Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

Bild:
<< vorherige Seite

gehoben, und die im Namen der Nation von Einzelnen verübten Thorheiten
werden dem gesammten Volke vom Auslande auf die Rechnung geschrieben.
Daß die Massen durch diese politischen Afterversammlungen irre gemacht, min¬
destens an Reizmittel gewöhnt werden, deren Mangel sie für die Theilnahme
an ernsthafter staatlicher Arbeit unbenützbar und schlaff macht, kommt noch
nebenbei in Betracht und macht sich oft und deutlich genug geltend.

Die Wiederkehr ähnlicher Selbstprostitutionen unseres Volkes zu verhin¬
dern, scheint darum aus mehr wie einer Rücksicht geboten. Weder brauchen wir
uns gefallen zu lassen, daß das Bedürfniß der Nation nach festlichen Ver¬
sammlungen von einer Handvoll unberufener Schreier mißbraucht und da¬
durch der Trieb nach genossenschaftlichen Vereinigungen von der Art der
Turner- und Schützenbünde an einer gesunden Entfaltung verhindert werde,
noch kann es uns gleichgiltig sein, wenn die Begriffe "deutsches Volksfest"
und politische Affenschande in den Augen des Auslandes identificirt werden.
Es wird ins Besondere Sache der Presse sein, entweder gänzlichen Verzicht
auf Feste der erwähnten Art durchzusetzen -- daß das möglich sein werde,
bezweifeln wir -- oder mit allen Kräften darauf hinzuarbeiten, daß es die
besten, nicht die schlechtesten, mindestens nicht die politisch unfähigsten Deutschen
seien, die bei solchen Gelegenheiten im Namen Deutschlands das große Wort
führen. Was in den Tagen deutscher politischer Kindheit verzeihlich schien,
wird für die zur Mündigkeit erwachsene Nation zum Frevel! In gleicher
Weise wird von den Führern der Turner und Schützenkreise namentlich
Norddeutschlands gefordert werden müssen, daß sie die berechtigten Bestre¬
bungen ihrer Verbände davor sicher stellen, durch Herausgreifen über ihre
natürliche Sphäre lächerlich zu werden. Das deutsche Schützenhaus und die
deutsche Turnhalle sind zu gut dazu, um politische Narrenhäuser zu werden.

Unter dem wüsten Getöse des wiener Festes (dem um der Deutsch-Oest¬
reicher willen wohl zu gönnen gewesen wäre, daß es den politischen Credit
der Deutschen gestärkt, nicht geschädigt hätte) sind die festlichen Töne einer
anderen Feier verhallt, welche wohl werth gewesen wäre, das ganze Volk
um sich zu versammeln. Die einzige glänzende und dauervare Schöpfung
jener Krankheitsperiode, welche den Rückschlag gegen, die Riesenanstrengung
der Freiheitskriege bildete, die Universität Bonn feierte den funfzigsten Jahres¬
tag ihres Bestehens, das Jubiläum ihres einstigen Vorpvstendienstes auf dem
Vaterlande nahezu entfremdeter Erde. Heute ist die preußische Univer¬
sität Bonn nicht mehr ein vorgeschobener Pionir des preußisch-deutschen
Staatsbewußtseins im Rheingau, sie ist mit demselben verwachsen und bildet
das lebendige Glied eines Gemeinwesens, das die Tage seiner Entfrem¬
dung so gut wie vergessen hat. Nicht mit ausschweifenden Wünschen und
Hoffnungen für eine nebelhafte Zukunft, mit dem stolzen Hinweis auf redlich


gehoben, und die im Namen der Nation von Einzelnen verübten Thorheiten
werden dem gesammten Volke vom Auslande auf die Rechnung geschrieben.
Daß die Massen durch diese politischen Afterversammlungen irre gemacht, min¬
destens an Reizmittel gewöhnt werden, deren Mangel sie für die Theilnahme
an ernsthafter staatlicher Arbeit unbenützbar und schlaff macht, kommt noch
nebenbei in Betracht und macht sich oft und deutlich genug geltend.

