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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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Kaisers Augustus alles so zweckmäßig gefügt habe, um dem Christenthum
seinen Weg zu erleichtern und zu sichern. Auch jene historischen Gemälde
sind heute veraltet, welche den Verfall der jüdischen und heidnischen Welt
schilderten um dann zu zeigen, welch tiefem Bedürfniß das neue und erlösende
Princip des Christenthum entgegen kam. Man weiß heute, daß es keinen
Verfall gibt, an dem nicht schon Kräfte mit thätig sind, welchen die Zukunft
gehört, wie es andererseits keine Neuschöpfung von so originaler Kraft gibt,
daß sie nicht fortwährend compromittiren müßte mit den Mächten, welche sie
überwinden will. Längst ist es Sitte geworden, als Einleitung dem Le-
ben Jesu eine historische Schilderung der damaligen Welt - und Bil¬
dungsverhältnisse vorauszuschicken, nicht blos um den Schauplatz der Handlung
zu zeichnen, gleichsam als den dunklen Hintergrund, von dem sich die heilige Ge¬
schichte um so leuchtender abheben soll, sondern um den Anfang des Christen¬
thums in den wirklichen Zusammenhang der Weltgeschichte zu stellen, in
welchem es allein begriffen werden kann. Denn die heilige Geschichte "ist
nicht phantasmagorisch auf den Hintergrund der wirklichen Geschichte vom
Himmel her gespiegelt worden, sondern hat sich als ein wirkliches Stück der
wirklichen Geschichte und unter den lebendigsten Wechselwirkungen mit den
gegebenen Zeitverhältnissen entwickelt, wenn auch wir uns gewöhnt haben, sie
losgelöst von ihrem ursprünglichen Zusammenhang als einen über alle histo¬
rischen Begebenheiten, wie über das Leben des damaligen Geschlechts weg¬
schreitenden Gang der göttlichen Offenbarung zu betrachten. So erwächst
uns denn die Aufgabe, diese neutestamentliche Geschichte wieder einzugliedern
in den zeitgeschichtlichen Zusammenhang, in dem sie stand, als sie Gegenwart
war; sie zu betrachten zwar nicht als Product, wohl aber als Theil eines
allgemeineren historischen Prozesses; sie darzustellen, wie die Mithandelnden
sie erlebten, vermischt und verworren mit durchaus profanen Ereignissen".

Diese Worte sind von A. Hausrath, aus der Vorrede des Werkes, in wel¬
chem er es unternommen hat, die neutestamentliche Zeitgeschichte, die bisher
nur einleitungsweise behandelt zu werden pflegte, für sich nach ihrem eigenen
Zusammenhang ausführlich darzustellen. Sein Inhalt fällt also zusammen mit
dem, was Keim "die geschichtliche Fundamentirung und Instrumentirung des
Lebens Jesu" genannt hat. Voraus geht die geographische und ethnographische
Beschreibung des heiligen Landes zur Zeit Jesu. Es folgt die Schilderung
der öffentlichen Zustände Palästinas, der bürgerlichen und geistlichen Gewalten,
der kirchlichen Verhältnisse, der religiösen Parteien. Ein weiterer Abschnitt
gilt-dem Conflict der römischen und jüdischen Nationalität, der Lage Judäas
unter den Römern, woran die Darstellung der messianischen Hoffnungen
jener Zeit geknüpft ist. Ausführlich wird sodann die Geschichte des Herodes
und seiner Regierung erzählt, und ein letzter Abschnitt erörtert diejenigen Ver-


Grenzboten III. 1S68. 33

Kaisers Augustus alles so zweckmäßig gefügt habe, um dem Christenthum
seinen Weg zu erleichtern und zu sichern. Auch jene historischen Gemälde
sind heute veraltet, welche den Verfall der jüdischen und heidnischen Welt
schilderten um dann zu zeigen, welch tiefem Bedürfniß das neue und erlösende
Princip des Christenthum entgegen kam. Man weiß heute, daß es keinen
Verfall gibt, an dem nicht schon Kräfte mit thätig sind, welchen die Zukunft
gehört, wie es andererseits keine Neuschöpfung von so originaler Kraft gibt,
daß sie nicht fortwährend compromittiren müßte mit den Mächten, welche sie
überwinden will. Längst ist es Sitte geworden, als Einleitung dem Le-
ben Jesu eine historische Schilderung der damaligen Welt - und Bil¬
dungsverhältnisse vorauszuschicken, nicht blos um den Schauplatz der Handlung
zu zeichnen, gleichsam als den dunklen Hintergrund, von dem sich die heilige Ge¬
schichte um so leuchtender abheben soll, sondern um den Anfang des Christen¬
thums in den wirklichen Zusammenhang der Weltgeschichte zu stellen, in
welchem es allein begriffen werden kann. Denn die heilige Geschichte „ist
nicht phantasmagorisch auf den Hintergrund der wirklichen Geschichte vom
Himmel her gespiegelt worden, sondern hat sich als ein wirkliches Stück der
wirklichen Geschichte und unter den lebendigsten Wechselwirkungen mit den
gegebenen Zeitverhältnissen entwickelt, wenn auch wir uns gewöhnt haben, sie
losgelöst von ihrem ursprünglichen Zusammenhang als einen über alle histo¬
rischen Begebenheiten, wie über das Leben des damaligen Geschlechts weg¬
schreitenden Gang der göttlichen Offenbarung zu betrachten. So erwächst
uns denn die Aufgabe, diese neutestamentliche Geschichte wieder einzugliedern
in den zeitgeschichtlichen Zusammenhang, in dem sie stand, als sie Gegenwart
war; sie zu betrachten zwar nicht als Product, wohl aber als Theil eines
allgemeineren historischen Prozesses; sie darzustellen, wie die Mithandelnden
sie erlebten, vermischt und verworren mit durchaus profanen Ereignissen".

