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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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Wir nehmen wenig Antheil an den spanischen Weibern, welche unter dem
Portal einer Kirche Siesta halten und dem Mandolinenspieler apathisch zu¬
hören. Die Regungslosigkeit, in der sie keinen anderen Zweck verrathen,
als den, blaue Schatten zu werfen, während die Durchsicht und Perspective
der Straße im Sonnenlichte badet, erinnert allzu lebhaft an die Welt der
Geister und Gespenster, in der Gustav Dore' zu Hause ist.

Wenn wir so lange bei der Beschreibung des Genre's verweilen, so
ist dies nicht Willkür oder Neigung; denn an großartigen Motiven und
historischen Bildern ist dies Jahr auffallender Mangel. Die Kunst geht
leider nach Brod -- wer will es den Künstlern in heutiger Zeit verdenken,
daß ihr Ehrgeiz sich auf die Anerkennung der Mitlebenden richtet. Wenn
Landschafter, wie der zu früh dahingegangene Corot, Theodor Rousseau,
Daubigny und Auguste Bonheur jetzt mit Leichtigkeit 20,000 bis 40,000 Fran-
ken für mittelgroße Landschaften und Thierstücke realisiren, so bezahlt Man
damit freilich nicht nur den eigentlichen Kunstwerth der Bilder, sondern noch
höher den Namen. Umsomehr begreift man, wenn die jüngere Künstlerwelt,
von der leichteren Nachahmung der Natur zu rascherer Erreichung der Vir¬
tuosität verlockt, ihrer Phantasie die Flügel stutzt und dem Gebiet der Hi¬
storie, der Composition im großen Stil und den Mustern strenger Schule
mehr und mehr den Rücken wendet. -- Wenn Einige, wie Puvis de Ehava'u-
nes, Mazerolle und Chevallier mit rührender Treue dennoch im Glauben
an das überlieferte Evangelium verharren, und fortfahren, es nach allen
Regeln der Rhetorik im großen Stil zu predigen, so erwerben sie zwar hie
und da die Anerkennung der Puristen unter den Kritikern, selten aber den
Beifall und das Geld des Publikums, höchstens eine Compensation in Be¬
stellungen des Gouvernements. Hundert Andere streben und ringen mit
ehren auf allen Kunstgebieten in gleicher Weise, aber gefälliger; -- die
-Magnetnadel des Geschmacks inclinirt in der Menge beständig gegen das'
Neue, leicht Verständliche -- und die Altmeister bleiben mit ihren jüngeren
Nachfolgern auf schwindelnder Höhe, unbeneidet und unbestritten, allein. --
Zudem hat die Kunstfertigkeit in unserer Zeit für die Kunst zwar recht
erfreulich, aber für die Concurrenten doch auch so erschreckend zugenommen,
daß nur noch die unbedingteste Fähigkeit und das eminente Talent die be¬
sonnene Wahl eines Berufes in dieser Richtung rechtfertigen kann. -- Auch
begnügen sich Koryphäen, wie Bonnae, Tory Robert, Fleury. Cabanel, He-
bert, Baudry, Gallait, Coomans, Ed. Landseer, Romberg :c. bei den gedie¬
gensten Arbeiten sorgfältig bedacht, sich durch minder Gelungenes nicht zu
compromittiren. -- So erklärt sich der Mangel an Großem hinlänglich durch
die außerordentlich rasche und erfreuliche Vermehrung des Guten, welches
auch den Mitteln des Liebhabers erschwinglich bleibt -- und deshalb stimmen


Grenzboten Ill. 1868. 43

Wir nehmen wenig Antheil an den spanischen Weibern, welche unter dem
Portal einer Kirche Siesta halten und dem Mandolinenspieler apathisch zu¬
hören. Die Regungslosigkeit, in der sie keinen anderen Zweck verrathen,
als den, blaue Schatten zu werfen, während die Durchsicht und Perspective
der Straße im Sonnenlichte badet, erinnert allzu lebhaft an die Welt der
Geister und Gespenster, in der Gustav Dore' zu Hause ist.