Die Wiederkehr ähnlicher Selbstprostitutionen unseres Volkes zu verhin¬
dern, scheint darum aus mehr wie einer Rücksicht geboten. Weder brauchen wir
uns gefallen zu lassen, daß das Bedürfniß der Nation nach festlichen Ver¬
sammlungen von einer Handvoll unberufener Schreier mißbraucht und da¬
durch der Trieb nach genossenschaftlichen Vereinigungen von der Art der
Turner- und Schützenbünde an einer gesunden Entfaltung verhindert werde,
noch kann es uns gleichgiltig sein, wenn die Begriffe „deutsches Volksfest"
und politische Affenschande in den Augen des Auslandes identificirt werden.
Es wird ins Besondere Sache der Presse sein, entweder gänzlichen Verzicht
auf Feste der erwähnten Art durchzusetzen — daß das möglich sein werde,
bezweifeln wir — oder mit allen Kräften darauf hinzuarbeiten, daß es die
besten, nicht die schlechtesten, mindestens nicht die politisch unfähigsten Deutschen
seien, die bei solchen Gelegenheiten im Namen Deutschlands das große Wort
führen. Was in den Tagen deutscher politischer Kindheit verzeihlich schien,
wird für die zur Mündigkeit erwachsene Nation zum Frevel! In gleicher
Weise wird von den Führern der Turner und Schützenkreise namentlich
Norddeutschlands gefordert werden müssen, daß sie die berechtigten Bestre¬
bungen ihrer Verbände davor sicher stellen, durch Herausgreifen über ihre
natürliche Sphäre lächerlich zu werden. Das deutsche Schützenhaus und die
deutsche Turnhalle sind zu gut dazu, um politische Narrenhäuser zu werden.

Unter dem wüsten Getöse des wiener Festes (dem um der Deutsch-Oest¬
reicher willen wohl zu gönnen gewesen wäre, daß es den politischen Credit
der Deutschen gestärkt, nicht geschädigt hätte) sind die festlichen Töne einer
anderen Feier verhallt, welche wohl werth gewesen wäre, das ganze Volk
um sich zu versammeln. Die einzige glänzende und dauervare Schöpfung
jener Krankheitsperiode, welche den Rückschlag gegen, die Riesenanstrengung
der Freiheitskriege bildete, die Universität Bonn feierte den funfzigsten Jahres¬
tag ihres Bestehens, das Jubiläum ihres einstigen Vorpvstendienstes auf dem
Vaterlande nahezu entfremdeter Erde. Heute ist die preußische Univer¬
sität Bonn nicht mehr ein vorgeschobener Pionir des preußisch-deutschen
Staatsbewußtseins im Rheingau, sie ist mit demselben verwachsen und bildet
das lebendige Glied eines Gemeinwesens, das die Tage seiner Entfrem¬
dung so gut wie vergessen hat. Nicht mit ausschweifenden Wünschen und
Hoffnungen für eine nebelhafte Zukunft, mit dem stolzen Hinweis auf redlich


