Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Wenn Christus selbst das heil'ge Land nicht schützt,
So ist's verloren; Schwärme der Tartaren
Umdrohen nahe schon die heil'gen Stätten:
Schon ist's zu spät, in offner Schlacht zu siegen,
Da, als es Zeit war, man den Feind nicht angriff.
Gott schütze Acre und Cäsarea! -- ....
Ich seh' kein Zeichen, Gottfried von Sargincs,
Daß man zu Eurer Rettung sich erhebt.
Lahn sind der Ritter kampfgewohnte Rosse,
Und Thatkraft, Hochsinn schwand aus Mänuerherzen.
Doch nah' ist schon die Zeit, da Gottes Rache
Die Laß'gen trifft, die treulos ihn verließen:
Zur co'gen Qual führt sie der Höllenfürst.

Diese wenigen Stellen, die sich unendlich vermehren ließen, mögen hier genügen.
Wir wollen uns der Betrachtung eines andern die Kreuzzüge betreffenden
Gedichtes zuwenden, welches die Aufmerksamkeit aller Kenner der altfranzö-
sischen Litteratur in hohem Grade erregt hat, nämlich Rutebeuf's "ässputi-
?mus äou ni-oiAö et äou äösoroiüi^die Disputation des Kreuzfahrers mit
dem Antikreuzfahrer.

Von allen historischen Gedichten jener Zeit gibt keines ein so genaues
Bild der Stimmung des französischen Volkes gegenüber der damaligen orien¬
talischen Frage der Kreuzzüge. In der Form einer Disputation zwischen
zwei Freunden theilt der Dichter alle Gründe für und gegen die Zweckmä¬
ßigkeit der Kreuzzüge mit. wie man sie bereits seit dem Beginn des Jahr¬
hunderts zwischen zwei Parteien auf's lebhafteste discutirte. Schon die
Möglichkeit einer solchen Discussion ist ein charakteristisches Zeichen der Zeit.
Die ersten Kreuzfahrer hatten, von heiliger Begeisterung voll, und ohne
Rücksicht auf die Zweckmäßigkeitsfrage, das Schwert ergriffen zum Kampfe
für das Grab des Erlösers; jetzt überlegte man mit kalter Ruhe, ob die Vor-
theile, geistliche sowohl als leibliche, welche durch die Betheiligung an einem
Kreuzzuge erlangt werden konnten, den etwa aufzuwendenden Kosten und zu
ertragenden Anstrengungen entsprechen würden. Keine Spur mehr von jenem
schwärmenden Enthusiasmus, der unter den feurigen Reden Peters des Ere¬
miten in dem tausendstimmiger Rufe: "Gott will es!" hervorbrach, welcher
Ruf alle Gründe für die Kreuzzüge in einen zusammenfaßte und keinen Ge¬
gengrund auskommen ließ. Jetzt konnten sich sogar eifrige Verfechter der
Sache Palästina's, wie Rutebeuf. der kalten Ueberlegung nicht verschließen,
wie dies aus der äesxutiMn hervorgeht. Der eine der beiden disputiren-
oen Freunde will den andern überreden, das Kreuz zu nehmen, und setzt ihm
deshalb alle Gründe auseinander, welche ihm geignet erscheinen, den Nutzen


Gr-Njboten in. 1868. 33
Wenn Christus selbst das heil'ge Land nicht schützt,
So ist's verloren; Schwärme der Tartaren
Umdrohen nahe schon die heil'gen Stätten:
Schon ist's zu spät, in offner Schlacht zu siegen,
Da, als es Zeit war, man den Feind nicht angriff.
Gott schütze Acre und Cäsarea! — ....
Ich seh' kein Zeichen, Gottfried von Sargincs,
Daß man zu Eurer Rettung sich erhebt.
Lahn sind der Ritter kampfgewohnte Rosse,
Und Thatkraft, Hochsinn schwand aus Mänuerherzen.
Doch nah' ist schon die Zeit, da Gottes Rache
Die Laß'gen trifft, die treulos ihn verließen:
Zur co'gen Qual führt sie der Höllenfürst.

Diese wenigen Stellen, die sich unendlich vermehren ließen, mögen hier genügen.
Wir wollen uns der Betrachtung eines andern die Kreuzzüge betreffenden
Gedichtes zuwenden, welches die Aufmerksamkeit aller Kenner der altfranzö-
sischen Litteratur in hohem Grade erregt hat, nämlich Rutebeuf's „ässputi-
?mus äou ni-oiAö et äou äösoroiüi^die Disputation des Kreuzfahrers mit
dem Antikreuzfahrer.

