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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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Rußlands und der europ. Politik) -- scheint der hannoversche Bevollmächtigte
nichts erfahren zu haben, denn die gleichberechtigte Stellung Frankreichs im
europäischen Comite wird von ihm wie eine selbstverständliche Thatsache be¬
richtet und auch daran, ,,pus tmalsmönt 1s rösultat as leur travail serait
I^Lvutv an eonZi^s Aöllvral", scheint er fest zu glauben, obgleich dem Ur¬
heber dieses Plans, dem Lord Castlereagh der Wahn von einem "Gesandten¬
parlament" schon früher benommen worden war. Das große Interesse Hanno¬
vers und -- Deutschlands besteht nach ihm in der Aufrechterhaltung des Kö¬
nigreichs Sachsen und in der Verhinderung der preußischen Hegemonie, für
welche die deutschen Revolutionäre "sourätimeut" thätig sind; gelingt es,
beide Pläne durchzusetzen, so winkt die Königswürde Hannovers als schöner
Lohn. "Die sächsische Angelegenheit ist die wichtigste für die Ruhe Europas,
wichtiger selbst als die polnische Frage", "kommt Dresden in preußische
Hände, so ist Böhmen verloren und der Mittelpunkt der östreichischen
Monarchie bedroht"; es gilt für einen Erfolg, daß Talleyrand erklärt hat,
"Sachsen zu Liebe sei sein Herr bereit, 150,000 Mann marschiren zu lassen",
daß "Frankreich die deutschen Fürsten zu einem gemeinsamen Protest gegen
die Vernichtung Sachsens eingeladen hat"; höchstes Lob wird dem Herzog
von Coburg gespendet, weil er "die Rechte seiner Familie" in einer heftigen
Scene mit dem Kaiser Alexander "mit Würde aufrecht erhalten hat" und
Bayern wird als schätzbarer Bundesgenosse betrachtet, weil es der Jncorpo-
rirung Sachsens "mit dem Schwert in der Hand" entgegentreten will und
"Preußen beinahe ebenso feindlich gesinnt ist", wie das restaurirte Frankreich.
Schade nur, daß Preußen versichern kann, die Majorität der sächsischen Be¬
völkerung werde das Aufhören dieses Staats immer lieber sehen, als seine
Zerstückelung. Aus Abneigung gegen Preußen, dem unter keiner Bedingung
eine Art von Vorrang vor den übrigen deutschen Staaten eingeräumt wer¬
den soll, verzichtet der Graf selbst auf die Durchsetzung seines Lieblingsge¬
dankens, der Kreiseintheilung und Kreisverfassung Deutschlands, und "rangirt"
sich auch in dieser Beziehung, "wie Bayern es bereits gethan hat", der An¬
sicht des Fürsten Metternich.

So war die deutsche Politik Münsters des Vaters beschaffen. Wir
wissen zu genau, wie wenig dieselbe von der Staatsweisheit Gagerns und
anderer aristokratischer "Patrioten" jener Zeit verschieden war, um ein har¬
tes Urtheil übrig zu haben, wir finden es aber auch begreiflich, daß das
Volk von diesen seinen "geborenen" Führern zu keiner Zeit etwas gewußt
hat, noch wissen wollte. So verworren und unklar auch die Bestrebungen
der damaligen Liberalen waren, in Bezug auf ihre Ziele haben dieselben
schon vor fünfzig Jahren eine richtigere Witterung gehabt, als ihre Gegner,
wenngleich diese in den Geschäften saßen und durch die Verhältnisse ungleich


Rußlands und der europ. Politik) — scheint der hannoversche Bevollmächtigte
nichts erfahren zu haben, denn die gleichberechtigte Stellung Frankreichs im
europäischen Comite wird von ihm wie eine selbstverständliche Thatsache be¬
richtet und auch daran, ,,pus tmalsmönt 1s rösultat as leur travail serait
I^Lvutv an eonZi^s Aöllvral", scheint er fest zu glauben, obgleich dem Ur¬
heber dieses Plans, dem Lord Castlereagh der Wahn von einem „Gesandten¬
parlament" schon früher benommen worden war. Das große Interesse Hanno¬
vers und — Deutschlands besteht nach ihm in der Aufrechterhaltung des Kö¬
nigreichs Sachsen und in der Verhinderung der preußischen Hegemonie, für
welche die deutschen Revolutionäre „sourätimeut" thätig sind; gelingt es,
beide Pläne durchzusetzen, so winkt die Königswürde Hannovers als schöner
Lohn. „Die sächsische Angelegenheit ist die wichtigste für die Ruhe Europas,
wichtiger selbst als die polnische Frage", „kommt Dresden in preußische
Hände, so ist Böhmen verloren und der Mittelpunkt der östreichischen
Monarchie bedroht"; es gilt für einen Erfolg, daß Talleyrand erklärt hat,
„Sachsen zu Liebe sei sein Herr bereit, 150,000 Mann marschiren zu lassen",
daß „Frankreich die deutschen Fürsten zu einem gemeinsamen Protest gegen
die Vernichtung Sachsens eingeladen hat"; höchstes Lob wird dem Herzog
von Coburg gespendet, weil er „die Rechte seiner Familie" in einer heftigen
Scene mit dem Kaiser Alexander „mit Würde aufrecht erhalten hat" und
Bayern wird als schätzbarer Bundesgenosse betrachtet, weil es der Jncorpo-
rirung Sachsens „mit dem Schwert in der Hand" entgegentreten will und
„Preußen beinahe ebenso feindlich gesinnt ist", wie das restaurirte Frankreich.
Schade nur, daß Preußen versichern kann, die Majorität der sächsischen Be¬
völkerung werde das Aufhören dieses Staats immer lieber sehen, als seine
Zerstückelung. Aus Abneigung gegen Preußen, dem unter keiner Bedingung
eine Art von Vorrang vor den übrigen deutschen Staaten eingeräumt wer¬
den soll, verzichtet der Graf selbst auf die Durchsetzung seines Lieblingsge¬
dankens, der Kreiseintheilung und Kreisverfassung Deutschlands, und „rangirt"
sich auch in dieser Beziehung, „wie Bayern es bereits gethan hat", der An¬
sicht des Fürsten Metternich.

So war die deutsche Politik Münsters des Vaters beschaffen. Wir
wissen zu genau, wie wenig dieselbe von der Staatsweisheit Gagerns und
anderer aristokratischer „Patrioten" jener Zeit verschieden war, um ein har¬
tes Urtheil übrig zu haben, wir finden es aber auch begreiflich, daß das
Volk von diesen seinen „geborenen" Führern zu keiner Zeit etwas gewußt
hat, noch wissen wollte. So verworren und unklar auch die Bestrebungen
der damaligen Liberalen waren, in Bezug auf ihre Ziele haben dieselben
schon vor fünfzig Jahren eine richtigere Witterung gehabt, als ihre Gegner,
wenngleich diese in den Geschäften saßen und durch die Verhältnisse ungleich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/54>, abgerufen am 22.07.2024.