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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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fischen Sprache für den katholischen Gottesdienst durchzusetzen, so würde da¬
durch in der That ein neuer Abschnitt in der Geschichte nicht nur der polnisch¬
russischen Frage, sondern zugleich des russischen Staatslebens inaugurirt.
Wird es in Zukunft möglich, ein rechter Russe und doch kein "Rechtgläubiger"
zu sein, so muß die Stellung der griechisch-orthodoxen Kirche in Rußland bin¬
nen Jahr und Tag eine andere, der Begriff des Staatskirchenthums wenn nicht
aufgelöst, so doch wesentlich alterirt sein. Gerade aus diesem Grunde stößt
die neue Doctrin der Beherrscherin unserer öffentlichen Meinung allenthalben
auf den lebhaftesten Widerspruch. Nicht nur die Geistlichkeit und die Mehr¬
zahl der Beamten, welche als Genossen der kirchlichen Propaganda glänzende
Geschäfte gemacht haben, auch ein großer Theil der unabhängigen Politiker
will von dieser Meinung nichts wissen, zumal die Partei der Slavophilen,
der russischen Romantiker, die an den "byzantinischen Grundlagen" der rus¬
sischen Cultur festhält und von keinem Verzicht auf die künftige Weltherrschaft,
zu welcher sie die orientalische Kirche berufen glaubt, etwas wissen will.
Schon vor Jahren verkündeten die Repräsentanten dieser Richtung in einem
an die Serben gerichteten Sendschreiben, die Begriffe Slave und griechisch¬
orthodoxen Christ seien gleichbedeutend und ein Andersgläubiger dürfe aus die¬
sem Grunde in einem wahrhaft slavischen Staat niemals Vollbürger werden.

Die, Sache ist für die Zukunft Rußlands von größter Bedeutung,
denn sie wird zugleich für die Zukunft des Protestantismus, den man der
Ostseeprovinzen wegen mit Deutschthum zu identificiren gewohnt ist, endlich
für die seit lange in Aussicht genommene Emancipation der Juden, welche
gleichfalls von den Slavophilen bekämpft wird, maßgebend. Der Ausgang
entzieht sich aller Wahrscheinlichkcitsberechnung, zumal der erste russische Geist¬
liche, der Metropolit Philaret von Moskau, der einen großen Einfluß auf die
Entschließungen des Kaisers übte, vor einigen Wochen verstorben und zur
Zeit noch nicht ersetzt ist. Unter allen Umständen wird es einen harten
Kampf gegen die nationale Intoleranz und eine uralte Tradition kosten, wenn
die Moskauische Zeitung Siegerin bleiben soll. Neuerdings hat die hier er¬
scheinende Monatschrift "Westnik" in derselben Angelegenheit das Wort er¬
griffen und die Vorschläge der Most. Zeitung zur Begründung einer russischen
katholischen Kirche mit einer Reihe politischer und dogmatisch-theologischer
Gründe unterstützt, die entgegengesetzte Ansicht wird hauptsächlich durch Jurry
Samario, eines der einflußreichsten Glieder des weiland polnischen Organi-
sationscomitös, verfochten. Der Verlauf dieser Debatte wird von der czechi-
schen und kroatischen Presse mit dem gleichen Eiser verfolgt, wie von der
gesammten russischen Gesellschaft; ihre Entscheidung wird eine neue wichtige
Epoche in der Geschichte der panslavistischen Idee bezeichnen und ihr gegen¬
wärtiges Stadium legt bereits von dem praktischen Ernst Zeugniß ab, mit


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fischen Sprache für den katholischen Gottesdienst durchzusetzen, so würde da¬
durch in der That ein neuer Abschnitt in der Geschichte nicht nur der polnisch¬
russischen Frage, sondern zugleich des russischen Staatslebens inaugurirt.
Wird es in Zukunft möglich, ein rechter Russe und doch kein „Rechtgläubiger"
zu sein, so muß die Stellung der griechisch-orthodoxen Kirche in Rußland bin¬
nen Jahr und Tag eine andere, der Begriff des Staatskirchenthums wenn nicht
aufgelöst, so doch wesentlich alterirt sein. Gerade aus diesem Grunde stößt
die neue Doctrin der Beherrscherin unserer öffentlichen Meinung allenthalben
auf den lebhaftesten Widerspruch. Nicht nur die Geistlichkeit und die Mehr¬
zahl der Beamten, welche als Genossen der kirchlichen Propaganda glänzende
Geschäfte gemacht haben, auch ein großer Theil der unabhängigen Politiker
will von dieser Meinung nichts wissen, zumal die Partei der Slavophilen,
der russischen Romantiker, die an den „byzantinischen Grundlagen" der rus¬
sischen Cultur festhält und von keinem Verzicht auf die künftige Weltherrschaft,
zu welcher sie die orientalische Kirche berufen glaubt, etwas wissen will.
Schon vor Jahren verkündeten die Repräsentanten dieser Richtung in einem
an die Serben gerichteten Sendschreiben, die Begriffe Slave und griechisch¬
orthodoxen Christ seien gleichbedeutend und ein Andersgläubiger dürfe aus die¬
sem Grunde in einem wahrhaft slavischen Staat niemals Vollbürger werden.