Diese Worte sind von A. Hausrath, aus der Vorrede des Werkes, in wel¬
chem er es unternommen hat, die neutestamentliche Zeitgeschichte, die bisher
nur einleitungsweise behandelt zu werden pflegte, für sich nach ihrem eigenen
Zusammenhang ausführlich darzustellen. Sein Inhalt fällt also zusammen mit
dem, was Keim „die geschichtliche Fundamentirung und Instrumentirung des
Lebens Jesu" genannt hat. Voraus geht die geographische und ethnographische
Beschreibung des heiligen Landes zur Zeit Jesu. Es folgt die Schilderung
der öffentlichen Zustände Palästinas, der bürgerlichen und geistlichen Gewalten,
der kirchlichen Verhältnisse, der religiösen Parteien. Ein weiterer Abschnitt
gilt-dem Conflict der römischen und jüdischen Nationalität, der Lage Judäas
unter den Römern, woran die Darstellung der messianischen Hoffnungen
jener Zeit geknüpft ist. Ausführlich wird sodann die Geschichte des Herodes
und seiner Regierung erzählt, und ein letzter Abschnitt erörtert diejenigen Ver-


Grenzboten III. 1S68. 33
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[0321] Kaisers Augustus alles so zweckmäßig gefügt habe, um dem Christenthum seinen Weg zu erleichtern und zu sichern. Auch jene historischen Gemälde sind heute veraltet, welche den Verfall der jüdischen und heidnischen Welt schilderten um dann zu zeigen, welch tiefem Bedürfniß das neue und erlösende Princip des Christenthum entgegen kam. Man weiß heute, daß es keinen Verfall gibt, an dem nicht schon Kräfte mit thätig sind, welchen die Zukunft gehört, wie es andererseits keine Neuschöpfung von so originaler Kraft gibt, daß sie nicht fortwährend compromittiren müßte mit den Mächten, welche sie überwinden will. Längst ist es Sitte geworden, als Einleitung dem Le- ben Jesu eine historische Schilderung der damaligen Welt - und Bil¬ dungsverhältnisse vorauszuschicken, nicht blos um den Schauplatz der Handlung zu zeichnen, gleichsam als den dunklen Hintergrund, von dem sich die heilige Ge¬ schichte um so leuchtender abheben soll, sondern um den Anfang des Christen¬ thums in den wirklichen Zusammenhang der Weltgeschichte zu stellen, in welchem es allein begriffen werden kann. Denn die heilige Geschichte „ist nicht phantasmagorisch auf den Hintergrund der wirklichen Geschichte vom Himmel her gespiegelt worden, sondern hat sich als ein wirkliches Stück der wirklichen Geschichte und unter den lebendigsten Wechselwirkungen mit den gegebenen Zeitverhältnissen entwickelt, wenn auch wir uns gewöhnt haben, sie losgelöst von ihrem ursprünglichen Zusammenhang als einen über alle histo¬ rischen Begebenheiten, wie über das Leben des damaligen Geschlechts weg¬ schreitenden Gang der göttlichen Offenbarung zu betrachten. So erwächst uns denn die Aufgabe, diese neutestamentliche Geschichte wieder einzugliedern in den zeitgeschichtlichen Zusammenhang, in dem sie stand, als sie Gegenwart war; sie zu betrachten zwar nicht als Product, wohl aber als Theil eines allgemeineren historischen Prozesses; sie darzustellen, wie die Mithandelnden sie erlebten, vermischt und verworren mit durchaus profanen Ereignissen". Diese Worte sind von A. Hausrath, aus der Vorrede des Werkes, in wel¬ chem er es unternommen hat, die neutestamentliche Zeitgeschichte, die bisher nur einleitungsweise behandelt zu werden pflegte, für sich nach ihrem eigenen Zusammenhang ausführlich darzustellen. Sein Inhalt fällt also zusammen mit dem, was Keim „die geschichtliche Fundamentirung und Instrumentirung des Lebens Jesu" genannt hat. Voraus geht die geographische und ethnographische Beschreibung des heiligen Landes zur Zeit Jesu. Es folgt die Schilderung der öffentlichen Zustände Palästinas, der bürgerlichen und geistlichen Gewalten, der kirchlichen Verhältnisse, der religiösen Parteien. Ein weiterer Abschnitt gilt-dem Conflict der römischen und jüdischen Nationalität, der Lage Judäas unter den Römern, woran die Darstellung der messianischen Hoffnungen jener Zeit geknüpft ist. Ausführlich wird sodann die Geschichte des Herodes und seiner Regierung erzählt, und ein letzter Abschnitt erörtert diejenigen Ver- Grenzboten III. 1S68. 33

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/321>, abgerufen am 04.07.2024.