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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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Wie soll ich leben? -- Alles fehlt,
Und Niemand mir was geben will;
Bin ohne Bett und ohne Pfühl,
Bin krank vor Frost, mein Magen bellt,
So arm wie ich,, so schlecht gestellt
Ist Niemand auf der ganzen Welt.

Die Troveors verschweigen uns die Gründe nicht; durch welche ihre Armuth
hervorgerufen wird. Meistens schieben sie der schlechten Zeit die Schuld zu.
Rutebeuf behauptet, daß der König Ludwig IX. alle "guten Leute", d. h.
solche, welche anständige Honorare an die Troveors zahlten, mit sich in den
heiligen Krieg nach Afrika genommen, und nur die "schlechten" d. h. solche


Die zum Verweigern gar geschwind,
Doch ungeübt im Geben sind,

zurückgelassen habe. Doch dieser Grund konnte nur vorübergehend sein, und
.mußte mit der Rückkehr der "guten Leute" fortfallen. Das Uebel lag wahr¬
scheinlich tiefer. Die ganze Zeit war zu realistisch geworden, um noch viel
für die Producte der Dichter übrig zu haben. Der Troveor, der bis dahin
ein geehrter und gern gesehener Gast in jedem vornehmen Hause gewesen
war, fand nur zu oft verschlossene Thüren, wo er auf ein gutes Diner und
reichlichen Erwerb gehofft hatte. Es lassen sich unzähliche Stellen aus den
Gedichten der damaligen Zeit anführen, welche die gedrückte Lage der ge-
sammten Troveorzunft schildern. Die Troveors waren außerdem oft lockere
Gesellen und schlechte Oekonomen. Rutebeuf macht durchaus kein Hehl aus
einer noblen Passion, die den grötzten Theil seiner Einnahmen verschlingt:


Die Würfel, so die Spieler erdacht,
Die haben den Rock mir schäbig gemacht,

ruft er aus. "Das Geld hält nicht lange bei den Dichtern aus," sagt er
an einer anderen Stelle, "es brennt ihnen in der Tasche. Sie lassen den
Schenkwirth Wein abziehen, den sie mehr heruntergießen als trinken. Ton¬
nenweise jagen sie ihn durch die Kehle, und nach dem üppigen Gelage wissen
sie nicht, wovon sie sich einen Rock kaufen sollen." Trotz seiner kleinen Ein¬
nahmen hatte sich Rutebeuf doch verheirathet, und die unerschwinglichen
Kosten, die ihm der Hausstand und eine zahlreiche Nachkommenschaft ver¬
ursachten, machten sein Elend vollständig. In einem besondern Gedicht; "I"
mariaM liustebeuk", gibt er in halb lachendem, halb weinerlichen Ton eine
Schilderung seines Hauswesens und plaudert mit kindlicher Treuherzigkeit
die kleinen Geheimnisse desselben aus. Seine Frau ist alt und häßlich,


Wie soll ich leben? — Alles fehlt,
Und Niemand mir was geben will;
Bin ohne Bett und ohne Pfühl,
Bin krank vor Frost, mein Magen bellt,
So arm wie ich,, so schlecht gestellt
Ist Niemand auf der ganzen Welt.

Die Troveors verschweigen uns die Gründe nicht; durch welche ihre Armuth
hervorgerufen wird. Meistens schieben sie der schlechten Zeit die Schuld zu.
Rutebeuf behauptet, daß der König Ludwig IX. alle „guten Leute", d. h.
solche, welche anständige Honorare an die Troveors zahlten, mit sich in den
heiligen Krieg nach Afrika genommen, und nur die „schlechten" d. h. solche


Die zum Verweigern gar geschwind,
Doch ungeübt im Geben sind,

zurückgelassen habe. Doch dieser Grund konnte nur vorübergehend sein, und
.mußte mit der Rückkehr der „guten Leute" fortfallen. Das Uebel lag wahr¬
scheinlich tiefer. Die ganze Zeit war zu realistisch geworden, um noch viel
für die Producte der Dichter übrig zu haben. Der Troveor, der bis dahin
ein geehrter und gern gesehener Gast in jedem vornehmen Hause gewesen
war, fand nur zu oft verschlossene Thüren, wo er auf ein gutes Diner und
reichlichen Erwerb gehofft hatte. Es lassen sich unzähliche Stellen aus den
Gedichten der damaligen Zeit anführen, welche die gedrückte Lage der ge-
sammten Troveorzunft schildern. Die Troveors waren außerdem oft lockere
Gesellen und schlechte Oekonomen. Rutebeuf macht durchaus kein Hehl aus
einer noblen Passion, die den grötzten Theil seiner Einnahmen verschlingt:


