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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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Säuglinge anzukleiden oder mit dem Badeschwamm zu reinigen. Wir, der
Verherrlichung des Familienglücks keineswegs abhold, bemühten uns damals
den guten Künstlern den Mangel an Originalität für die Darstellung ihres
lebendigen Conterfei's zu verzeihen, zumal weil sie ihr Modell so nahe hat¬
ten, wurden aber im vorigen Salon doch recht verdrießlich, als wir nun
wieder und immer wieder Lafontaine's vorsichtiger Ameise und leichtsinniger
Grille, die keinen Wintervorrath gesammelt hatte, in so vielen Wendungen
begegnen mußten, daß alle Nuancen der Verwunderung und Bewunderung
erschöpft wurden. Wir beglückwünschten uns auch schon aufrichtig, daß diese
beliebten Paradeinsecten endlich zu Tode gehetzt schienen; dafür bringen uns nun
aber die Herren Delattre Co.: 1) fünf magere Chei, die sich vor einer
Vogelscheuche entsetzen, 2) Herr vier Esel ohne alle Entschuldigung
ihrer Existenz, 3) Herr T. ein braves isolirtes Grauthier, das ordentlich
verdutzt dasteht, weil es allein ist, endlich gar unser beliebter A. Schenk,
(außer feiner "letzten Stunde wohlgemästeter Schafe") noch sieben gut indivi-
dualistrte Eselsköpfe, bedächtig in ein Trinkbecken schauend, sodaß wir fast
verzweifelnd mit dem englischen Humoristen ausrufen möchten:


"So voll von Eseln ist die Welt,
Daß, wer sie nicht will ertragen,
Der schließ' seine Thür', eh' der Tag sich erhellt,
Und mög dann noch den Spiegel zerschlagen."

Aber dieser Midas-Refrain soll keineswegs von der ganzen Ausstellung
gelten. Auch in andrem Sinn als demjenigen sofortiger Verwerthbarkeit ent¬
hielten die Säle diesmal manches Gold. Haben wir auch wie immer zahl¬
reiche elegant geschliffene Plattitüden zu verzeichnen gehabt, und jene über¬
mächtige Phantasie der Morgue oft vertreten gefunden, so begegneten uns
dazwischen doch Leistungen, die nicht solchen Contrastes bedürfen, um sich
dem Gedächtnisse einzuprägen. Und wir können diesmal mit Genugthuung
constatiren, daß ein guter Theil echten und edlen Erfolges auf Deutsche kommt.
Freilich sind wir ketzerisch genug, den Elsässer Brion dazuzurechnen, dessen
Name so sehr an geheiligte Erinnerungen anklingt, daß wir uns doppelt
freuen, die Verherrlichung deutsch-protestantischen Familienthums, die sein
Bild zeigt, mit der Ehrenmedaille gekrönt zu sehen, eine Auszeichnung, die dem
sonstigen Verfahren der Jury und dem pariser Geschmack gegenüber heute fast
wie Demonstration aussieht, zugleich gegen die römische Kirche und gegen
das Raffinement des modernen Sinnenkitzels gerichtet.




Säuglinge anzukleiden oder mit dem Badeschwamm zu reinigen. Wir, der
Verherrlichung des Familienglücks keineswegs abhold, bemühten uns damals
den guten Künstlern den Mangel an Originalität für die Darstellung ihres
lebendigen Conterfei's zu verzeihen, zumal weil sie ihr Modell so nahe hat¬
ten, wurden aber im vorigen Salon doch recht verdrießlich, als wir nun
wieder und immer wieder Lafontaine's vorsichtiger Ameise und leichtsinniger
Grille, die keinen Wintervorrath gesammelt hatte, in so vielen Wendungen
begegnen mußten, daß alle Nuancen der Verwunderung und Bewunderung
erschöpft wurden. Wir beglückwünschten uns auch schon aufrichtig, daß diese
beliebten Paradeinsecten endlich zu Tode gehetzt schienen; dafür bringen uns nun
aber die Herren Delattre Co.: 1) fünf magere Chei, die sich vor einer
Vogelscheuche entsetzen, 2) Herr vier Esel ohne alle Entschuldigung
ihrer Existenz, 3) Herr T. ein braves isolirtes Grauthier, das ordentlich
verdutzt dasteht, weil es allein ist, endlich gar unser beliebter A. Schenk,
(außer feiner „letzten Stunde wohlgemästeter Schafe") noch sieben gut indivi-
dualistrte Eselsköpfe, bedächtig in ein Trinkbecken schauend, sodaß wir fast
verzweifelnd mit dem englischen Humoristen ausrufen möchten:


„So voll von Eseln ist die Welt,
Daß, wer sie nicht will ertragen,
Der schließ' seine Thür', eh' der Tag sich erhellt,
Und mög dann noch den Spiegel zerschlagen."

Aber dieser Midas-Refrain soll keineswegs von der ganzen Ausstellung
gelten. Auch in andrem Sinn als demjenigen sofortiger Verwerthbarkeit ent¬
hielten die Säle diesmal manches Gold. Haben wir auch wie immer zahl¬
reiche elegant geschliffene Plattitüden zu verzeichnen gehabt, und jene über¬
mächtige Phantasie der Morgue oft vertreten gefunden, so begegneten uns
dazwischen doch Leistungen, die nicht solchen Contrastes bedürfen, um sich
dem Gedächtnisse einzuprägen. Und wir können diesmal mit Genugthuung
constatiren, daß ein guter Theil echten und edlen Erfolges auf Deutsche kommt.
Freilich sind wir ketzerisch genug, den Elsässer Brion dazuzurechnen, dessen
Name so sehr an geheiligte Erinnerungen anklingt, daß wir uns doppelt
freuen, die Verherrlichung deutsch-protestantischen Familienthums, die sein
Bild zeigt, mit der Ehrenmedaille gekrönt zu sehen, eine Auszeichnung, die dem
sonstigen Verfahren der Jury und dem pariser Geschmack gegenüber heute fast
wie Demonstration aussieht, zugleich gegen die römische Kirche und gegen
das Raffinement des modernen Sinnenkitzels gerichtet.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/366>, abgerufen am 04.07.2024.