Von allen historischen Gedichten jener Zeit gibt keines ein so genaues
Bild der Stimmung des französischen Volkes gegenüber der damaligen orien¬
talischen Frage der Kreuzzüge. In der Form einer Disputation zwischen
zwei Freunden theilt der Dichter alle Gründe für und gegen die Zweckmä¬
ßigkeit der Kreuzzüge mit. wie man sie bereits seit dem Beginn des Jahr¬
hunderts zwischen zwei Parteien auf's lebhafteste discutirte. Schon die
Möglichkeit einer solchen Discussion ist ein charakteristisches Zeichen der Zeit.
Die ersten Kreuzfahrer hatten, von heiliger Begeisterung voll, und ohne
Rücksicht auf die Zweckmäßigkeitsfrage, das Schwert ergriffen zum Kampfe
für das Grab des Erlösers; jetzt überlegte man mit kalter Ruhe, ob die Vor-
theile, geistliche sowohl als leibliche, welche durch die Betheiligung an einem
Kreuzzuge erlangt werden konnten, den etwa aufzuwendenden Kosten und zu
ertragenden Anstrengungen entsprechen würden. Keine Spur mehr von jenem
schwärmenden Enthusiasmus, der unter den feurigen Reden Peters des Ere¬
miten in dem tausendstimmiger Rufe: „Gott will es!" hervorbrach, welcher
Ruf alle Gründe für die Kreuzzüge in einen zusammenfaßte und keinen Ge¬
gengrund auskommen ließ. Jetzt konnten sich sogar eifrige Verfechter der
Sache Palästina's, wie Rutebeuf. der kalten Ueberlegung nicht verschließen,
wie dies aus der äesxutiMn hervorgeht. Der eine der beiden disputiren-
oen Freunde will den andern überreden, das Kreuz zu nehmen, und setzt ihm
deshalb alle Gründe auseinander, welche ihm geignet erscheinen, den Nutzen


