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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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derstämme) auszunutzen versuchten, erfolglos geblieben sind, so hätten wir
allen Grund mit den Resultaten der wiener Festwoche nicht weiter abzurechnen.

Aber die Sache hat noch eine andere Seite. Für einen nicht unbeträcht¬
lichen Theil unserer Nation sind die Schützen-, Turner- und Sängerversamm¬
lungen als wirklich nationale Festtage von Bedeutung und wirklichem Werth
gewesen. Jene Turner-, Sänger- und Schützcnvcrbindungen, welche sich in
den kleinsten Städten und Flecken Deutschlands wieder finden sind für Tau¬
sende fleißiger Männer eine wirkliche Wohlthat, sie fördern eine edlere Ge¬
selligkeit, sie bieten ein ideales Moment in Mitten des mechanischen Klap¬
perwerks täglicher saurer Arbeit, ein Surrogat für die naiven Volks- und
Kirchenfeste, welche uns seit dem Reformationszeitalter abhanden gekommen
sind. Daß sie ein wirklich vorhandenes Bedürfniß befriedigen, hat sich schon
durch ihre rasche Verbreitung und ihr noch immer zunehmendes Wachsthum
ausgewiesen und selbst die Gegner werden um die Antwort verlegen sein,
wenn man sie nach einem Aequivalent fragt. Daß sie als Mittel zur Er¬
reichung politischer Zwecke unbrauchbar sind, daß die vielgepriesene Annäherung
der verschiedenen Stämme durch Zusammenkünfte dieser Art auf eine Chimäre
hinausläuft, kann den Werth, den sie an und für sich haben, noch nicht
herabsetzen, ändert nichts an der Thatsache, daß sie einer gewissen Schichte
der Gesellschaft, zur geistigen Erhebung und zur Erweiterung des Gesichts¬
kreises dienen. Schon der eine Umstand, daß diese Festlichkeiten und noch
mehr die Genossenschaften, von denen sie ausgehen, zu Berührungen zwischen
den verschiedenen Bildungs- und Berufsklassen führen und dem gemeinen
Mann das Gefühl der Gemeinschaft mit den durch Bildung Pnvilegirten
geben, fällt dabei entscheidend ins Gewicht.

Diese Feste in Tummelplätze staatsfeindlicher Demagogie und politischen
Wahnsinns verwandeln, heißt ihnen die Axt an die Wurzel legen, unser
Volksleben um seine Würde und sein gutes Gewissen bringen. Es ist bereits
so weit gekommen, daß ein politischer Mann, der etwas auf sich hält, kaum
mehr an ihnen theilnehmen darf, weil ihm nur die Alternative gestellt ist,
in den Chorus geiht- und gewissenloser Phrasendrescher einzustimmen und die
albernsten aller überhaupt möglichen Gemeinplätze zu wiederholen oder als
Störenfried ausgewiesen zu werden. Bezeichnend genug ist es, daß selbst die
wiener Minister, die aus Rücksicht auf die Sympathien der maßgebenden
Bevölkerung zur Theilnahme an dem Schützenfeste gezwungen waren, sich
möglichst wohlfeil abzukaufen suchten und demselben den Rücken wandten,
so schnell es irgend thunlich war. Die Habituös und Wortführer dieser
Vereinigungen rekrutiren sich mehr und mehr aus verrufenen Winkelcoterien
und das Volk wird daran gewöhnt, an den Tagen, die es seine Nationalfeste
nennt, das Gegentheil von dem zu hören, zu sagen, und zu thun, was


derstämme) auszunutzen versuchten, erfolglos geblieben sind, so hätten wir
allen Grund mit den Resultaten der wiener Festwoche nicht weiter abzurechnen.

Aber die Sache hat noch eine andere Seite. Für einen nicht unbeträcht¬
lichen Theil unserer Nation sind die Schützen-, Turner- und Sängerversamm¬
lungen als wirklich nationale Festtage von Bedeutung und wirklichem Werth
gewesen. Jene Turner-, Sänger- und Schützcnvcrbindungen, welche sich in
den kleinsten Städten und Flecken Deutschlands wieder finden sind für Tau¬
sende fleißiger Männer eine wirkliche Wohlthat, sie fördern eine edlere Ge¬
selligkeit, sie bieten ein ideales Moment in Mitten des mechanischen Klap¬
perwerks täglicher saurer Arbeit, ein Surrogat für die naiven Volks- und
Kirchenfeste, welche uns seit dem Reformationszeitalter abhanden gekommen
sind. Daß sie ein wirklich vorhandenes Bedürfniß befriedigen, hat sich schon
durch ihre rasche Verbreitung und ihr noch immer zunehmendes Wachsthum
ausgewiesen und selbst die Gegner werden um die Antwort verlegen sein,
wenn man sie nach einem Aequivalent fragt. Daß sie als Mittel zur Er¬
reichung politischer Zwecke unbrauchbar sind, daß die vielgepriesene Annäherung
der verschiedenen Stämme durch Zusammenkünfte dieser Art auf eine Chimäre
hinausläuft, kann den Werth, den sie an und für sich haben, noch nicht
herabsetzen, ändert nichts an der Thatsache, daß sie einer gewissen Schichte
der Gesellschaft, zur geistigen Erhebung und zur Erweiterung des Gesichts¬
kreises dienen. Schon der eine Umstand, daß diese Festlichkeiten und noch
mehr die Genossenschaften, von denen sie ausgehen, zu Berührungen zwischen
den verschiedenen Bildungs- und Berufsklassen führen und dem gemeinen
Mann das Gefühl der Gemeinschaft mit den durch Bildung Pnvilegirten
geben, fällt dabei entscheidend ins Gewicht.

Diese Feste in Tummelplätze staatsfeindlicher Demagogie und politischen
Wahnsinns verwandeln, heißt ihnen die Axt an die Wurzel legen, unser
Volksleben um seine Würde und sein gutes Gewissen bringen. Es ist bereits
so weit gekommen, daß ein politischer Mann, der etwas auf sich hält, kaum
mehr an ihnen theilnehmen darf, weil ihm nur die Alternative gestellt ist,
in den Chorus geiht- und gewissenloser Phrasendrescher einzustimmen und die
albernsten aller überhaupt möglichen Gemeinplätze zu wiederholen oder als
Störenfried ausgewiesen zu werden. Bezeichnend genug ist es, daß selbst die
wiener Minister, die aus Rücksicht auf die Sympathien der maßgebenden
Bevölkerung zur Theilnahme an dem Schützenfeste gezwungen waren, sich
möglichst wohlfeil abzukaufen suchten und demselben den Rücken wandten,
so schnell es irgend thunlich war. Die Habituös und Wortführer dieser
Vereinigungen rekrutiren sich mehr und mehr aus verrufenen Winkelcoterien
und das Volk wird daran gewöhnt, an den Tagen, die es seine Nationalfeste
nennt, das Gegentheil von dem zu hören, zu sagen, und zu thun, was


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/265>, abgerufen am 04.07.2024.