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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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pen zogen vorüber, ein Nrttlleriepark kam vor die Stadt und exercirte auf
dem Felde -- wir (der Fürstin Schwester, Prinzessin Karl, war bei ihr)
gingen hin, um das mit anzusehen. Wie grausenhaft wurde es uns zu
Muthe, als wir rufen hörten: Wenn Ur. 1 bleibt, wer nimmt seine Stelle?
Wenn Ur. 2 fällt, wer kommt an seine Stelle? -- Ich! u. s. w. -- Wir
gingen recht betrübt nach Hause. Nicht lange darnach trat Prinz Ferdinand
von Preußen in meine Stube, der Held der Helden -- es war eine hoch
erfreuliche und Vertrauen erweckende Erscheinung. Er sprach sehr ernst und
mit großer Erhebung von dem wichtigen Augenblicke und entfernte sich dann,
um Befehle zu ertheilen und Pläne zu prüfen. Dann ging man zu Tisch
-- eine Nachricht folgte der anderen -- die Gesichter der älteren Offiziere
erblaßten und verlängerten sich -- der Prinz wurde ernst und immer ernster.
Er sagte uns gute Nacht, er nahm meine Hand und hielt sie lange in der
seinen, indem er mich schweigend ansah. Noch war Norddeutschland zu
retten von dem Joche der Franzosen -- ich hielt die Hand dessen, der uns
erretten sollte, in der meinigen. Mit welchem tiefen Gefühle drückte ich diese
Hand; recht ernst wurde es in meiner Seele. ""Nein, wenn ich zurückge¬
schlagen würde, das könnte ich nimmermehr ertragen."" "Versprechen Sie
mir, sich nicht in einem Avantgardegefecht so zu exponiren, daß Sie in wich¬
tigeren Momenten nicht helfen könnten," antwortete ich ihm.--Das
war Abends 11 Uhr. Mittags des darauf folgenden Tages (genauer Nach"
mittags) war er todt. Er blieb bei Saalfeld kaum 12 Stunden, nachdem
ich ihm diese letzten Worte gesagt hatte."

Man erkennt aus dem Benehmen des Prinzen, wie es sich hier dar¬
stellt, daß er ebenso von der Ueberzeugung erfüllt war, den Uebergang von
Saalfeld halten zu müssen, als von der Besorgniß, ihn mit seinen Kräften
schwerlich halten zu können. Jene Ueberzeugung hatte er im Laufe des
Nachmittags aus der Anschauung des Terrains gewonnen. Er hatte ent¬
deckt, daß sich das Quartier Hohenlohes im Irrthum befinde, wenn es
glaubte eine der vier Armeecolonnen mit Artillerie und Train bei Rudol-
stadt die Saale passiren lassen zu können -- wie am 9. Oel. noch die Ab¬
sicht war; daß ein solcher Uebergang vielmehr, außer bet Lobeda, nur bei
Saalfeld möglich sei. Er wußte überdies, daß sich die Armee, deren Marsch
er zu decken hatte, durch die Unschlüssigkeit und Uneinigkeit des Hauptquar¬
tiers in einem halbwegs chaotischen Zustande befand und daß, wenn er den
Feind in die marschirende Armee hineinstoßen ließe, diese aufgerollt werden
würde. Für die Preußen bedeutete der Besitz von Saalfeld die Möglichkeit
der großen Dislocation, welche auf den 10. Oel. angesetzt war, mochte diese
nun darin bestehen, daß die ganze Armee, wie Hohenlohe wollte, über die
Saale ging, oder daß, nach der Ansicht des Herzogs von Braunschweig,


pen zogen vorüber, ein Nrttlleriepark kam vor die Stadt und exercirte auf
dem Felde — wir (der Fürstin Schwester, Prinzessin Karl, war bei ihr)
gingen hin, um das mit anzusehen. Wie grausenhaft wurde es uns zu
Muthe, als wir rufen hörten: Wenn Ur. 1 bleibt, wer nimmt seine Stelle?
Wenn Ur. 2 fällt, wer kommt an seine Stelle? — Ich! u. s. w. — Wir
gingen recht betrübt nach Hause. Nicht lange darnach trat Prinz Ferdinand
von Preußen in meine Stube, der Held der Helden — es war eine hoch
erfreuliche und Vertrauen erweckende Erscheinung. Er sprach sehr ernst und
mit großer Erhebung von dem wichtigen Augenblicke und entfernte sich dann,
um Befehle zu ertheilen und Pläne zu prüfen. Dann ging man zu Tisch
— eine Nachricht folgte der anderen — die Gesichter der älteren Offiziere
erblaßten und verlängerten sich — der Prinz wurde ernst und immer ernster.
Er sagte uns gute Nacht, er nahm meine Hand und hielt sie lange in der
seinen, indem er mich schweigend ansah. Noch war Norddeutschland zu
retten von dem Joche der Franzosen — ich hielt die Hand dessen, der uns
erretten sollte, in der meinigen. Mit welchem tiefen Gefühle drückte ich diese
Hand; recht ernst wurde es in meiner Seele. „„Nein, wenn ich zurückge¬
schlagen würde, das könnte ich nimmermehr ertragen."" „Versprechen Sie
mir, sich nicht in einem Avantgardegefecht so zu exponiren, daß Sie in wich¬
tigeren Momenten nicht helfen könnten," antwortete ich ihm.--Das
war Abends 11 Uhr. Mittags des darauf folgenden Tages (genauer Nach»
mittags) war er todt. Er blieb bei Saalfeld kaum 12 Stunden, nachdem
ich ihm diese letzten Worte gesagt hatte."

Man erkennt aus dem Benehmen des Prinzen, wie es sich hier dar¬
stellt, daß er ebenso von der Ueberzeugung erfüllt war, den Uebergang von
Saalfeld halten zu müssen, als von der Besorgniß, ihn mit seinen Kräften
schwerlich halten zu können. Jene Ueberzeugung hatte er im Laufe des
Nachmittags aus der Anschauung des Terrains gewonnen. Er hatte ent¬
deckt, daß sich das Quartier Hohenlohes im Irrthum befinde, wenn es
glaubte eine der vier Armeecolonnen mit Artillerie und Train bei Rudol-
stadt die Saale passiren lassen zu können — wie am 9. Oel. noch die Ab¬
sicht war; daß ein solcher Uebergang vielmehr, außer bet Lobeda, nur bei
Saalfeld möglich sei. Er wußte überdies, daß sich die Armee, deren Marsch
er zu decken hatte, durch die Unschlüssigkeit und Uneinigkeit des Hauptquar¬
tiers in einem halbwegs chaotischen Zustande befand und daß, wenn er den
Feind in die marschirende Armee hineinstoßen ließe, diese aufgerollt werden
würde. Für die Preußen bedeutete der Besitz von Saalfeld die Möglichkeit
der großen Dislocation, welche auf den 10. Oel. angesetzt war, mochte diese
nun darin bestehen, daß die ganze Armee, wie Hohenlohe wollte, über die
Saale ging, oder daß, nach der Ansicht des Herzogs von Braunschweig,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/296>, abgerufen am 04.07.2024.