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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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heit zu verleihen, eine weitere Anwendung von Farben unvermeidlich. Die
Gattung dieser componirter Sculptur, welche als die edelste galt und in der
Zeit der höchsten Kunstblüte durch Künstler wie Phidias und Polyklet
mit Vorliebe für Götterbilder angewendet wurde, die Plastik in Elfenbein
und Gold, hatte in einer, zwar in den Mitteln beschränkten, aber entschiedenen
Farbenwirkung wesentlich ihre eigenthümliche Bedeutung. Diesen Erscheinun¬
gen gegenüber hat man denn auch für Cultusbilder und deren Nachahmungen,
überhaupt für die älteste Sculptur und deren Reproduktion, die Polychromie
zugestanden. Um so eifriger suchte man der selbständig gewordenen Sculptur,
welche ohne Rücksicht auf den Cultus und dessen Traditionen, ganz losgelöst
von der Architectur sich ihre Aufgaben stellte, zur Ausführung das schöne
Material des Marmors wählte und die technische Bearbeitung desselben zur
höchsten Meisterschaft entwickelte, die farblose Reinheit des Steins zu vindi-
ciren. Allein gerade von Meistern, welche als die edelsten Repräsentanten
dieser Marmorsculptur gelten müssen, von Skopas und Praxiteles, sind
Nachrichten erhalten, welche beweisen, daß auch sie die Farbe nicht verschmä-
heten. An einem der gepriesensten Werke des Skopas, der in enthusiasti¬
scher Aufregung mit flatterndem Haar dahin stürmenden Bacchantin,
welche ein in der Raserei zerrissenes Böcklein in den Händen trug, wird
ausdrücklich hervorgehoben, wie die Wirkung durch die Farbe erhöht werde.
Bedeutsamer noch ist eine Aeußerung des Praxiteles. Auf die Frage,
welchem seiner Werke er den Vorzug gebe, erwiderte er, demjenigen, an wel¬
chem Niklas die Malerei ausgeführt habe. Wenn ein Bildhauer wie Praxi¬
teles solches Gewicht auf die Mitwirkung des Malers legte, mußte ihm die
Farbenwirkung als ein wesentliches, von ihm bestimmt berechnetes Moment
der Totalwirkung erscheinen; wenn ein namhafter Maler wie Niklas es nicht
verschmähte, Hand an die Bemalung von Statuen zu legen, so mußte dies
eine Aufgabe sein, bei welcher ein Künstler feinen Geschmack und gebildeten
Sinn für Harmonie der Farbe und ihr Zusammenstimmen mit der Sculptur
bewähren konnte. Auch in der spätern Zeit fehlt es nicht an Thatsachen
und Beweisen, welche dem ästhetischen Grundsatz von der farblosen Sculptur
das historische Fundament entziehen, womit freilich noch nicht die Unrichtig¬
keit desselben erwiesen ist -- denken ließe es sich ja, daß die moderne Aesthetik
das Rechte getroffen und die griechische Plastik geirrt hätte. Die Statue
des Augustus nun behält für diese Frage große Wichtigkeit, weil sie, das
Werk eines bedeutenden Künstlers, ein Bild des Kaisers, mit Meisterschaft
zum Schmuck einer kaiserlichen Villa ausgeführt, und als einer bestimmten
Zeit angehörig mit Sicherheit nachweisbar ist. Die Kunst zur Zeit des
Augustus war weder in einer einseitigen Vorliebe für das Alterthümliche
befangen, noch zu auffallenden und ungewöhnlichen Experimenten auf-


heit zu verleihen, eine weitere Anwendung von Farben unvermeidlich. Die
Gattung dieser componirter Sculptur, welche als die edelste galt und in der
Zeit der höchsten Kunstblüte durch Künstler wie Phidias und Polyklet
mit Vorliebe für Götterbilder angewendet wurde, die Plastik in Elfenbein
und Gold, hatte in einer, zwar in den Mitteln beschränkten, aber entschiedenen
Farbenwirkung wesentlich ihre eigenthümliche Bedeutung. Diesen Erscheinun¬
gen gegenüber hat man denn auch für Cultusbilder und deren Nachahmungen,
überhaupt für die älteste Sculptur und deren Reproduktion, die Polychromie
zugestanden. Um so eifriger suchte man der selbständig gewordenen Sculptur,
welche ohne Rücksicht auf den Cultus und dessen Traditionen, ganz losgelöst
von der Architectur sich ihre Aufgaben stellte, zur Ausführung das schöne
Material des Marmors wählte und die technische Bearbeitung desselben zur
höchsten Meisterschaft entwickelte, die farblose Reinheit des Steins zu vindi-
ciren. Allein gerade von Meistern, welche als die edelsten Repräsentanten
dieser Marmorsculptur gelten müssen, von Skopas und Praxiteles, sind
Nachrichten erhalten, welche beweisen, daß auch sie die Farbe nicht verschmä-
heten. An einem der gepriesensten Werke des Skopas, der in enthusiasti¬
scher Aufregung mit flatterndem Haar dahin stürmenden Bacchantin,
welche ein in der Raserei zerrissenes Böcklein in den Händen trug, wird
ausdrücklich hervorgehoben, wie die Wirkung durch die Farbe erhöht werde.
