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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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Harmlosigkeit blieben, welche die Regierung für gesunden conservativen Zu¬
ständen entsprechend hielt, so versteckten die vorhandenen Gegensätze sich hinter
literarischen Controversen, welche die politische Frage eigentlich nur symbo¬
lisch andeuteten. Dem Verlangen der Fennomanen nach literarischen Gesell¬
schaften und selbständigen Organen wurde soweit entsprochen, daß dieselben
keinen Grund zur Klage hatten, der innere Friede und die bestehenden Ein¬
richtungen ungestört blieben.

So ging es bis zum orientalischen Kriege und dem Tode des Kaisers
Nicolaus fort. Als die Engländer vor Helsingfors und Lovisa lagen, das ge-
sammte Land von russischen Truppen starrte, die von der Regierung ge¬
haltenen Zügel immer straffer angezogen wurden, zeigte sichs, daß die kluge
Nachgiebigkeit der finnländischen Schweden hingereicht hatte, die früheren
russischen Sympathien Jungfinnlands zu schmälern und den von dieser Partei
ausgebildeten specifisch finnischen Enthusiasmus zu einer Waffe des Patriotis¬
mus zu machen. Bei verschiedenen Gelegenheiten wurde bemerkbar, daß die Finn¬
länder sich in dem großen Kampf, der zwischen Rußland und den Westmäch¬
ten ausgekämpft wurde, ziemlich deutlich als Westeuropäer fühlten und ganz
genau wußten, wie groß die Opfer waren, welche ihnen die Verbindung
mit dem mächtigen Staat des Ostens auferlegt hatte. Kaum hatte Nicolaus
seine Augen geschlossen, so brach von allen Seiten das von Hoffnung ge¬
tragene Verlangen nach einer Umgestaltung im Sinn der liberalen Zeitideen
stürmisch hervor. Nach Jahrzehnten unterwürfigen Schweigens erinnerte
man sich plötzlich daran, daß das Großfürstenthum Finnland keine russische
Provinz, sondern ein selbständiger konstitutioneller Staat sei und daß gesetz¬
lich keine Gründe dafür vorhanden seien, die Präventivcensur und die übrigen
Beschränkungen der Nicolattischen Dictatur länger zu tragen. Begünstigt
durch die große Umwälzung, welche sich seit dem orientalischen Kriege und
dem pariser Friedensschluß im Schooß des russischen Volkslebens vollzogen
hatte, ermuthigt durch die liberale Haltung des Kaisers, der eben mit der
Aufhebung der Leibeigenschaft beschäftigt war, trat Finnland mit seinen An-
sprüchen aus Wiederherstellung verfassungsmäßiger Zustände immer deutlicher
hervor und die jungfinnische Partei sah sich durch die Macht der öffentlichen
Meinung und zu Folge der Verstärkung, welche sie durch zuströmende ur¬
sprünglich schwedische Elemente erfahren hatte, gezwungen, nicht nur mitzu¬
machen, sondern an die Spitze der Bewegung zu treten.

Zunächst gewann die periodische Presse, welche sich bis dazu ebenso leb¬
los verhalten, wie in Rußland, einen ungeahnten Aufschwung. Binnen
kurzem wuchs ein ganzes Heer schwedischer und finnischer Zeitungen empor,
Welche sich trotz der noch immer bestehenden Präventivcensur, ziemlich frei be¬
wegten und das Thema von der Nothwendigkeit des baldmöglichsten Zusam-


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Harmlosigkeit blieben, welche die Regierung für gesunden conservativen Zu¬
ständen entsprechend hielt, so versteckten die vorhandenen Gegensätze sich hinter
literarischen Controversen, welche die politische Frage eigentlich nur symbo¬
lisch andeuteten. Dem Verlangen der Fennomanen nach literarischen Gesell¬
schaften und selbständigen Organen wurde soweit entsprochen, daß dieselben
keinen Grund zur Klage hatten, der innere Friede und die bestehenden Ein¬
richtungen ungestört blieben.

