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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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von den Murawjew. Kaufmann. Annenkow, Kryschanarski und Befall ebenso
an der Vernichtung des polnischen Adels wie der katholischen Geistlichkeit,
welche die Hauptträgerin des unglücklichen Aufstandes gewesen war. gear¬
beitet; der Uebertritt zur "rechtgläubigen" Kirche ist für Tausende von Indi¬
viduen, welche mit Recht oder Unrecht für compromittirt gelten, das einzige
Mittel zur Rettung, von Galgen und Exil gewesen, denn es galt für aus¬
gemacht, daß der Wechsel der Religion mit dem Wechsel der Nationalität iden¬
tisch sei. Aehnlich ist es in dem nördlichen Theil des Königreichs Polen zu¬
gegangen, und daß der propagandistische Eifer der Popen nicht ganz resultat¬
los gewesen ist, geht aus den nach zehntausenden zählenden Conversionen
Hervor, welche während des abgelaufenen Jahres allein im Gouvernement
Korono vorgenommen worden sind. Die klarer Sehenden unter den Häup¬
tern der, nationalen Russificationspartei erkannten indessen bald, daß mit
diesen Scheinerfolgen im Grunde nichts gewonnen sei, daß der confessionelle
Eifer der Propagandisten vielmehr dem polnischen Widerstande in die Hände
arbeite und das Volk gegen die wesentlich politischen Absichten der Regie¬
rung mißtrauisch mache. Die Moskaner Zeitung war es, welche zuerst
verkündete, eine Institution wie die katholische Kirche auszurotten, sei
Rußland außer Stande. Die Herausgeber dieser Zeitung, die es auf
nichts weniger als die allmähliche Assimilation auch der bäuerlichen Be¬
völkerung des Königreichs absahen, konnten sich der Einsicht nicht ent¬
ziehen, daß man die polnischen Bauern allenfalls zu Russen, aber nimmer¬
mehr zu Rechtgläubigen machen könne und daß die russische Sache durch
ihre Unduldsamkeit gegen den Katholicismus in den Augen der katho¬
lischen Slavenstämme zum entschiedenen Schaden der panslavistischen Sache
compromittirt werde. Den bestehenden Gesetzen gemäß ist es streng verboten,
den katholischen oder irgend einen andern "fremdgläubigen" Gottesdienste in
russischer Sprache zu celebriren; die Furcht vor einer katholischen Propaganda,
welche mindestens so alt ist wie die gegenwärtig herrschende Dynastie, hat
dieses Verbot schon vor Jahrhunderten erlassen und unerbittlich aufrecht er¬
halten. Selbst in den Provinzen, in denen der Gebrauch der polnischen
Sprache bei Strafe untersagt ist, werden alle katholische Amtshandlun¬
gen und Liturgien polnisch oder lateinisch celebrirt. Gegen dieses Gesetz
hat die Moskaner Zeitung neuerdings eine lebhafte Polemik begonnen: mit
vielem Scharfsinn wird entwickelt, wie widersinnig es sei, die katholische
Kirche, die man einmal nicht ausrotten könne, zum Instrument der Polo-
nisirung, gewissermaßen zur polnischen Staatskirche zu machen und dabei die
polnische Staatsidee auf Tod und Leben zu bekämpfen -- ein und dieselbe
Sprache für kirchliche Handlungen obligatorisch zu machen und im profanen
Leben zu verfolgen. Gelingt es der Moskaner Zeitung, die Zulassung der ruf-


von den Murawjew. Kaufmann. Annenkow, Kryschanarski und Befall ebenso
an der Vernichtung des polnischen Adels wie der katholischen Geistlichkeit,
welche die Hauptträgerin des unglücklichen Aufstandes gewesen war. gear¬
beitet; der Uebertritt zur „rechtgläubigen" Kirche ist für Tausende von Indi¬
viduen, welche mit Recht oder Unrecht für compromittirt gelten, das einzige
Mittel zur Rettung, von Galgen und Exil gewesen, denn es galt für aus¬
gemacht, daß der Wechsel der Religion mit dem Wechsel der Nationalität iden¬
tisch sei. Aehnlich ist es in dem nördlichen Theil des Königreichs Polen zu¬
gegangen, und daß der propagandistische Eifer der Popen nicht ganz resultat¬
los gewesen ist, geht aus den nach zehntausenden zählenden Conversionen
Hervor, welche während des abgelaufenen Jahres allein im Gouvernement
Korono vorgenommen worden sind. Die klarer Sehenden unter den Häup¬
tern der, nationalen Russificationspartei erkannten indessen bald, daß mit
diesen Scheinerfolgen im Grunde nichts gewonnen sei, daß der confessionelle
Eifer der Propagandisten vielmehr dem polnischen Widerstande in die Hände
arbeite und das Volk gegen die wesentlich politischen Absichten der Regie¬
rung mißtrauisch mache. Die Moskaner Zeitung war es, welche zuerst
verkündete, eine Institution wie die katholische Kirche auszurotten, sei
Rußland außer Stande. Die Herausgeber dieser Zeitung, die es auf
nichts weniger als die allmähliche Assimilation auch der bäuerlichen Be¬
völkerung des Königreichs absahen, konnten sich der Einsicht nicht ent¬
ziehen, daß man die polnischen Bauern allenfalls zu Russen, aber nimmer¬
mehr zu Rechtgläubigen machen könne und daß die russische Sache durch
ihre Unduldsamkeit gegen den Katholicismus in den Augen der katho¬
lischen Slavenstämme zum entschiedenen Schaden der panslavistischen Sache
compromittirt werde. Den bestehenden Gesetzen gemäß ist es streng verboten,
den katholischen oder irgend einen andern „fremdgläubigen" Gottesdienste in
russischer Sprache zu celebriren; die Furcht vor einer katholischen Propaganda,
welche mindestens so alt ist wie die gegenwärtig herrschende Dynastie, hat
dieses Verbot schon vor Jahrhunderten erlassen und unerbittlich aufrecht er¬
halten. Selbst in den Provinzen, in denen der Gebrauch der polnischen
Sprache bei Strafe untersagt ist, werden alle katholische Amtshandlun¬
gen und Liturgien polnisch oder lateinisch celebrirt. Gegen dieses Gesetz
hat die Moskaner Zeitung neuerdings eine lebhafte Polemik begonnen: mit
vielem Scharfsinn wird entwickelt, wie widersinnig es sei, die katholische
Kirche, die man einmal nicht ausrotten könne, zum Instrument der Polo-
nisirung, gewissermaßen zur polnischen Staatskirche zu machen und dabei die
polnische Staatsidee auf Tod und Leben zu bekämpfen — ein und dieselbe
Sprache für kirchliche Handlungen obligatorisch zu machen und im profanen
Leben zu verfolgen. Gelingt es der Moskaner Zeitung, die Zulassung der ruf-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/80>, abgerufen am 25.08.2024.