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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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daß das Verhalten der Minister des Innern und des Cultus den Boden
in den neuen Provinzen sehr viel gründlicher unterminirt, die Stellung der
liberalen Regierungsfreunde (und andere gibt es in den neuen Provinzen
keine) sehr viel rascher unhaltbar macht, als welfische oder radicale Agitatio¬
nen es irgend vermögen -- die selbstzufriedene Miene, mit welcher die Re¬
gierungsorgane die Nachricht dementirten, daß der Justizminister die Be¬
förderungen in seinem Ressort nicht von der politischen Stellung der einzelnen
Beamten abhängig machen werde, ist zur Kennzeichnung der Situation sehr
viel geeigneter als alles Andere. -- Die mit Maßregeln dieser Art "conser-
vative" Politik treiben, können über Erfolglosigkeit derselben nicht klagen.
Nach den Zeitungsberichten zu urtheilen, hat die nationale Partei oder
doch ein Theil ihrer hervorragendsten Glieder bereits öffentlich auf die
Nothwendigkeit einer veränderten Stellung zur Negierung hingewiesen.
Es konnte den peinlichen Eindruck, welchen die Mandatsniederlegung des
Grafen Henkel von Donnersmark machte, nur erhöhen, daß gleichzeitig
mit dieser Bennigsen und Miquel betonen mußten, daß nichts übrig
bleibe, als zu einer aggressiven Stellung gegen die innere Politik der Re¬
gierung überzugehen. Obgleich nur noch zwei Monate bis zum Zusammen¬
tritt des Landtags sind, ist die Möglichkeit doch keineswegs ausgeschlossen,
daß bis dahin auch zu Verwahrungen gegen die auswärtige Regierungspolitik
neue Veranlassung gegeben sein wird -- mit der Verwerfung der Usedom-
schen Note ist bereits ein ziemlich erbaulicher Anfang gemacht worden, und
der Unfall, der den Bundeskanzler in den letzten Tagen getroffen, wird aller
Wahrscheinlichkeit nach dessen verlängerte Entfernung von den Geschäften und
damit einen erweiterten Spielraum für reactionäre Velleitäten zur Folge haben.

Mag dem sein, wie ihm wolle, die Pflichten der nationalen Partei
bleiben nach wie vor dieselben. Preußens deutsche Politik ist der legitimi-
stischen Reaction wie dem Radikalismus gegenüber zu gründlich compromittirt,
als daß sie die Gleise, in denen sie sich 1866 bewegt hat, so leicht wieder
verlassen könnte. Die bewegende Kraft, welche in ihr liegt, kann sich auf
die Dauer nicht verleugnen und schon darum dürfen die auf diese drücken¬
den Gewichte ihre bisherige Lage nicht verlassen. In den neuen Provinzen
besitzt die nationale Partei die Bürgschaft dafür, daß die Regierung ihr,
wenn sie auch noch so entschieden wollte, auf die Dauer nicht den Rücken
kehren kann -- an dieser Bürgschaft wird und muß sie festhalten. Je größer
die Treue ist, welche sie der Sache des preußischen Berufs in Deutschland
beweist, je entschiedener sie sich zu dem Satz bekennt, daß die jeweilige Be¬
schaffenheit der Regierung Nichts an der Aufgabe und dem Recht des Staa¬
tes ändern kann, desto rascher wird sich ihre Stellung befestigen. Ueberdies
ist der Zerfall der übrigen Parteien ihr zuverlässigster und thätigster Bun-


daß das Verhalten der Minister des Innern und des Cultus den Boden
in den neuen Provinzen sehr viel gründlicher unterminirt, die Stellung der
liberalen Regierungsfreunde (und andere gibt es in den neuen Provinzen
keine) sehr viel rascher unhaltbar macht, als welfische oder radicale Agitatio¬
nen es irgend vermögen — die selbstzufriedene Miene, mit welcher die Re¬
gierungsorgane die Nachricht dementirten, daß der Justizminister die Be¬
förderungen in seinem Ressort nicht von der politischen Stellung der einzelnen
Beamten abhängig machen werde, ist zur Kennzeichnung der Situation sehr
viel geeigneter als alles Andere. — Die mit Maßregeln dieser Art „conser-
vative" Politik treiben, können über Erfolglosigkeit derselben nicht klagen.
Nach den Zeitungsberichten zu urtheilen, hat die nationale Partei oder
doch ein Theil ihrer hervorragendsten Glieder bereits öffentlich auf die
Nothwendigkeit einer veränderten Stellung zur Negierung hingewiesen.
Es konnte den peinlichen Eindruck, welchen die Mandatsniederlegung des
Grafen Henkel von Donnersmark machte, nur erhöhen, daß gleichzeitig
mit dieser Bennigsen und Miquel betonen mußten, daß nichts übrig
bleibe, als zu einer aggressiven Stellung gegen die innere Politik der Re¬
gierung überzugehen. Obgleich nur noch zwei Monate bis zum Zusammen¬
tritt des Landtags sind, ist die Möglichkeit doch keineswegs ausgeschlossen,
daß bis dahin auch zu Verwahrungen gegen die auswärtige Regierungspolitik
neue Veranlassung gegeben sein wird — mit der Verwerfung der Usedom-
schen Note ist bereits ein ziemlich erbaulicher Anfang gemacht worden, und
der Unfall, der den Bundeskanzler in den letzten Tagen getroffen, wird aller
Wahrscheinlichkeit nach dessen verlängerte Entfernung von den Geschäften und
damit einen erweiterten Spielraum für reactionäre Velleitäten zur Folge haben.