So ging es bis zum orientalischen Kriege und dem Tode des Kaisers
Nicolaus fort. Als die Engländer vor Helsingfors und Lovisa lagen, das ge-
sammte Land von russischen Truppen starrte, die von der Regierung ge¬
haltenen Zügel immer straffer angezogen wurden, zeigte sichs, daß die kluge
Nachgiebigkeit der finnländischen Schweden hingereicht hatte, die früheren
russischen Sympathien Jungfinnlands zu schmälern und den von dieser Partei
ausgebildeten specifisch finnischen Enthusiasmus zu einer Waffe des Patriotis¬
mus zu machen. Bei verschiedenen Gelegenheiten wurde bemerkbar, daß die Finn¬
länder sich in dem großen Kampf, der zwischen Rußland und den Westmäch¬
ten ausgekämpft wurde, ziemlich deutlich als Westeuropäer fühlten und ganz
genau wußten, wie groß die Opfer waren, welche ihnen die Verbindung
mit dem mächtigen Staat des Ostens auferlegt hatte. Kaum hatte Nicolaus
seine Augen geschlossen, so brach von allen Seiten das von Hoffnung ge¬
tragene Verlangen nach einer Umgestaltung im Sinn der liberalen Zeitideen
stürmisch hervor. Nach Jahrzehnten unterwürfigen Schweigens erinnerte
man sich plötzlich daran, daß das Großfürstenthum Finnland keine russische
Provinz, sondern ein selbständiger konstitutioneller Staat sei und daß gesetz¬
lich keine Gründe dafür vorhanden seien, die Präventivcensur und die übrigen
Beschränkungen der Nicolattischen Dictatur länger zu tragen. Begünstigt
durch die große Umwälzung, welche sich seit dem orientalischen Kriege und
dem pariser Friedensschluß im Schooß des russischen Volkslebens vollzogen
hatte, ermuthigt durch die liberale Haltung des Kaisers, der eben mit der
Aufhebung der Leibeigenschaft beschäftigt war, trat Finnland mit seinen An-
sprüchen aus Wiederherstellung verfassungsmäßiger Zustände immer deutlicher
hervor und die jungfinnische Partei sah sich durch die Macht der öffentlichen
Meinung und zu Folge der Verstärkung, welche sie durch zuströmende ur¬
sprünglich schwedische Elemente erfahren hatte, gezwungen, nicht nur mitzu¬
machen, sondern an die Spitze der Bewegung zu treten.

Zunächst gewann die periodische Presse, welche sich bis dazu ebenso leb¬
los verhalten, wie in Rußland, einen ungeahnten Aufschwung. Binnen
kurzem wuchs ein ganzes Heer schwedischer und finnischer Zeitungen empor,
Welche sich trotz der noch immer bestehenden Präventivcensur, ziemlich frei be¬
wegten und das Thema von der Nothwendigkeit des baldmöglichsten Zusam-


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[0339] Harmlosigkeit blieben, welche die Regierung für gesunden conservativen Zu¬ ständen entsprechend hielt, so versteckten die vorhandenen Gegensätze sich hinter literarischen Controversen, welche die politische Frage eigentlich nur symbo¬ lisch andeuteten. Dem Verlangen der Fennomanen nach literarischen Gesell¬ schaften und selbständigen Organen wurde soweit entsprochen, daß dieselben keinen Grund zur Klage hatten, der innere Friede und die bestehenden Ein¬ richtungen ungestört blieben. So ging es bis zum orientalischen Kriege und dem Tode des Kaisers Nicolaus fort. Als die Engländer vor Helsingfors und Lovisa lagen, das ge- sammte Land von russischen Truppen starrte, die von der Regierung ge¬ haltenen Zügel immer straffer angezogen wurden, zeigte sichs, daß die kluge Nachgiebigkeit der finnländischen Schweden hingereicht hatte, die früheren russischen Sympathien Jungfinnlands zu schmälern und den von dieser Partei ausgebildeten specifisch finnischen Enthusiasmus zu einer Waffe des Patriotis¬ mus zu machen. Bei verschiedenen Gelegenheiten wurde bemerkbar, daß die Finn¬ länder sich in dem großen Kampf, der zwischen Rußland und den Westmäch¬ ten ausgekämpft wurde, ziemlich deutlich als Westeuropäer fühlten und ganz genau wußten, wie groß die Opfer waren, welche ihnen die Verbindung mit dem mächtigen Staat des Ostens auferlegt hatte. Kaum hatte Nicolaus seine Augen geschlossen, so brach von allen Seiten das von Hoffnung ge¬ tragene Verlangen nach einer Umgestaltung im Sinn der liberalen Zeitideen stürmisch hervor. Nach Jahrzehnten unterwürfigen Schweigens erinnerte man sich plötzlich daran, daß das Großfürstenthum Finnland keine russische Provinz, sondern ein selbständiger konstitutioneller Staat sei und daß gesetz¬ lich keine Gründe dafür vorhanden seien, die Präventivcensur und die übrigen Beschränkungen der Nicolattischen Dictatur länger zu tragen. Begünstigt durch die große Umwälzung, welche sich seit dem orientalischen Kriege und dem pariser Friedensschluß im Schooß des russischen Volkslebens vollzogen hatte, ermuthigt durch die liberale Haltung des Kaisers, der eben mit der Aufhebung der Leibeigenschaft beschäftigt war, trat Finnland mit seinen An- sprüchen aus Wiederherstellung verfassungsmäßiger Zustände immer deutlicher hervor und die jungfinnische Partei sah sich durch die Macht der öffentlichen Meinung und zu Folge der Verstärkung, welche sie durch zuströmende ur¬ sprünglich schwedische Elemente erfahren hatte, gezwungen, nicht nur mitzu¬ machen, sondern an die Spitze der Bewegung zu treten. Zunächst gewann die periodische Presse, welche sich bis dazu ebenso leb¬ los verhalten, wie in Rußland, einen ungeahnten Aufschwung. Binnen kurzem wuchs ein ganzes Heer schwedischer und finnischer Zeitungen empor, Welche sich trotz der noch immer bestehenden Präventivcensur, ziemlich frei be¬ wegten und das Thema von der Nothwendigkeit des baldmöglichsten Zusam- 40'

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/339>, abgerufen am 04.07.2024.