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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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lienerin, die mit "der letzten Nadel" ihr Kopftuch befestigt, und Henry
Schlesinger, der sein kleines römisches Modell in seiner Abwesenheit vor einen
Spiegel treten ließ, und ihr naives Erstaunen, sich doppelt zu sehen, hübsch
verdeutlicht, gehören mit zu dieser Gruppe. Corot, der uns in den Abend-
stimmungen seiner Waldeinsamkeit mit seiner tüpfelnden vaporösen Manier
beständig an Elfenringe erinnert, Daubigny, der Stimmungspoet, der einem
Schnitter während des Mondaufgangs bei der Heuernte Muße gibt, einer
hübschen Meisterin "Ssurettes" zu erzählen, der jedoch in seinem Organ,
d. h. dem tiefschwarzen Schatten, so rauh und mächtig, aber auch so treu-
herzig aussieht, wie ein Kohlenbrenner, sodaß wir erst Zeit brauchen, ehe
wir uns an ihn gewöhnen. O. Ueberhand, unübertroffen, wo es sich um
Perspective und Sonnenduft unter Italiens schwülem Sciroccohimmel han¬
delt, Anastasi, der dagegen kühlen Schatten sucht, Francais, der unfeinen
zarten Farbengeistern am liebsten im Mondschein verkehrt, Girardet und
Fontenay, die uns ihre Thal" und Seemärchen in so leisen, schatten¬
losen Uebergängen erzählen, daß ihre Stimme fast zum Geflüster herabsinkt,
Jules Ouvrie, sicher und heiter in sauberer Klarheit, Hanoteau und Har-
Pignies voll epischer Kraft und Virtuosität im Clairobscur, Buffon und
Emile Breton, der auf etwas wie classischen Stil in der Landschaft zurück¬
kommt, Nazon und Chintreuil, in kühner Behandlung der Sonneneffecte,
manchmal excentrisch, Appiani in seiner trockenen aber so vielsagenden Manier,
Maki und Schleich aus München (ersterer mit einem romantischen Sonnen¬
untergang hinter einem Schloß in Schwaben, letzterer mit einem effectvollen
Nocturno würdig vertreten), -- Kussawey, Lapito, Betty, Camille Bernier,
Jules Andre, Otto Weber, wir finden sie alle wieder in der uns lieb ge-
wordenen Ursprache ihres Talentes, womit sie uns die Poesie der Natur
dolmetschen. Vergessen wir auch unsern berühmten Hippographen Schreyer
nicht, -- wahrlich nicht der Geringsten einen, ihn der den Franzosen Respect
vor der künstlerischen Behandlung des Pferdes bei den Deutschen eilige-
flößt hat.

Man hat von gleichzeitiger Entstehung der Ideen gefabelt, behaup¬
tend, daß solche gleichsam athembar in der Luft schwebten oder intuitio
als Manifestationen des Zeitgeistes den Jupiterstirnen unserer Erfinder und
Künstler im gleichen Augenblick entsprängen. Ob ein solcher Gedankenmag¬
netismus, ein geistiges Wirken durch die Ferne noch anderswo, als in einer
krankhaften Fantasie vorgehe -- das müssen wir Herrn Reichenbach und
Allen, die dem feinen Fluidum des Ob zugänglicher sind als wir, zur Ent-
scheidung anheimstellen. Wir fühlten uns zu dieser Hypothese jedoch fast be¬
kehrt, nachdem wir einmal in einer deutschen Gemäldeschau mit großem
Vergnügen 21, sage einundzwanzig zärtliche Mütter gezählt, im Begriff ihre


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lienerin, die mit „der letzten Nadel" ihr Kopftuch befestigt, und Henry
Schlesinger, der sein kleines römisches Modell in seiner Abwesenheit vor einen
Spiegel treten ließ, und ihr naives Erstaunen, sich doppelt zu sehen, hübsch
verdeutlicht, gehören mit zu dieser Gruppe. Corot, der uns in den Abend-
stimmungen seiner Waldeinsamkeit mit seiner tüpfelnden vaporösen Manier
beständig an Elfenringe erinnert, Daubigny, der Stimmungspoet, der einem
Schnitter während des Mondaufgangs bei der Heuernte Muße gibt, einer
hübschen Meisterin „Ssurettes" zu erzählen, der jedoch in seinem Organ,
d. h. dem tiefschwarzen Schatten, so rauh und mächtig, aber auch so treu-
herzig aussieht, wie ein Kohlenbrenner, sodaß wir erst Zeit brauchen, ehe
wir uns an ihn gewöhnen. O. Ueberhand, unübertroffen, wo es sich um
Perspective und Sonnenduft unter Italiens schwülem Sciroccohimmel han¬
delt, Anastasi, der dagegen kühlen Schatten sucht, Francais, der unfeinen
zarten Farbengeistern am liebsten im Mondschein verkehrt, Girardet und
Fontenay, die uns ihre Thal« und Seemärchen in so leisen, schatten¬
losen Uebergängen erzählen, daß ihre Stimme fast zum Geflüster herabsinkt,
Jules Ouvrie, sicher und heiter in sauberer Klarheit, Hanoteau und Har-
Pignies voll epischer Kraft und Virtuosität im Clairobscur, Buffon und
Emile Breton, der auf etwas wie classischen Stil in der Landschaft zurück¬
kommt, Nazon und Chintreuil, in kühner Behandlung der Sonneneffecte,
manchmal excentrisch, Appiani in seiner trockenen aber so vielsagenden Manier,
Maki und Schleich aus München (ersterer mit einem romantischen Sonnen¬
untergang hinter einem Schloß in Schwaben, letzterer mit einem effectvollen
Nocturno würdig vertreten), — Kussawey, Lapito, Betty, Camille Bernier,
Jules Andre, Otto Weber, wir finden sie alle wieder in der uns lieb ge-
wordenen Ursprache ihres Talentes, womit sie uns die Poesie der Natur
dolmetschen. Vergessen wir auch unsern berühmten Hippographen Schreyer
nicht, — wahrlich nicht der Geringsten einen, ihn der den Franzosen Respect
vor der künstlerischen Behandlung des Pferdes bei den Deutschen eilige-
flößt hat.

Man hat von gleichzeitiger Entstehung der Ideen gefabelt, behaup¬
tend, daß solche gleichsam athembar in der Luft schwebten oder intuitio
als Manifestationen des Zeitgeistes den Jupiterstirnen unserer Erfinder und
Künstler im gleichen Augenblick entsprängen. Ob ein solcher Gedankenmag¬
netismus, ein geistiges Wirken durch die Ferne noch anderswo, als in einer
krankhaften Fantasie vorgehe — das müssen wir Herrn Reichenbach und
Allen, die dem feinen Fluidum des Ob zugänglicher sind als wir, zur Ent-
scheidung anheimstellen. Wir fühlten uns zu dieser Hypothese jedoch fast be¬
kehrt, nachdem wir einmal in einer deutschen Gemäldeschau mit großem
Vergnügen 21, sage einundzwanzig zärtliche Mütter gezählt, im Begriff ihre


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/365>, abgerufen am 04.07.2024.