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0267" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/286979"/>
          <p xml:id="ID_698" prev="#ID_697"> gehoben, und die im Namen der Nation von Einzelnen verübten Thorheiten<lb/>
werden dem gesammten Volke vom Auslande auf die Rechnung geschrieben.<lb/>
Daß die Massen durch diese politischen Afterversammlungen irre gemacht, min¬<lb/>
destens an Reizmittel gewöhnt werden, deren Mangel sie für die Theilnahme<lb/>
an ernsthafter staatlicher Arbeit unbenützbar und schlaff macht, kommt noch<lb/>
nebenbei in Betracht und macht sich oft und deutlich genug geltend.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_699"> Die Wiederkehr ähnlicher Selbstprostitutionen unseres Volkes zu verhin¬<lb/>
dern, scheint darum aus mehr wie einer Rücksicht geboten. Weder brauchen wir<lb/>
uns gefallen zu lassen, daß das Bedürfniß der Nation nach festlichen Ver¬<lb/>
sammlungen von einer Handvoll unberufener Schreier mißbraucht und da¬<lb/>
durch der Trieb nach genossenschaftlichen Vereinigungen von der Art der<lb/>
Turner- und Schützenbünde an einer gesunden Entfaltung verhindert werde,<lb/>
noch kann es uns gleichgiltig sein, wenn die Begriffe &#x201E;deutsches Volksfest"<lb/>
und politische Affenschande in den Augen des Auslandes identificirt werden.<lb/>
Es wird ins Besondere Sache der Presse sein, entweder gänzlichen Verzicht<lb/>
auf Feste der erwähnten Art durchzusetzen &#x2014; daß das möglich sein werde,<lb/>
bezweifeln wir &#x2014; oder mit allen Kräften darauf hinzuarbeiten, daß es die<lb/>
besten, nicht die schlechtesten, mindestens nicht die politisch unfähigsten Deutschen<lb/>
seien, die bei solchen Gelegenheiten im Namen Deutschlands das große Wort<lb/>
führen. Was in den Tagen deutscher politischer Kindheit verzeihlich schien,<lb/>
wird für die zur Mündigkeit erwachsene Nation zum Frevel! In gleicher<lb/>
Weise wird von den Führern der Turner und Schützenkreise namentlich<lb/>
Norddeutschlands gefordert werden müssen, daß sie die berechtigten Bestre¬<lb/>
bungen ihrer Verbände davor sicher stellen, durch Herausgreifen über ihre<lb/>
natürliche Sphäre lächerlich zu werden. Das deutsche Schützenhaus und die<lb/>
deutsche Turnhalle sind zu gut dazu, um politische Narrenhäuser zu werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_700" next="#ID_701"> Unter dem wüsten Getöse des wiener Festes (dem um der Deutsch-Oest¬<lb/>
reicher willen wohl zu gönnen gewesen wäre, daß es den politischen Credit<lb/>
der Deutschen gestärkt, nicht geschädigt hätte) sind die festlichen Töne einer<lb/>
anderen Feier verhallt, welche wohl werth gewesen wäre, das ganze Volk<lb/>
um sich zu versammeln. Die einzige glänzende und dauervare Schöpfung<lb/>
jener Krankheitsperiode, welche den Rückschlag gegen, die Riesenanstrengung<lb/>
der Freiheitskriege bildete, die Universität Bonn feierte den funfzigsten Jahres¬<lb/>
tag ihres Bestehens, das Jubiläum ihres einstigen Vorpvstendienstes auf dem<lb/>
Vaterlande nahezu entfremdeter Erde. Heute ist die preußische Univer¬<lb/>
sität Bonn nicht mehr ein vorgeschobener Pionir des preußisch-deutschen<lb/>
Staatsbewußtseins im Rheingau, sie ist mit demselben verwachsen und bildet<lb/>
das lebendige Glied eines Gemeinwesens, das die Tage seiner Entfrem¬<lb/>
dung so gut wie vergessen hat. Nicht mit ausschweifenden Wünschen und<lb/>
Hoffnungen für eine nebelhafte Zukunft, mit dem stolzen Hinweis auf redlich</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0267] gehoben, und die im Namen der Nation von Einzelnen verübten Thorheiten werden dem gesammten Volke vom Auslande auf die Rechnung geschrieben. Daß die Massen durch diese politischen Afterversammlungen irre gemacht, min¬ destens an Reizmittel gewöhnt werden, deren Mangel sie für die Theilnahme an ernsthafter staatlicher Arbeit unbenützbar und schlaff macht, kommt noch nebenbei in Betracht und macht sich oft und deutlich genug geltend. Die Wiederkehr ähnlicher Selbstprostitutionen unseres Volkes zu verhin¬ dern, scheint darum aus mehr wie einer Rücksicht geboten. Weder brauchen wir uns gefallen zu lassen, daß das Bedürfniß der Nation nach festlichen Ver¬ sammlungen von einer Handvoll unberufener Schreier mißbraucht und da¬ durch der Trieb nach genossenschaftlichen Vereinigungen von der Art der Turner- und Schützenbünde an einer gesunden Entfaltung verhindert werde, noch kann es uns gleichgiltig sein, wenn die Begriffe „deutsches Volksfest" und politische Affenschande in den Augen des Auslandes identificirt werden. Es wird ins Besondere Sache der Presse sein, entweder gänzlichen Verzicht auf Feste der erwähnten Art durchzusetzen — daß das möglich sein werde, bezweifeln wir — oder mit allen Kräften darauf hinzuarbeiten, daß es die besten, nicht die schlechtesten, mindestens nicht die politisch unfähigsten Deutschen seien, die bei solchen Gelegenheiten im Namen Deutschlands das große Wort führen. Was in den Tagen deutscher politischer Kindheit verzeihlich schien, wird für die zur Mündigkeit erwachsene Nation zum Frevel! In gleicher Weise wird von den Führern der Turner und Schützenkreise namentlich Norddeutschlands gefordert werden müssen, daß sie die berechtigten Bestre¬ bungen ihrer Verbände davor sicher stellen, durch Herausgreifen über ihre natürliche Sphäre lächerlich zu werden. Das deutsche Schützenhaus und die deutsche Turnhalle sind zu gut dazu, um politische Narrenhäuser zu werden. Unter dem wüsten Getöse des wiener Festes (dem um der Deutsch-Oest¬ reicher willen wohl zu gönnen gewesen wäre, daß es den politischen Credit der Deutschen gestärkt, nicht geschädigt hätte) sind die festlichen Töne einer anderen Feier verhallt, welche wohl werth gewesen wäre, das ganze Volk um sich zu versammeln. Die einzige glänzende und dauervare Schöpfung jener Krankheitsperiode, welche den Rückschlag gegen, die Riesenanstrengung der Freiheitskriege bildete, die Universität Bonn feierte den funfzigsten Jahres¬ tag ihres Bestehens, das Jubiläum ihres einstigen Vorpvstendienstes auf dem Vaterlande nahezu entfremdeter Erde. Heute ist die preußische Univer¬ sität Bonn nicht mehr ein vorgeschobener Pionir des preußisch-deutschen Staatsbewußtseins im Rheingau, sie ist mit demselben verwachsen und bildet das lebendige Glied eines Gemeinwesens, das die Tage seiner Entfrem¬ dung so gut wie vergessen hat. Nicht mit ausschweifenden Wünschen und Hoffnungen für eine nebelhafte Zukunft, mit dem stolzen Hinweis auf redlich

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/267
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/267>, abgerufen am 04.07.2024.