Gr-Njboten in. 1868. 33
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0279" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/286991"/>
          <quote>
            <lg xml:id="POEMID_10" type="poem">
              <l> Wenn Christus selbst das heil'ge Land nicht schützt,<lb/>
So ist's verloren; Schwärme der Tartaren<lb/>
Umdrohen nahe schon die heil'gen Stätten:<lb/>
Schon ist's zu spät, in offner Schlacht zu siegen,<lb/>
Da, als es Zeit war, man den Feind nicht angriff.<lb/>
Gott schütze Acre und Cäsarea! &#x2014; ....</l>
              <l> Ich seh' kein Zeichen, Gottfried von Sargincs,<lb/>
Daß man zu Eurer Rettung sich erhebt.<lb/>
Lahn sind der Ritter kampfgewohnte Rosse,<lb/>
Und Thatkraft, Hochsinn schwand aus Mänuerherzen.<lb/>
Doch nah' ist schon die Zeit, da Gottes Rache<lb/>
Die Laß'gen trifft, die treulos ihn verließen:<lb/>
Zur co'gen Qual führt sie der Höllenfürst.</l>
            </lg>
          </quote><lb/>
          <p xml:id="ID_725"> Diese wenigen Stellen, die sich unendlich vermehren ließen, mögen hier genügen.<lb/>
Wir wollen uns der Betrachtung eines andern die Kreuzzüge betreffenden<lb/>
Gedichtes zuwenden, welches die Aufmerksamkeit aller Kenner der altfranzö-<lb/>
sischen Litteratur in hohem Grade erregt hat, nämlich Rutebeuf's &#x201E;ässputi-<lb/>
?mus äou ni-oiAö et äou äösoroiüi^die Disputation des Kreuzfahrers mit<lb/>
dem Antikreuzfahrer.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_726" next="#ID_727"> Von allen historischen Gedichten jener Zeit gibt keines ein so genaues<lb/>
Bild der Stimmung des französischen Volkes gegenüber der damaligen orien¬<lb/>
talischen Frage der Kreuzzüge. In der Form einer Disputation zwischen<lb/>
zwei Freunden theilt der Dichter alle Gründe für und gegen die Zweckmä¬<lb/>
ßigkeit der Kreuzzüge mit. wie man sie bereits seit dem Beginn des Jahr¬<lb/>
hunderts zwischen zwei Parteien auf's lebhafteste discutirte. Schon die<lb/>
Möglichkeit einer solchen Discussion ist ein charakteristisches Zeichen der Zeit.<lb/>
Die ersten Kreuzfahrer hatten, von heiliger Begeisterung voll, und ohne<lb/>
Rücksicht auf die Zweckmäßigkeitsfrage, das Schwert ergriffen zum Kampfe<lb/>
für das Grab des Erlösers; jetzt überlegte man mit kalter Ruhe, ob die Vor-<lb/>
theile, geistliche sowohl als leibliche, welche durch die Betheiligung an einem<lb/>
Kreuzzuge erlangt werden konnten, den etwa aufzuwendenden Kosten und zu<lb/>
ertragenden Anstrengungen entsprechen würden. Keine Spur mehr von jenem<lb/>
schwärmenden Enthusiasmus, der unter den feurigen Reden Peters des Ere¬<lb/>
miten in dem tausendstimmiger Rufe: &#x201E;Gott will es!" hervorbrach, welcher<lb/>
Ruf alle Gründe für die Kreuzzüge in einen zusammenfaßte und keinen Ge¬<lb/>
gengrund auskommen ließ. Jetzt konnten sich sogar eifrige Verfechter der<lb/>
Sache Palästina's, wie Rutebeuf. der kalten Ueberlegung nicht verschließen,<lb/>
wie dies aus der äesxutiMn hervorgeht. Der eine der beiden disputiren-<lb/>
oen Freunde will den andern überreden, das Kreuz zu nehmen, und setzt ihm<lb/>
deshalb alle Gründe auseinander, welche ihm geignet erscheinen, den Nutzen</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Gr-Njboten in. 1868. 33</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0279] Wenn Christus selbst das heil'ge Land nicht schützt, So ist's verloren; Schwärme der Tartaren Umdrohen nahe schon die heil'gen Stätten: Schon ist's zu spät, in offner Schlacht zu siegen, Da, als es Zeit war, man den Feind nicht angriff. Gott schütze Acre und Cäsarea! — .... Ich seh' kein Zeichen, Gottfried von Sargincs, Daß man zu Eurer Rettung sich erhebt. Lahn sind der Ritter kampfgewohnte Rosse, Und Thatkraft, Hochsinn schwand aus Mänuerherzen. Doch nah' ist schon die Zeit, da Gottes Rache Die Laß'gen trifft, die treulos ihn verließen: Zur co'gen Qual führt sie der Höllenfürst. Diese wenigen Stellen, die sich unendlich vermehren ließen, mögen hier genügen. Wir wollen uns der Betrachtung eines andern die Kreuzzüge betreffenden Gedichtes zuwenden, welches die Aufmerksamkeit aller Kenner der altfranzö- sischen Litteratur in hohem Grade erregt hat, nämlich Rutebeuf's „ässputi- ?mus äou ni-oiAö et äou äösoroiüi^die Disputation des Kreuzfahrers mit dem Antikreuzfahrer. Von allen historischen Gedichten jener Zeit gibt keines ein so genaues Bild der Stimmung des französischen Volkes gegenüber der damaligen orien¬ talischen Frage der Kreuzzüge. In der Form einer Disputation zwischen zwei Freunden theilt der Dichter alle Gründe für und gegen die Zweckmä¬ ßigkeit der Kreuzzüge mit. wie man sie bereits seit dem Beginn des Jahr¬ hunderts zwischen zwei Parteien auf's lebhafteste discutirte. Schon die Möglichkeit einer solchen Discussion ist ein charakteristisches Zeichen der Zeit. Die ersten Kreuzfahrer hatten, von heiliger Begeisterung voll, und ohne Rücksicht auf die Zweckmäßigkeitsfrage, das Schwert ergriffen zum Kampfe für das Grab des Erlösers; jetzt überlegte man mit kalter Ruhe, ob die Vor- theile, geistliche sowohl als leibliche, welche durch die Betheiligung an einem Kreuzzuge erlangt werden konnten, den etwa aufzuwendenden Kosten und zu ertragenden Anstrengungen entsprechen würden. Keine Spur mehr von jenem schwärmenden Enthusiasmus, der unter den feurigen Reden Peters des Ere¬ miten in dem tausendstimmiger Rufe: „Gott will es!" hervorbrach, welcher Ruf alle Gründe für die Kreuzzüge in einen zusammenfaßte und keinen Ge¬ gengrund auskommen ließ. Jetzt konnten sich sogar eifrige Verfechter der Sache Palästina's, wie Rutebeuf. der kalten Ueberlegung nicht verschließen, wie dies aus der äesxutiMn hervorgeht. Der eine der beiden disputiren- oen Freunde will den andern überreden, das Kreuz zu nehmen, und setzt ihm deshalb alle Gründe auseinander, welche ihm geignet erscheinen, den Nutzen Gr-Njboten in. 1868. 33

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/279
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/279>, abgerufen am 04.07.2024.