Die, Sache ist für die Zukunft Rußlands von größter Bedeutung,
denn sie wird zugleich für die Zukunft des Protestantismus, den man der
Ostseeprovinzen wegen mit Deutschthum zu identificiren gewohnt ist, endlich
für die seit lange in Aussicht genommene Emancipation der Juden, welche
gleichfalls von den Slavophilen bekämpft wird, maßgebend. Der Ausgang
entzieht sich aller Wahrscheinlichkcitsberechnung, zumal der erste russische Geist¬
liche, der Metropolit Philaret von Moskau, der einen großen Einfluß auf die
Entschließungen des Kaisers übte, vor einigen Wochen verstorben und zur
Zeit noch nicht ersetzt ist. Unter allen Umständen wird es einen harten
Kampf gegen die nationale Intoleranz und eine uralte Tradition kosten, wenn
die Moskauische Zeitung Siegerin bleiben soll. Neuerdings hat die hier er¬
scheinende Monatschrift „Westnik" in derselben Angelegenheit das Wort er¬
griffen und die Vorschläge der Most. Zeitung zur Begründung einer russischen
katholischen Kirche mit einer Reihe politischer und dogmatisch-theologischer
Gründe unterstützt, die entgegengesetzte Ansicht wird hauptsächlich durch Jurry
Samario, eines der einflußreichsten Glieder des weiland polnischen Organi-
sationscomitös, verfochten. Der Verlauf dieser Debatte wird von der czechi-
schen und kroatischen Presse mit dem gleichen Eiser verfolgt, wie von der
gesammten russischen Gesellschaft; ihre Entscheidung wird eine neue wichtige
Epoche in der Geschichte der panslavistischen Idee bezeichnen und ihr gegen¬
wärtiges Stadium legt bereits von dem praktischen Ernst Zeugniß ab, mit


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[0081] fischen Sprache für den katholischen Gottesdienst durchzusetzen, so würde da¬ durch in der That ein neuer Abschnitt in der Geschichte nicht nur der polnisch¬ russischen Frage, sondern zugleich des russischen Staatslebens inaugurirt. Wird es in Zukunft möglich, ein rechter Russe und doch kein „Rechtgläubiger" zu sein, so muß die Stellung der griechisch-orthodoxen Kirche in Rußland bin¬ nen Jahr und Tag eine andere, der Begriff des Staatskirchenthums wenn nicht aufgelöst, so doch wesentlich alterirt sein. Gerade aus diesem Grunde stößt die neue Doctrin der Beherrscherin unserer öffentlichen Meinung allenthalben auf den lebhaftesten Widerspruch. Nicht nur die Geistlichkeit und die Mehr¬ zahl der Beamten, welche als Genossen der kirchlichen Propaganda glänzende Geschäfte gemacht haben, auch ein großer Theil der unabhängigen Politiker will von dieser Meinung nichts wissen, zumal die Partei der Slavophilen, der russischen Romantiker, die an den „byzantinischen Grundlagen" der rus¬ sischen Cultur festhält und von keinem Verzicht auf die künftige Weltherrschaft, zu welcher sie die orientalische Kirche berufen glaubt, etwas wissen will. Schon vor Jahren verkündeten die Repräsentanten dieser Richtung in einem an die Serben gerichteten Sendschreiben, die Begriffe Slave und griechisch¬ orthodoxen Christ seien gleichbedeutend und ein Andersgläubiger dürfe aus die¬ sem Grunde in einem wahrhaft slavischen Staat niemals Vollbürger werden. Die, Sache ist für die Zukunft Rußlands von größter Bedeutung, denn sie wird zugleich für die Zukunft des Protestantismus, den man der Ostseeprovinzen wegen mit Deutschthum zu identificiren gewohnt ist, endlich für die seit lange in Aussicht genommene Emancipation der Juden, welche gleichfalls von den Slavophilen bekämpft wird, maßgebend. Der Ausgang entzieht sich aller Wahrscheinlichkcitsberechnung, zumal der erste russische Geist¬ liche, der Metropolit Philaret von Moskau, der einen großen Einfluß auf die Entschließungen des Kaisers übte, vor einigen Wochen verstorben und zur Zeit noch nicht ersetzt ist. Unter allen Umständen wird es einen harten Kampf gegen die nationale Intoleranz und eine uralte Tradition kosten, wenn die Moskauische Zeitung Siegerin bleiben soll. Neuerdings hat die hier er¬ scheinende Monatschrift „Westnik" in derselben Angelegenheit das Wort er¬ griffen und die Vorschläge der Most. Zeitung zur Begründung einer russischen katholischen Kirche mit einer Reihe politischer und dogmatisch-theologischer Gründe unterstützt, die entgegengesetzte Ansicht wird hauptsächlich durch Jurry Samario, eines der einflußreichsten Glieder des weiland polnischen Organi- sationscomitös, verfochten. Der Verlauf dieser Debatte wird von der czechi- schen und kroatischen Presse mit dem gleichen Eiser verfolgt, wie von der gesammten russischen Gesellschaft; ihre Entscheidung wird eine neue wichtige Epoche in der Geschichte der panslavistischen Idee bezeichnen und ihr gegen¬ wärtiges Stadium legt bereits von dem praktischen Ernst Zeugniß ab, mit Grenzboten I. tL68. 10

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/81>, abgerufen am 25.08.2024.