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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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es unwidersprechlich richtig. Für die geschichtliche Betrachtung hat es nur
untergeordnete Bedeutung was dem Glauben der Jünger Thatsächliches zu
Grunde lag. Ueber dieses angeblich Thatsächliche urtheilt in letzter Instanz
doch nur das philosophische Bewußtsein des Einzelnen; der Versuch aber,
den Glauben der Jünger zu analysiren, zu erklären, aus bekannten Ursachen
abzuleiten, bleibt der Natur der Sache nach für alle Zeit Gegenstand der
Hypothese. So hat denn der Historiker nur einen unzweifelhaft sichern Punkt
von dem er ausgehen kann, und dies ist der Glaube der Jünger, dieser ist
die historische Thatsache, die durch keine Kritik umgestoßen wird, und deren
Folgen dauern und unendlich sich fortsetzen, wie auch die philosophische
Ansicht im Bunde mit der Evangelienkritik über jenes Wunder urtheilen
möge.

Man sage nicht, daß durch solche Betrachtung die persönliche Bedeutung
Jesu verkürzt, daß sein Werk dadurch zu einem Werke seiner Nachfolger ge¬
macht werde. Er bleibt ja doch immer Derjenige, dessen Persönlichkeit einen
so gewaltigen Eindruck in den Seinen zurückläßt, daß sie an seinen Tod
nicht glauben konnten. Er bleibt doch immer derjenige, in welchem die
messianische Idee ihre Verkörperung fand, von dessen Leben sie den Anstoß
empfing zu ihrem weltgeschichtlichen Lauf. Allein je weniger wir von der
Persönlichkeit selbst wissen; um so lebhafter fühlt sich die geschichtliche For¬
schung aus das Feld gewiesen, wo sie mit rein geschichtlichen Factoren ope-
riren kann, zu der Frage nämlich, wie die Ideen, die an Jesu Person den
Jüngern aufgegangen sind, die Welt erobern konnten. Und darin liegt die
Berechtigung für die vielseitigen Untersuchungen, welche gegenwärtig dem
Zeitalter Jesu, den äußeren und inneren Zuständen der damaligen Welt, der
jüdischen sowohl als der heidnischen, gelten. So gewiß die allgemeinen Ge¬
setze der Geschichte auch für diese ihre bedeutsamste Epoche galten, so gewiß
müssen auch die Fäden erkennbar sein, die von den alten Bildungen in die
neuen überleiten. Das Christenthum bleibt ein unverstandenes Wunder, den
Zusammenhang der Geschichte durchbrechend, wenn es nicht als die Blüthe
und Frucht der zeitgenössischen Erscheinungen begriffen wird. Gerade weil
es mit so universellen Wirkungen auftrat und alle lebendigen Bildungen
absorbirte, kann es seine Verwandtschaft mit diesen nicht verleugnen, und die¬
jenigen mögen sich beruhigen, welche durch ein solches geschichtliches Begrei¬
fen die Orginalität des Christenthums gefährdet glauben. Denn das Neue
bleibt immer neu, auch wenn wir rückwärtsschauend erkennen, daß es längst
vorbereitet war, ehe es in die Erscheinung trat, und daß es längst zu wir¬
ken anfing, bevor es einen Namen hatte.

So hat man denn längst jene blos teleologische Betrachtung aufgegeben,
die sich in dem Nachweise gefiel, wie die Vorsehung zu den Zeiten des


es unwidersprechlich richtig. Für die geschichtliche Betrachtung hat es nur
untergeordnete Bedeutung was dem Glauben der Jünger Thatsächliches zu
Grunde lag. Ueber dieses angeblich Thatsächliche urtheilt in letzter Instanz
doch nur das philosophische Bewußtsein des Einzelnen; der Versuch aber,
den Glauben der Jünger zu analysiren, zu erklären, aus bekannten Ursachen
abzuleiten, bleibt der Natur der Sache nach für alle Zeit Gegenstand der
Hypothese. So hat denn der Historiker nur einen unzweifelhaft sichern Punkt
von dem er ausgehen kann, und dies ist der Glaube der Jünger, dieser ist
die historische Thatsache, die durch keine Kritik umgestoßen wird, und deren
Folgen dauern und unendlich sich fortsetzen, wie auch die philosophische
Ansicht im Bunde mit der Evangelienkritik über jenes Wunder urtheilen
möge.

Man sage nicht, daß durch solche Betrachtung die persönliche Bedeutung
Jesu verkürzt, daß sein Werk dadurch zu einem Werke seiner Nachfolger ge¬
macht werde. Er bleibt ja doch immer Derjenige, dessen Persönlichkeit einen
so gewaltigen Eindruck in den Seinen zurückläßt, daß sie an seinen Tod
nicht glauben konnten. Er bleibt doch immer derjenige, in welchem die
messianische Idee ihre Verkörperung fand, von dessen Leben sie den Anstoß
empfing zu ihrem weltgeschichtlichen Lauf. Allein je weniger wir von der
Persönlichkeit selbst wissen; um so lebhafter fühlt sich die geschichtliche For¬
schung aus das Feld gewiesen, wo sie mit rein geschichtlichen Factoren ope-
riren kann, zu der Frage nämlich, wie die Ideen, die an Jesu Person den
Jüngern aufgegangen sind, die Welt erobern konnten. Und darin liegt die
Berechtigung für die vielseitigen Untersuchungen, welche gegenwärtig dem
Zeitalter Jesu, den äußeren und inneren Zuständen der damaligen Welt, der
jüdischen sowohl als der heidnischen, gelten. So gewiß die allgemeinen Ge¬
setze der Geschichte auch für diese ihre bedeutsamste Epoche galten, so gewiß
müssen auch die Fäden erkennbar sein, die von den alten Bildungen in die
neuen überleiten. Das Christenthum bleibt ein unverstandenes Wunder, den
Zusammenhang der Geschichte durchbrechend, wenn es nicht als die Blüthe
und Frucht der zeitgenössischen Erscheinungen begriffen wird. Gerade weil
es mit so universellen Wirkungen auftrat und alle lebendigen Bildungen
absorbirte, kann es seine Verwandtschaft mit diesen nicht verleugnen, und die¬
jenigen mögen sich beruhigen, welche durch ein solches geschichtliches Begrei¬
fen die Orginalität des Christenthums gefährdet glauben. Denn das Neue
bleibt immer neu, auch wenn wir rückwärtsschauend erkennen, daß es längst
vorbereitet war, ehe es in die Erscheinung trat, und daß es längst zu wir¬
ken anfing, bevor es einen Namen hatte.

So hat man denn längst jene blos teleologische Betrachtung aufgegeben,
die sich in dem Nachweise gefiel, wie die Vorsehung zu den Zeiten des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/320>, abgerufen am 04.07.2024.