Bedeutsamer noch ist eine Aeußerung des Praxiteles. Auf die Frage,
welchem seiner Werke er den Vorzug gebe, erwiderte er, demjenigen, an wel¬
chem Niklas die Malerei ausgeführt habe. Wenn ein Bildhauer wie Praxi¬
teles solches Gewicht auf die Mitwirkung des Malers legte, mußte ihm die
Farbenwirkung als ein wesentliches, von ihm bestimmt berechnetes Moment
der Totalwirkung erscheinen; wenn ein namhafter Maler wie Niklas es nicht
verschmähte, Hand an die Bemalung von Statuen zu legen, so mußte dies
eine Aufgabe sein, bei welcher ein Künstler feinen Geschmack und gebildeten
Sinn für Harmonie der Farbe und ihr Zusammenstimmen mit der Sculptur
bewähren konnte. Auch in der spätern Zeit fehlt es nicht an Thatsachen
und Beweisen, welche dem ästhetischen Grundsatz von der farblosen Sculptur
das historische Fundament entziehen, womit freilich noch nicht die Unrichtig¬
keit desselben erwiesen ist — denken ließe es sich ja, daß die moderne Aesthetik
das Rechte getroffen und die griechische Plastik geirrt hätte. Die Statue
des Augustus nun behält für diese Frage große Wichtigkeit, weil sie, das
Werk eines bedeutenden Künstlers, ein Bild des Kaisers, mit Meisterschaft
zum Schmuck einer kaiserlichen Villa ausgeführt, und als einer bestimmten
Zeit angehörig mit Sicherheit nachweisbar ist. Die Kunst zur Zeit des
Augustus war weder in einer einseitigen Vorliebe für das Alterthümliche
befangen, noch zu auffallenden und ungewöhnlichen Experimenten auf-


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[0092] heit zu verleihen, eine weitere Anwendung von Farben unvermeidlich. Die Gattung dieser componirter Sculptur, welche als die edelste galt und in der Zeit der höchsten Kunstblüte durch Künstler wie Phidias und Polyklet mit Vorliebe für Götterbilder angewendet wurde, die Plastik in Elfenbein und Gold, hatte in einer, zwar in den Mitteln beschränkten, aber entschiedenen Farbenwirkung wesentlich ihre eigenthümliche Bedeutung. Diesen Erscheinun¬ gen gegenüber hat man denn auch für Cultusbilder und deren Nachahmungen, überhaupt für die älteste Sculptur und deren Reproduktion, die Polychromie zugestanden. Um so eifriger suchte man der selbständig gewordenen Sculptur, welche ohne Rücksicht auf den Cultus und dessen Traditionen, ganz losgelöst von der Architectur sich ihre Aufgaben stellte, zur Ausführung das schöne Material des Marmors wählte und die technische Bearbeitung desselben zur höchsten Meisterschaft entwickelte, die farblose Reinheit des Steins zu vindi- ciren. Allein gerade von Meistern, welche als die edelsten Repräsentanten dieser Marmorsculptur gelten müssen, von Skopas und Praxiteles, sind Nachrichten erhalten, welche beweisen, daß auch sie die Farbe nicht verschmä- heten. An einem der gepriesensten Werke des Skopas, der in enthusiasti¬ scher Aufregung mit flatterndem Haar dahin stürmenden Bacchantin, welche ein in der Raserei zerrissenes Böcklein in den Händen trug, wird ausdrücklich hervorgehoben, wie die Wirkung durch die Farbe erhöht werde. Bedeutsamer noch ist eine Aeußerung des Praxiteles. Auf die Frage, welchem seiner Werke er den Vorzug gebe, erwiderte er, demjenigen, an wel¬ chem Niklas die Malerei ausgeführt habe. Wenn ein Bildhauer wie Praxi¬ teles solches Gewicht auf die Mitwirkung des Malers legte, mußte ihm die Farbenwirkung als ein wesentliches, von ihm bestimmt berechnetes Moment der Totalwirkung erscheinen; wenn ein namhafter Maler wie Niklas es nicht verschmähte, Hand an die Bemalung von Statuen zu legen, so mußte dies eine Aufgabe sein, bei welcher ein Künstler feinen Geschmack und gebildeten Sinn für Harmonie der Farbe und ihr Zusammenstimmen mit der Sculptur bewähren konnte. Auch in der spätern Zeit fehlt es nicht an Thatsachen und Beweisen, welche dem ästhetischen Grundsatz von der farblosen Sculptur das historische Fundament entziehen, womit freilich noch nicht die Unrichtig¬ keit desselben erwiesen ist — denken ließe es sich ja, daß die moderne Aesthetik das Rechte getroffen und die griechische Plastik geirrt hätte. Die Statue des Augustus nun behält für diese Frage große Wichtigkeit, weil sie, das Werk eines bedeutenden Künstlers, ein Bild des Kaisers, mit Meisterschaft zum Schmuck einer kaiserlichen Villa ausgeführt, und als einer bestimmten Zeit angehörig mit Sicherheit nachweisbar ist. Die Kunst zur Zeit des Augustus war weder in einer einseitigen Vorliebe für das Alterthümliche befangen, noch zu auffallenden und ungewöhnlichen Experimenten auf-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/92>, abgerufen am 05.02.2025.