Mag dem sein, wie ihm wolle, die Pflichten der nationalen Partei
bleiben nach wie vor dieselben. Preußens deutsche Politik ist der legitimi-
stischen Reaction wie dem Radikalismus gegenüber zu gründlich compromittirt,
als daß sie die Gleise, in denen sie sich 1866 bewegt hat, so leicht wieder
verlassen könnte. Die bewegende Kraft, welche in ihr liegt, kann sich auf
die Dauer nicht verleugnen und schon darum dürfen die auf diese drücken¬
den Gewichte ihre bisherige Lage nicht verlassen. In den neuen Provinzen
besitzt die nationale Partei die Bürgschaft dafür, daß die Regierung ihr,
wenn sie auch noch so entschieden wollte, auf die Dauer nicht den Rücken
kehren kann — an dieser Bürgschaft wird und muß sie festhalten. Je größer
die Treue ist, welche sie der Sache des preußischen Berufs in Deutschland
beweist, je entschiedener sie sich zu dem Satz bekennt, daß die jeweilige Be¬
schaffenheit der Regierung Nichts an der Aufgabe und dem Recht des Staa¬
tes ändern kann, desto rascher wird sich ihre Stellung befestigen. Ueberdies
ist der Zerfall der übrigen Parteien ihr zuverlässigster und thätigster Bun-


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[0374] daß das Verhalten der Minister des Innern und des Cultus den Boden in den neuen Provinzen sehr viel gründlicher unterminirt, die Stellung der liberalen Regierungsfreunde (und andere gibt es in den neuen Provinzen keine) sehr viel rascher unhaltbar macht, als welfische oder radicale Agitatio¬ nen es irgend vermögen — die selbstzufriedene Miene, mit welcher die Re¬ gierungsorgane die Nachricht dementirten, daß der Justizminister die Be¬ förderungen in seinem Ressort nicht von der politischen Stellung der einzelnen Beamten abhängig machen werde, ist zur Kennzeichnung der Situation sehr viel geeigneter als alles Andere. — Die mit Maßregeln dieser Art „conser- vative" Politik treiben, können über Erfolglosigkeit derselben nicht klagen. Nach den Zeitungsberichten zu urtheilen, hat die nationale Partei oder doch ein Theil ihrer hervorragendsten Glieder bereits öffentlich auf die Nothwendigkeit einer veränderten Stellung zur Negierung hingewiesen. Es konnte den peinlichen Eindruck, welchen die Mandatsniederlegung des Grafen Henkel von Donnersmark machte, nur erhöhen, daß gleichzeitig mit dieser Bennigsen und Miquel betonen mußten, daß nichts übrig bleibe, als zu einer aggressiven Stellung gegen die innere Politik der Re¬ gierung überzugehen. Obgleich nur noch zwei Monate bis zum Zusammen¬ tritt des Landtags sind, ist die Möglichkeit doch keineswegs ausgeschlossen, daß bis dahin auch zu Verwahrungen gegen die auswärtige Regierungspolitik neue Veranlassung gegeben sein wird — mit der Verwerfung der Usedom- schen Note ist bereits ein ziemlich erbaulicher Anfang gemacht worden, und der Unfall, der den Bundeskanzler in den letzten Tagen getroffen, wird aller Wahrscheinlichkeit nach dessen verlängerte Entfernung von den Geschäften und damit einen erweiterten Spielraum für reactionäre Velleitäten zur Folge haben. Mag dem sein, wie ihm wolle, die Pflichten der nationalen Partei bleiben nach wie vor dieselben. Preußens deutsche Politik ist der legitimi- stischen Reaction wie dem Radikalismus gegenüber zu gründlich compromittirt, als daß sie die Gleise, in denen sie sich 1866 bewegt hat, so leicht wieder verlassen könnte. Die bewegende Kraft, welche in ihr liegt, kann sich auf die Dauer nicht verleugnen und schon darum dürfen die auf diese drücken¬ den Gewichte ihre bisherige Lage nicht verlassen. In den neuen Provinzen besitzt die nationale Partei die Bürgschaft dafür, daß die Regierung ihr, wenn sie auch noch so entschieden wollte, auf die Dauer nicht den Rücken kehren kann — an dieser Bürgschaft wird und muß sie festhalten. Je größer die Treue ist, welche sie der Sache des preußischen Berufs in Deutschland beweist, je entschiedener sie sich zu dem Satz bekennt, daß die jeweilige Be¬ schaffenheit der Regierung Nichts an der Aufgabe und dem Recht des Staa¬ tes ändern kann, desto rascher wird sich ihre Stellung befestigen. Ueberdies ist der Zerfall der übrigen Parteien ihr zuverlässigster und thätigster Bun-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/374>, abgerufen am 04.07.2024.