trabert'schen Bundesgenossenschaft auf der flachen Hand, und zweitens fallen die Rücksich¬ ten auf Ungarn immer schwerer ins Gewicht. Wohl ist die Regierung aus dem Kampf um das ungarische Wehrgesetz als Siegerin hervorgegangen (kaum ein Drittel der Glieder des Pesther Landtags hat sich für die extremen Forderungen Ghiezy-Tisza's ausgesprochen); aber das Verhältniß zwischen den beiden Hälften des östreichischen Doppelstaats ist nach wie vor ein gespanntes geblieben. Die cisleithanischen Provinzen können nicht vergessen, daß die Unkosten des Ausgleichs von 1867 fast ausschließlich von ihnen und ihrem Steuersäckel getragen worden sind, und die Magyaren nehmen immer noch die Miene an, als seien sie es. welche Opfer gebracht und auf billige Förde- rungen verzichtet hätten. Die Sprache ihrer Presse ist eine unaufhörliche Provocation gegen das Selbstgefühl der Deutsch-Oestreicher, welche sich be¬ wußt sind, durch ein halbes Jahrtausend die eigentlichen Träger der östrei¬ chischen Monarchie gewesen zu sein, und die sich mit Recht dawider auflehnen, ihre paritätische Stellung in eine secundäre herabgedrückt zu sehen. Der ungari¬ sche Radicalismus läßt wiederum keine Gelegenheit unbenutzt, welche dazu aus-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/375>, abgerufen am 04.07.2024.