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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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zu seiner sonstigen Gewohnheit gehört und Geltung hat, wenn es sich mit
seinen wahren Führern zu politischer Arbeit verbindet. Die gepriesenen
"olympischen Spiele" des deutschen Volkes sind zu politischen Saturnalien herab¬
gesunken, in denen sich breit macht, was im wirklichen Leben für ungesund und
hirnverbrannt gilt, zu Vereinigungen denen im günstigsten Fall nachgerühmt
werden kann, daß sie nicht geschadet haben. Auf diese Weise wird das
Volksleben in direkten Gegensatz zum Staatsleben gebracht, das politische
Bewußtsein der Nation geradezu degenerirt. Der widerwärtige Eindruck,
unter welchem die Halbwege zurechnungsfähigen Festgenossen von dem wiener
Schützenfeste Abschied genommen haben, kann nur dazu führen, die nächste
Vereinigung dieser Art noch eine Stufe unter die heurige herabzudrücken und
die Communalvertretung der Stadt Leipzig hat nur ihre Pflicht gethan, in¬
dem sie die zweideutige Ehre, ihr Weichbild zum Schauplatz des nächsten der¬
artigen Posfenspiels gemacht zu sehen, höflichst abgelehnt hat. Die ursprüng¬
lichen, Zwecke, um deren Verfolgung es sich bei Begründung der deutschen
Turner- und Schützenbünde handelte, sind so vollständig in den Hintergrund
gedrängt und vergessen worden, daß von den in Wien versammelten Special-
correspondenten unserer deutschen Zeitungen, keinem in dem Sinn gekommen
ist, über die von den Schützen entwickelte Fertigkeit und die von denselben
gebrauchten Waffen ausführlich zu berichten, wir aus der Times erfahren
mußten, daß auch in dieser Beziehung so gut wie Nichts geleistet werde
und daß die Wehrhaftmachung des Volkes durch die Schützengesellschaften ein
bloßer Wahn sei.

Es wird heut' zu Tage viel und gern von dem großen Umschwung und
den eminenten Fortschritten geredet, welche das deutsche Volksleben seit den
letzten Jahren gemacht hat. Dabei aber scheint es geblieben zu sein, daß
unser Volk, dessen gewaltige Arbeitskraft und Arbeitslust in der ganzen ci-
vilisirten Welt Gegenstand freiwilliger und unfreiwilliger Anerkennung und
Bewunderung ist, lächerlich wird, sobald es als Volk auftritt, seine Würde zu
verlieren scheint, wenn es dieselbe in frohem Festgepränge zu adäquaten Aus¬
druck zu bringen versucht. Auch andere Nationen feiern Feste dieser Art, --
wäre es in England oder Frankreich aber auch nur denkbar, daß einer Ver¬
sammlung angesehener Bürger aus allen Theilen des Landes, von Leuten,
deren Einfluß im wirkichen Leben gleich Null ist, vorgepredigt würde, die
versammelte Festgenossenschaft sei berufen und befähigt, den Staat aus seinen
Angeln zu heben und eine neue Staats und Weltordnung zu begründen?

Es genügt nicht, daß die Urtheilsfähigen unserer Nation sich von
diesem Treiben lossagen und jede Gemeinschaft mit demselben ablehnen, --
das Bedürfniß nach volksthümlichen Vereinigungen wird dadurch noch nicht
gestillt. Fehlen die wirklichen Lehrer, so werden falsche Propheten aufs Schild


zu seiner sonstigen Gewohnheit gehört und Geltung hat, wenn es sich mit
seinen wahren Führern zu politischer Arbeit verbindet. Die gepriesenen
„olympischen Spiele" des deutschen Volkes sind zu politischen Saturnalien herab¬
gesunken, in denen sich breit macht, was im wirklichen Leben für ungesund und
hirnverbrannt gilt, zu Vereinigungen denen im günstigsten Fall nachgerühmt
werden kann, daß sie nicht geschadet haben. Auf diese Weise wird das
Volksleben in direkten Gegensatz zum Staatsleben gebracht, das politische
Bewußtsein der Nation geradezu degenerirt. Der widerwärtige Eindruck,
unter welchem die Halbwege zurechnungsfähigen Festgenossen von dem wiener
Schützenfeste Abschied genommen haben, kann nur dazu führen, die nächste
Vereinigung dieser Art noch eine Stufe unter die heurige herabzudrücken und
die Communalvertretung der Stadt Leipzig hat nur ihre Pflicht gethan, in¬
dem sie die zweideutige Ehre, ihr Weichbild zum Schauplatz des nächsten der¬
artigen Posfenspiels gemacht zu sehen, höflichst abgelehnt hat. Die ursprüng¬
lichen, Zwecke, um deren Verfolgung es sich bei Begründung der deutschen
Turner- und Schützenbünde handelte, sind so vollständig in den Hintergrund
gedrängt und vergessen worden, daß von den in Wien versammelten Special-
correspondenten unserer deutschen Zeitungen, keinem in dem Sinn gekommen
ist, über die von den Schützen entwickelte Fertigkeit und die von denselben
gebrauchten Waffen ausführlich zu berichten, wir aus der Times erfahren
mußten, daß auch in dieser Beziehung so gut wie Nichts geleistet werde
und daß die Wehrhaftmachung des Volkes durch die Schützengesellschaften ein
bloßer Wahn sei.

Es wird heut' zu Tage viel und gern von dem großen Umschwung und
den eminenten Fortschritten geredet, welche das deutsche Volksleben seit den
letzten Jahren gemacht hat. Dabei aber scheint es geblieben zu sein, daß
unser Volk, dessen gewaltige Arbeitskraft und Arbeitslust in der ganzen ci-
vilisirten Welt Gegenstand freiwilliger und unfreiwilliger Anerkennung und
Bewunderung ist, lächerlich wird, sobald es als Volk auftritt, seine Würde zu
verlieren scheint, wenn es dieselbe in frohem Festgepränge zu adäquaten Aus¬
druck zu bringen versucht. Auch andere Nationen feiern Feste dieser Art, —
wäre es in England oder Frankreich aber auch nur denkbar, daß einer Ver¬
sammlung angesehener Bürger aus allen Theilen des Landes, von Leuten,
deren Einfluß im wirkichen Leben gleich Null ist, vorgepredigt würde, die
versammelte Festgenossenschaft sei berufen und befähigt, den Staat aus seinen
Angeln zu heben und eine neue Staats und Weltordnung zu begründen?

Es genügt nicht, daß die Urtheilsfähigen unserer Nation sich von
diesem Treiben lossagen und jede Gemeinschaft mit demselben ablehnen, —
das Bedürfniß nach volksthümlichen Vereinigungen wird dadurch noch nicht
gestillt. Fehlen die wirklichen Lehrer, so werden falsche Propheten aufs Schild


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/266>, abgerufen am 04.07.2024.