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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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ist ein höherer würtembergischer Offizier im activen Dienste. Die Stutt¬
garter Bürgerzeitung, das Organ des Hoff und der Regierung, besprach
laut dies neu verkündete antipreußische Project -- das Heft der Zeitschrift
war nämlich kaum erschienen -- und empfahl auf das wärmste den Herren
Abgeordneten diese vortreffliche Abhandlung zum Studium und zur ernstesten
Erwägung.

Ich habe Ihnen die "Drei Tage in Würtemberg" erzählt; und da eine
jegliche Geschichte auch ihre Moral haben muß -- so behauptet nämlich der
Hosschulze in Immermanns Münchhausen -- so will ich versuchen, ob es
mir gelingt, einige Nutzanwendung aus dem Erzählten zu ziehen.

Herr von Varnbüler gilt für einen klugen Mann, und wie mir scheint,
nicht mit Unrecht. Sein "Wehe den Besiegten!" beweist nichts dagegen. Es
beruhte auf dem Glauben der Ueberlegenheit der östreichischen Armee; und
dieser Glaube war ja damals an den mittlern und kleinen Höfen der allein¬
herrschende und alleinseligmachende. Kein Wunder, daß sich ein kluger, aber
in militärischen Dingen völlig unkundiger Mann, wie Herr von Varnbüler,
demselben nicht entzieh" konnte.

Daß er später die Situation richtig auffaßte, beweißt die Bereitwillig¬
keit, mit der er auf den Abschluß des Allianzvertrages vom 13. August 18KC
und auf den des Zollvereinsvertrags vom 8. Juli 1867 einging, und der
Eifer und das Geschick, die er zeigte, diese Verträge glücklich zwischen der
Scilla der ersten uno der Charybdis der zweiten Kammer durchzulootsen. Er
verdarb es dadurch mit der östreichischen Partei, sowohl mit der radicalen,
als auch mit der reactionären, sowohl mit Karl Mayer, als auch mit dem
Freiherrn von Neurath, welchen Varnbüler aus dem Sattel gehoben hat,
und der gerade nicht vergeßlichen Gemüths ist.

Gewiß hat Varnbüler, nachdem er es mit der östreichischen Partei so
gründlich verdorben, daß er von derselben, trotzdem, daß er ihr Jahre lang
das schwere Opfer brachte, an der Spitze des geiht- und trostlosen großdeut-
schen, Vereins zu stehen und in dieser Eigenschaft zeitweise den Salons des
Senators Bernus in Frankfurt am Main als Decoration dienen zu müssen,
schwerlich jemals wieder zu Gnaden an- und aufgenommen werden wird,
gegenwärtig selbst wenig Gelüste, es nun auch obendrein mit der nationalen
Partei zu verderben und sich so gleichsam zwischen zwei Stühle zu setzen.

Wenn nun aber trotzdem seine Handlungen den Schein erzeugen, als sei
er im Begriff, eine so bedenkliche Evolution auszuführen, so muß man,
(natürlich immer vorausgesetzt, daß die Annahme, Herr von Varnbüler sei
ein kluger Mann, in Wahrheit begründet ist), nothwendiger Weise schließen,
diese Handlungen seien nicht von obbemeldeter intersellarischer Tendenz, son¬
dern von anderweitigen zwingenden Motiven dictirt.


ist ein höherer würtembergischer Offizier im activen Dienste. Die Stutt¬
garter Bürgerzeitung, das Organ des Hoff und der Regierung, besprach
laut dies neu verkündete antipreußische Project — das Heft der Zeitschrift
war nämlich kaum erschienen — und empfahl auf das wärmste den Herren
Abgeordneten diese vortreffliche Abhandlung zum Studium und zur ernstesten
Erwägung.

Ich habe Ihnen die „Drei Tage in Würtemberg" erzählt; und da eine
jegliche Geschichte auch ihre Moral haben muß — so behauptet nämlich der
Hosschulze in Immermanns Münchhausen — so will ich versuchen, ob es
mir gelingt, einige Nutzanwendung aus dem Erzählten zu ziehen.

Herr von Varnbüler gilt für einen klugen Mann, und wie mir scheint,
nicht mit Unrecht. Sein „Wehe den Besiegten!" beweist nichts dagegen. Es
beruhte auf dem Glauben der Ueberlegenheit der östreichischen Armee; und
dieser Glaube war ja damals an den mittlern und kleinen Höfen der allein¬
herrschende und alleinseligmachende. Kein Wunder, daß sich ein kluger, aber
in militärischen Dingen völlig unkundiger Mann, wie Herr von Varnbüler,
demselben nicht entzieh» konnte.

