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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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vernommene Aeußerung eines süddeutschen Ministers, und daß ein solcher
eine so klare Wahrheit noch so sehr verkenne. Für den Minister sei er
erschrocken, nicht für die Ereignisse und deren unerbittliche Logik, an der
jener nichts ändern könne. Der Schreck habe aber alsbald sich wieder ge¬
legt, als ihm eingefallen, daß vor zwei Jahren derselbe Minister die Aner¬
kennung des Königreichs Italien auf das schroffste abgelehnt, der nun für
die Besoldung eines Gesandten in Florenz kämpfe, und wie sehr und wie
schnell die Auffassung der deutschen Frage bei eben demselben Minister ge¬
wechselt. Der Schreck sei aber ganz geschwunden, fuhr Professor Römer fort,
als er die elegisch-fromme Schlußtirade der ministeriellen Rede vernommen;
des Herrn Ministers Hinweisung auf die Unterwerfung unter die Vorsehung
und die Geschicke habe ihn vollständig beruhigt; sie berechtige ihn zu der
Hoffnung, daß Herr von Varnbüler selbst noch in diesem Hause den Eintritt
Würtembergs beantragen und auch durchsetzen und sich so ein weiteres großes
Verdienst um das Land und die Dynastie erwerben werde."

Dies war der zweite Tag am Wendekreise des Krebses. Allein auch der
dritte ermangelte nicht seiner Lorbeeren. Die Militärcommission wollte, bevor sie
in die Berathung des Wehrgesetzentwurfs eintrat, in Betreff der im Februar
1867 zwischen den süddeutschen Regierungen über die Reorganisation ihres
Heerwesens geschlossene Convention die Ansicht der zweiten Kammer, d. h.
des Plenums, hören. Die Commission war der Meinung, über diese Con¬
vention zur Tagesordnung überzugehn, d. h. jede staatsrechtliche Verbindlich¬
keit derselben abzulehnen. Der Kriegsminister hatte sich privatim hiermit
einverstanden erklärt. Man glaubte, dieser Antrag würde im Hause ohne
weiteres angenommen werden. Man irrte sich. Der Abgeordnete Probst,
ein großdeutsch-demokratisches Mitglied, der beredte Vertheidiger des Concor-
dats, opponirte dem Antrage der Commission mit großer Leidenschaft: fast
scheine es, meinte er, die Negierung wolle durch den Beschluß des Hauses
ihre Verbindlichkeit gegen Baiern und Baden loswerden, aber jeder Patriot
müsse wünschen, daß diese separat süddeutsche Militärconvention zu vollster
Geltung gelange u, s. w. -- Bei der Abstimmung votirten die Herren von
Varnbüler und Mittnacht, die beide Mitglieder des Hauses sind, gegen den
Commissionsantrag, für Probst.

Das neueste Heft der staatswissenschaftlicher Zeitschrift unter Redaction
des Herrn Schaffte, Professors in Tübingen, vormals großdeutschen Kammer¬
mitgliedes, der, obgleich Freihändler, dennoch den deutsch-französischen Handels¬
vertrag, lediglich aus politischen Gründen, aus das heftigste bekämpfte, bringt
eine Abhandlung, welche gegen das preußische Wehrsystem und zu Gunsten
der Milizverfassung plaidirt.' Ihr Verfasser -- ich nehme keinen Anstand,
dies zu sagen, da es Jedermann weiß und es öffentlich verkündigt wird --


vernommene Aeußerung eines süddeutschen Ministers, und daß ein solcher
eine so klare Wahrheit noch so sehr verkenne. Für den Minister sei er
erschrocken, nicht für die Ereignisse und deren unerbittliche Logik, an der
jener nichts ändern könne. Der Schreck habe aber alsbald sich wieder ge¬
legt, als ihm eingefallen, daß vor zwei Jahren derselbe Minister die Aner¬
kennung des Königreichs Italien auf das schroffste abgelehnt, der nun für
die Besoldung eines Gesandten in Florenz kämpfe, und wie sehr und wie
schnell die Auffassung der deutschen Frage bei eben demselben Minister ge¬
wechselt. Der Schreck sei aber ganz geschwunden, fuhr Professor Römer fort,
als er die elegisch-fromme Schlußtirade der ministeriellen Rede vernommen;
des Herrn Ministers Hinweisung auf die Unterwerfung unter die Vorsehung
und die Geschicke habe ihn vollständig beruhigt; sie berechtige ihn zu der
Hoffnung, daß Herr von Varnbüler selbst noch in diesem Hause den Eintritt
Würtembergs beantragen und auch durchsetzen und sich so ein weiteres großes
Verdienst um das Land und die Dynastie erwerben werde."

Dies war der zweite Tag am Wendekreise des Krebses. Allein auch der
dritte ermangelte nicht seiner Lorbeeren. Die Militärcommission wollte, bevor sie
in die Berathung des Wehrgesetzentwurfs eintrat, in Betreff der im Februar
1867 zwischen den süddeutschen Regierungen über die Reorganisation ihres
Heerwesens geschlossene Convention die Ansicht der zweiten Kammer, d. h.
des Plenums, hören. Die Commission war der Meinung, über diese Con¬
vention zur Tagesordnung überzugehn, d. h. jede staatsrechtliche Verbindlich¬
keit derselben abzulehnen. Der Kriegsminister hatte sich privatim hiermit
einverstanden erklärt. Man glaubte, dieser Antrag würde im Hause ohne
weiteres angenommen werden. Man irrte sich. Der Abgeordnete Probst,
ein großdeutsch-demokratisches Mitglied, der beredte Vertheidiger des Concor-
dats, opponirte dem Antrage der Commission mit großer Leidenschaft: fast
scheine es, meinte er, die Negierung wolle durch den Beschluß des Hauses
ihre Verbindlichkeit gegen Baiern und Baden loswerden, aber jeder Patriot
müsse wünschen, daß diese separat süddeutsche Militärconvention zu vollster
Geltung gelange u, s. w. — Bei der Abstimmung votirten die Herren von
Varnbüler und Mittnacht, die beide Mitglieder des Hauses sind, gegen den
Commissionsantrag, für Probst.

Das neueste Heft der staatswissenschaftlicher Zeitschrift unter Redaction
des Herrn Schaffte, Professors in Tübingen, vormals großdeutschen Kammer¬
mitgliedes, der, obgleich Freihändler, dennoch den deutsch-französischen Handels¬
vertrag, lediglich aus politischen Gründen, aus das heftigste bekämpfte, bringt
eine Abhandlung, welche gegen das preußische Wehrsystem und zu Gunsten
der Milizverfassung plaidirt.' Ihr Verfasser — ich nehme keinen Anstand,
dies zu sagen, da es Jedermann weiß und es öffentlich verkündigt wird —


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/71>, abgerufen am 05.02.2025.