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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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noch beträchtlich genährt worden ist, hat dieser Congreß aber unleugbar im
engsten Zusammenhang gestanden und man irrt vollständig, wenn man sich
dem-Glauben hingibt, die Wirkungen desselben hätten seine Dauer nicht über¬
lebt. Allerdings waren die Eindrücke, unter welchen man sich nach Abschluß
der langen Reihe hier und in Petersburg gefeierter Feste trennte, zum Theil
höchst peinlicher Natur: trotz der maßvollen Art, mit welcher Ryger für die
Polen eingetreten war und trotz der Selbstbeherrschung, mit welcher dieser
Czechenführer die bitteren Ausfälle des Fürsten Tscherkaßtly unbeantwortet ge¬
lassen hatte, empfand man auf beiden Seiten, daß zwischen griechisch-orthodoxen
und römisch-katholischen Slaven eine Verständigung über die polnische Frage
nicht möglich sei, und daß die Czechen (die man als die Führer des östreichischen
Panslavismus betrachtete und mit besonderer Zuvorkommenheit behandelte)
von ihren alten Verbindungen mit den Polen nicht lassen würden. Aber die
Czechen waren nicht die einzigen Gäste gewesen, welche die Pilgerfahrt in
die weißsteinerne Moskwa unternommen hatten; gerade die geistige Unbe¬
deutendheit der Repräsentanten Serbiens, Slavoniens u. s. w. hatte auf die
Führer unserer Nationalpartei einen höchst befriedigenden Eindruck gemacht
und dieselben in der Ueberzeugung befestigt, Nußland könne mit Sicherheit
daraufrechnen, die unbeschränkte Gebieterin der slavischen Welt zu bleiben.

Daß die ungebildete Masse unserer Stadtkaufleute und städtischer
Bauern mit den Stammesgenossen von der Donau in Berührung gekom¬
men war, dieselben mit Augen gesehen und sich davon überzeugt hatte, daß
die oft genannten Brüder, welche unter türkischem Joch schmachteten, wirk¬
lich von demselben Fleisch und Bein seien, wie die Bewohner der Mutter
Wolga und des Don, fiel gleichfalls ins Gewicht. Während die Nachrichten
aus der außerrussischen Slavenwelt, welche die größeren Journale seit Jahren
veröffentlichten, bis dazu nur aus den gebildetsten Theil ihrer Leser zu rechnen
hatten, wird die "slavische Rundschau" überschriebene Rubrik, welche sich
neuerdings auch in den unbedeutenden Volksblättern wiederfindet, seit dem
Sommer v. I. auch vom gemeinen Mann gelesen und in Erwägung gezogen.
Wichtiger noch ist, daß die schon früher mit den Donauslaven angeknüpften Ver¬
bindungen seit dem Sommer an Lebhaftigkeit und Umfang beträchtlich gewonnen
haben. Mag auch der größte Theil der nach Prag, Agram, Warasdin oder
Neusatz gesendeten russischen Bücher und Zeitschriften ungelesen bleiben, ist es
auch sicher übertrieben, wenn die Narodny Listy bereits gegenwärtig von den
ungeheuren Fortschritten reden, welche die Kenntniß der russischen Sprache
unter den östreichischen Slaven gemacht habe, so steht doch fest, daß der
Verkehr zwischen hüben und drüben niemals so lebhaft gewesen ist, als wäh¬
rend der letzten Wochen. Ueber den Inhalt der in Oestreich erscheinenden
slavischen Parteiblätter ist man bei uns regelmäßig auf das genaueste unter-


noch beträchtlich genährt worden ist, hat dieser Congreß aber unleugbar im
engsten Zusammenhang gestanden und man irrt vollständig, wenn man sich
dem-Glauben hingibt, die Wirkungen desselben hätten seine Dauer nicht über¬
lebt. Allerdings waren die Eindrücke, unter welchen man sich nach Abschluß
der langen Reihe hier und in Petersburg gefeierter Feste trennte, zum Theil
höchst peinlicher Natur: trotz der maßvollen Art, mit welcher Ryger für die
Polen eingetreten war und trotz der Selbstbeherrschung, mit welcher dieser
Czechenführer die bitteren Ausfälle des Fürsten Tscherkaßtly unbeantwortet ge¬
lassen hatte, empfand man auf beiden Seiten, daß zwischen griechisch-orthodoxen
und römisch-katholischen Slaven eine Verständigung über die polnische Frage
nicht möglich sei, und daß die Czechen (die man als die Führer des östreichischen
Panslavismus betrachtete und mit besonderer Zuvorkommenheit behandelte)
von ihren alten Verbindungen mit den Polen nicht lassen würden. Aber die
Czechen waren nicht die einzigen Gäste gewesen, welche die Pilgerfahrt in
die weißsteinerne Moskwa unternommen hatten; gerade die geistige Unbe¬
deutendheit der Repräsentanten Serbiens, Slavoniens u. s. w. hatte auf die
Führer unserer Nationalpartei einen höchst befriedigenden Eindruck gemacht
und dieselben in der Ueberzeugung befestigt, Nußland könne mit Sicherheit
daraufrechnen, die unbeschränkte Gebieterin der slavischen Welt zu bleiben.

Daß die ungebildete Masse unserer Stadtkaufleute und städtischer
Bauern mit den Stammesgenossen von der Donau in Berührung gekom¬
men war, dieselben mit Augen gesehen und sich davon überzeugt hatte, daß
die oft genannten Brüder, welche unter türkischem Joch schmachteten, wirk¬
lich von demselben Fleisch und Bein seien, wie die Bewohner der Mutter
Wolga und des Don, fiel gleichfalls ins Gewicht. Während die Nachrichten
aus der außerrussischen Slavenwelt, welche die größeren Journale seit Jahren
veröffentlichten, bis dazu nur aus den gebildetsten Theil ihrer Leser zu rechnen
hatten, wird die „slavische Rundschau" überschriebene Rubrik, welche sich
neuerdings auch in den unbedeutenden Volksblättern wiederfindet, seit dem
Sommer v. I. auch vom gemeinen Mann gelesen und in Erwägung gezogen.
Wichtiger noch ist, daß die schon früher mit den Donauslaven angeknüpften Ver¬
bindungen seit dem Sommer an Lebhaftigkeit und Umfang beträchtlich gewonnen
haben. Mag auch der größte Theil der nach Prag, Agram, Warasdin oder
Neusatz gesendeten russischen Bücher und Zeitschriften ungelesen bleiben, ist es
auch sicher übertrieben, wenn die Narodny Listy bereits gegenwärtig von den
ungeheuren Fortschritten reden, welche die Kenntniß der russischen Sprache
unter den östreichischen Slaven gemacht habe, so steht doch fest, daß der
Verkehr zwischen hüben und drüben niemals so lebhaft gewesen ist, als wäh¬
rend der letzten Wochen. Ueber den Inhalt der in Oestreich erscheinenden
slavischen Parteiblätter ist man bei uns regelmäßig auf das genaueste unter-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/77>, abgerufen am 24.08.2024.