Daß er später die Situation richtig auffaßte, beweißt die Bereitwillig¬
keit, mit der er auf den Abschluß des Allianzvertrages vom 13. August 18KC
und auf den des Zollvereinsvertrags vom 8. Juli 1867 einging, und der
Eifer und das Geschick, die er zeigte, diese Verträge glücklich zwischen der
Scilla der ersten uno der Charybdis der zweiten Kammer durchzulootsen. Er
verdarb es dadurch mit der östreichischen Partei, sowohl mit der radicalen,
als auch mit der reactionären, sowohl mit Karl Mayer, als auch mit dem
Freiherrn von Neurath, welchen Varnbüler aus dem Sattel gehoben hat,
und der gerade nicht vergeßlichen Gemüths ist.

Gewiß hat Varnbüler, nachdem er es mit der östreichischen Partei so
gründlich verdorben, daß er von derselben, trotzdem, daß er ihr Jahre lang
das schwere Opfer brachte, an der Spitze des geiht- und trostlosen großdeut-
schen, Vereins zu stehen und in dieser Eigenschaft zeitweise den Salons des
Senators Bernus in Frankfurt am Main als Decoration dienen zu müssen,
schwerlich jemals wieder zu Gnaden an- und aufgenommen werden wird,
gegenwärtig selbst wenig Gelüste, es nun auch obendrein mit der nationalen
Partei zu verderben und sich so gleichsam zwischen zwei Stühle zu setzen.

Wenn nun aber trotzdem seine Handlungen den Schein erzeugen, als sei
er im Begriff, eine so bedenkliche Evolution auszuführen, so muß man,
(natürlich immer vorausgesetzt, daß die Annahme, Herr von Varnbüler sei
ein kluger Mann, in Wahrheit begründet ist), nothwendiger Weise schließen,
diese Handlungen seien nicht von obbemeldeter intersellarischer Tendenz, son¬
dern von anderweitigen zwingenden Motiven dictirt.


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[0072] ist ein höherer würtembergischer Offizier im activen Dienste. Die Stutt¬ garter Bürgerzeitung, das Organ des Hoff und der Regierung, besprach laut dies neu verkündete antipreußische Project — das Heft der Zeitschrift war nämlich kaum erschienen — und empfahl auf das wärmste den Herren Abgeordneten diese vortreffliche Abhandlung zum Studium und zur ernstesten Erwägung. Ich habe Ihnen die „Drei Tage in Würtemberg" erzählt; und da eine jegliche Geschichte auch ihre Moral haben muß — so behauptet nämlich der Hosschulze in Immermanns Münchhausen — so will ich versuchen, ob es mir gelingt, einige Nutzanwendung aus dem Erzählten zu ziehen. Herr von Varnbüler gilt für einen klugen Mann, und wie mir scheint, nicht mit Unrecht. Sein „Wehe den Besiegten!" beweist nichts dagegen. Es beruhte auf dem Glauben der Ueberlegenheit der östreichischen Armee; und dieser Glaube war ja damals an den mittlern und kleinen Höfen der allein¬ herrschende und alleinseligmachende. Kein Wunder, daß sich ein kluger, aber in militärischen Dingen völlig unkundiger Mann, wie Herr von Varnbüler, demselben nicht entzieh» konnte. Daß er später die Situation richtig auffaßte, beweißt die Bereitwillig¬ keit, mit der er auf den Abschluß des Allianzvertrages vom 13. August 18KC und auf den des Zollvereinsvertrags vom 8. Juli 1867 einging, und der Eifer und das Geschick, die er zeigte, diese Verträge glücklich zwischen der Scilla der ersten uno der Charybdis der zweiten Kammer durchzulootsen. Er verdarb es dadurch mit der östreichischen Partei, sowohl mit der radicalen, als auch mit der reactionären, sowohl mit Karl Mayer, als auch mit dem Freiherrn von Neurath, welchen Varnbüler aus dem Sattel gehoben hat, und der gerade nicht vergeßlichen Gemüths ist. Gewiß hat Varnbüler, nachdem er es mit der östreichischen Partei so gründlich verdorben, daß er von derselben, trotzdem, daß er ihr Jahre lang das schwere Opfer brachte, an der Spitze des geiht- und trostlosen großdeut- schen, Vereins zu stehen und in dieser Eigenschaft zeitweise den Salons des Senators Bernus in Frankfurt am Main als Decoration dienen zu müssen, schwerlich jemals wieder zu Gnaden an- und aufgenommen werden wird, gegenwärtig selbst wenig Gelüste, es nun auch obendrein mit der nationalen Partei zu verderben und sich so gleichsam zwischen zwei Stühle zu setzen. Wenn nun aber trotzdem seine Handlungen den Schein erzeugen, als sei er im Begriff, eine so bedenkliche Evolution auszuführen, so muß man, (natürlich immer vorausgesetzt, daß die Annahme, Herr von Varnbüler sei ein kluger Mann, in Wahrheit begründet ist), nothwendiger Weise schließen, diese Handlungen seien nicht von obbemeldeter intersellarischer Tendenz, son¬ dern von anderweitigen zwingenden Motiven dictirt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/72>, abgerufen am 05.02.2025.