Die Würfel, so die Spieler erdacht,
Die haben den Rock mir schäbig gemacht,

ruft er aus. „Das Geld hält nicht lange bei den Dichtern aus," sagt er
an einer anderen Stelle, „es brennt ihnen in der Tasche. Sie lassen den
Schenkwirth Wein abziehen, den sie mehr heruntergießen als trinken. Ton¬
nenweise jagen sie ihn durch die Kehle, und nach dem üppigen Gelage wissen
sie nicht, wovon sie sich einen Rock kaufen sollen." Trotz seiner kleinen Ein¬
nahmen hatte sich Rutebeuf doch verheirathet, und die unerschwinglichen
Kosten, die ihm der Hausstand und eine zahlreiche Nachkommenschaft ver¬
ursachten, machten sein Elend vollständig. In einem besondern Gedicht; „I«
mariaM liustebeuk", gibt er in halb lachendem, halb weinerlichen Ton eine
Schilderung seines Hauswesens und plaudert mit kindlicher Treuherzigkeit
die kleinen Geheimnisse desselben aus. Seine Frau ist alt und häßlich,


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[0270] Wie soll ich leben? — Alles fehlt, Und Niemand mir was geben will; Bin ohne Bett und ohne Pfühl, Bin krank vor Frost, mein Magen bellt, So arm wie ich,, so schlecht gestellt Ist Niemand auf der ganzen Welt. Die Troveors verschweigen uns die Gründe nicht; durch welche ihre Armuth hervorgerufen wird. Meistens schieben sie der schlechten Zeit die Schuld zu. Rutebeuf behauptet, daß der König Ludwig IX. alle „guten Leute", d. h. solche, welche anständige Honorare an die Troveors zahlten, mit sich in den heiligen Krieg nach Afrika genommen, und nur die „schlechten" d. h. solche Die zum Verweigern gar geschwind, Doch ungeübt im Geben sind, zurückgelassen habe. Doch dieser Grund konnte nur vorübergehend sein, und .mußte mit der Rückkehr der „guten Leute" fortfallen. Das Uebel lag wahr¬ scheinlich tiefer. Die ganze Zeit war zu realistisch geworden, um noch viel für die Producte der Dichter übrig zu haben. Der Troveor, der bis dahin ein geehrter und gern gesehener Gast in jedem vornehmen Hause gewesen war, fand nur zu oft verschlossene Thüren, wo er auf ein gutes Diner und reichlichen Erwerb gehofft hatte. Es lassen sich unzähliche Stellen aus den Gedichten der damaligen Zeit anführen, welche die gedrückte Lage der ge- sammten Troveorzunft schildern. Die Troveors waren außerdem oft lockere Gesellen und schlechte Oekonomen. Rutebeuf macht durchaus kein Hehl aus einer noblen Passion, die den grötzten Theil seiner Einnahmen verschlingt: Die Würfel, so die Spieler erdacht, Die haben den Rock mir schäbig gemacht, ruft er aus. „Das Geld hält nicht lange bei den Dichtern aus," sagt er an einer anderen Stelle, „es brennt ihnen in der Tasche. Sie lassen den Schenkwirth Wein abziehen, den sie mehr heruntergießen als trinken. Ton¬ nenweise jagen sie ihn durch die Kehle, und nach dem üppigen Gelage wissen sie nicht, wovon sie sich einen Rock kaufen sollen." Trotz seiner kleinen Ein¬ nahmen hatte sich Rutebeuf doch verheirathet, und die unerschwinglichen Kosten, die ihm der Hausstand und eine zahlreiche Nachkommenschaft ver¬ ursachten, machten sein Elend vollständig. In einem besondern Gedicht; „I« mariaM liustebeuk", gibt er in halb lachendem, halb weinerlichen Ton eine Schilderung seines Hauswesens und plaudert mit kindlicher Treuherzigkeit die kleinen Geheimnisse desselben aus. Seine Frau ist alt und häßlich,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/270>, abgerufen am 04.07.2024.