Wenn wir so lange bei der Beschreibung des Genre's verweilen, so
ist dies nicht Willkür oder Neigung; denn an großartigen Motiven und
historischen Bildern ist dies Jahr auffallender Mangel. Die Kunst geht
leider nach Brod — wer will es den Künstlern in heutiger Zeit verdenken,
daß ihr Ehrgeiz sich auf die Anerkennung der Mitlebenden richtet. Wenn
Landschafter, wie der zu früh dahingegangene Corot, Theodor Rousseau,
Daubigny und Auguste Bonheur jetzt mit Leichtigkeit 20,000 bis 40,000 Fran-
ken für mittelgroße Landschaften und Thierstücke realisiren, so bezahlt Man
damit freilich nicht nur den eigentlichen Kunstwerth der Bilder, sondern noch
höher den Namen. Umsomehr begreift man, wenn die jüngere Künstlerwelt,
von der leichteren Nachahmung der Natur zu rascherer Erreichung der Vir¬
tuosität verlockt, ihrer Phantasie die Flügel stutzt und dem Gebiet der Hi¬
storie, der Composition im großen Stil und den Mustern strenger Schule
mehr und mehr den Rücken wendet. — Wenn Einige, wie Puvis de Ehava'u-
nes, Mazerolle und Chevallier mit rührender Treue dennoch im Glauben
an das überlieferte Evangelium verharren, und fortfahren, es nach allen
Regeln der Rhetorik im großen Stil zu predigen, so erwerben sie zwar hie
und da die Anerkennung der Puristen unter den Kritikern, selten aber den
Beifall und das Geld des Publikums, höchstens eine Compensation in Be¬
stellungen des Gouvernements. Hundert Andere streben und ringen mit
ehren auf allen Kunstgebieten in gleicher Weise, aber gefälliger; — die
-Magnetnadel des Geschmacks inclinirt in der Menge beständig gegen das'
Neue, leicht Verständliche — und die Altmeister bleiben mit ihren jüngeren
Nachfolgern auf schwindelnder Höhe, unbeneidet und unbestritten, allein. —
Zudem hat die Kunstfertigkeit in unserer Zeit für die Kunst zwar recht
erfreulich, aber für die Concurrenten doch auch so erschreckend zugenommen,
daß nur noch die unbedingteste Fähigkeit und das eminente Talent die be¬
sonnene Wahl eines Berufes in dieser Richtung rechtfertigen kann. — Auch
begnügen sich Koryphäen, wie Bonnae, Tory Robert, Fleury. Cabanel, He-
bert, Baudry, Gallait, Coomans, Ed. Landseer, Romberg :c. bei den gedie¬
gensten Arbeiten sorgfältig bedacht, sich durch minder Gelungenes nicht zu
compromittiren. — So erklärt sich der Mangel an Großem hinlänglich durch
die außerordentlich rasche und erfreuliche Vermehrung des Guten, welches
auch den Mitteln des Liebhabers erschwinglich bleibt — und deshalb stimmen


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[0363] Wir nehmen wenig Antheil an den spanischen Weibern, welche unter dem Portal einer Kirche Siesta halten und dem Mandolinenspieler apathisch zu¬ hören. Die Regungslosigkeit, in der sie keinen anderen Zweck verrathen, als den, blaue Schatten zu werfen, während die Durchsicht und Perspective der Straße im Sonnenlichte badet, erinnert allzu lebhaft an die Welt der Geister und Gespenster, in der Gustav Dore' zu Hause ist. Wenn wir so lange bei der Beschreibung des Genre's verweilen, so ist dies nicht Willkür oder Neigung; denn an großartigen Motiven und historischen Bildern ist dies Jahr auffallender Mangel. Die Kunst geht leider nach Brod — wer will es den Künstlern in heutiger Zeit verdenken, daß ihr Ehrgeiz sich auf die Anerkennung der Mitlebenden richtet. Wenn Landschafter, wie der zu früh dahingegangene Corot, Theodor Rousseau, Daubigny und Auguste Bonheur jetzt mit Leichtigkeit 20,000 bis 40,000 Fran- ken für mittelgroße Landschaften und Thierstücke realisiren, so bezahlt Man damit freilich nicht nur den eigentlichen Kunstwerth der Bilder, sondern noch höher den Namen. Umsomehr begreift man, wenn die jüngere Künstlerwelt, von der leichteren Nachahmung der Natur zu rascherer Erreichung der Vir¬ tuosität verlockt, ihrer Phantasie die Flügel stutzt und dem Gebiet der Hi¬ storie, der Composition im großen Stil und den Mustern strenger Schule mehr und mehr den Rücken wendet. — Wenn Einige, wie Puvis de Ehava'u- nes, Mazerolle und Chevallier mit rührender Treue dennoch im Glauben an das überlieferte Evangelium verharren, und fortfahren, es nach allen Regeln der Rhetorik im großen Stil zu predigen, so erwerben sie zwar hie und da die Anerkennung der Puristen unter den Kritikern, selten aber den Beifall und das Geld des Publikums, höchstens eine Compensation in Be¬ stellungen des Gouvernements. Hundert Andere streben und ringen mit ehren auf allen Kunstgebieten in gleicher Weise, aber gefälliger; — die -Magnetnadel des Geschmacks inclinirt in der Menge beständig gegen das' Neue, leicht Verständliche — und die Altmeister bleiben mit ihren jüngeren Nachfolgern auf schwindelnder Höhe, unbeneidet und unbestritten, allein. — Zudem hat die Kunstfertigkeit in unserer Zeit für die Kunst zwar recht erfreulich, aber für die Concurrenten doch auch so erschreckend zugenommen, daß nur noch die unbedingteste Fähigkeit und das eminente Talent die be¬ sonnene Wahl eines Berufes in dieser Richtung rechtfertigen kann. — Auch begnügen sich Koryphäen, wie Bonnae, Tory Robert, Fleury. Cabanel, He- bert, Baudry, Gallait, Coomans, Ed. Landseer, Romberg :c. bei den gedie¬ gensten Arbeiten sorgfältig bedacht, sich durch minder Gelungenes nicht zu compromittiren. — So erklärt sich der Mangel an Großem hinlänglich durch die außerordentlich rasche und erfreuliche Vermehrung des Guten, welches auch den Mitteln des Liebhabers erschwinglich bleibt — und deshalb stimmen Grenzboten Ill. 1868. 43

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/363>, abgerufen am 04.07.2024.