Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.langt wurden, hinter der französischen Arbeit zurückgeblieben waren. Diese Beo¬ Diese auffallende Verkümmerung des Handwerks vermögen wir uns Grenzboten I. 18ö8, 65
langt wurden, hinter der französischen Arbeit zurückgeblieben waren. Diese Beo¬ Diese auffallende Verkümmerung des Handwerks vermögen wir uns Grenzboten I. 18ö8, 65
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0523" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/117525"/> <p xml:id="ID_1689" prev="#ID_1688"> langt wurden, hinter der französischen Arbeit zurückgeblieben waren. Diese Beo¬<lb/> bachtung legte nahe, die gesammte Stellung des Handwerks zu unserer<lb/> Kunstbildung zu prüfen, Uns Modernen ist die bildende Kunst zur Zeit eine<lb/> Glashauscultur, völlig gelöst von der Arbeit des Handwerkers. Das war<lb/> noch bei unseren Vorfahren anders. In der antiken Welt und im deutschen<lb/> Mittelalter bis zur Renaissance, ja für einzelne Handwerke bis zum Rococco,<lb/> lebte das Handwerk mit der Kunst der Zeit im innigsten Verbände, die<lb/> Technik der bildenden Künste war völlig Handwerkstechnik, und jedes Hand¬<lb/> werk fand seine Formen im engen Anschluß an die Erfindungen seiner Kunst,<lb/> indem es sich sorgfältig aneignete, was ihm brauchbar war. Stilgefühl und<lb/> Sinn für das zeitgemäße Schöne war jedem tüchtigen Handwerker eigen,<lb/> der Steinmetz war oft Bildhauer und Architect, der Goldschmidt war Bild¬<lb/> hauer, Erzgießer und Stempelschneider, der Glaser auch Glasmaler, wer<lb/> die Schilde der Ritter und die Schilder der städtischen Häuser malte, der ver¬<lb/> fertigte auch die Heiligen auf Kirchenfahnen und Altarschreinen. Auch bei<lb/> kleiner Handwerksarbeit hatte er seine Künstlerfreude; die Muster eines alten<lb/> Teppichs oder Kirchengewandes, Griff und Scheide eines geschmückten<lb/> Schwertes, der Trinkkrug, der Thürbeschlag,, die Ledertasche, das Schmuck¬<lb/> stück aus Steinen und edlen Metall erwiesen das Behagen, womit der alte<lb/> Handwerker für das einzelne Stück die Zierathen und Schönheitslinien seiner<lb/> Zeit verwerthete. In unserer Zeit aber zeigt, was dem Bedürfniß des Tages<lb/> dient, in den gewöhnlichen Formen von dem Schönheitssinn und der Er¬<lb/> findungskraft des Verfertigers in der Regel nichts; wird einmal eine<lb/> außerordentliche Anstrengung von dem Handwerker verlangt, so steht<lb/> er hilflos und verlegen, er sucht irgend etwas aus fremdem Volke oder<lb/> vergangener Zeit ungeschickt nachzubilden, sclavisch, ohne Verständniß, und<lb/> es wird in der Regel eine plumpe Nachformung, und gegen unverhältniß-<lb/> wcißige Bezahlung. Auch da. wo die Industrie Maschinen und Fabrik¬<lb/> thätigkeit für das Handwerk eingeführt hat, wo großes Capital aufgewandt<lb/> >se und größere geschäftliche Intelligenz leitet, ist dieselbe Armseligkeit der Er¬<lb/> findung, ungeschickte Nachbildung und unzweckmäßige Anwendung vorhan¬<lb/> dener Formen bei der Massenproduktion gewöhnlich. Es gibt große Städte,<lb/> w denen kein Buchbinder einen zierlichen und geschmackvollen Einband, kein<lb/> Goldschmidt ein frei modellirtes Silbergefäß zu, machen versteht, und wo auch<lb/> ewe schwungvoll betriebene Fayencefabrik über die geschmacklosesten und<lb/> rohesten Formen der Teller und Tassen und ihrer Zierathen nicht hinaus¬<lb/> kommt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1690" next="#ID_1691"> Diese auffallende Verkümmerung des Handwerks vermögen wir uns<lb/> ^ohl zu erklären. Vieles hat dazu beigetragen; eine große Masse der<lb/> Unbemittelten fordert Antheil an Erfindung und Genüssen, welche früher</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I. 18ö8, 65</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0523]
langt wurden, hinter der französischen Arbeit zurückgeblieben waren. Diese Beo¬
bachtung legte nahe, die gesammte Stellung des Handwerks zu unserer
Kunstbildung zu prüfen, Uns Modernen ist die bildende Kunst zur Zeit eine
Glashauscultur, völlig gelöst von der Arbeit des Handwerkers. Das war
noch bei unseren Vorfahren anders. In der antiken Welt und im deutschen
Mittelalter bis zur Renaissance, ja für einzelne Handwerke bis zum Rococco,
lebte das Handwerk mit der Kunst der Zeit im innigsten Verbände, die
Technik der bildenden Künste war völlig Handwerkstechnik, und jedes Hand¬
werk fand seine Formen im engen Anschluß an die Erfindungen seiner Kunst,
indem es sich sorgfältig aneignete, was ihm brauchbar war. Stilgefühl und
Sinn für das zeitgemäße Schöne war jedem tüchtigen Handwerker eigen,
der Steinmetz war oft Bildhauer und Architect, der Goldschmidt war Bild¬
hauer, Erzgießer und Stempelschneider, der Glaser auch Glasmaler, wer
die Schilde der Ritter und die Schilder der städtischen Häuser malte, der ver¬
fertigte auch die Heiligen auf Kirchenfahnen und Altarschreinen. Auch bei
kleiner Handwerksarbeit hatte er seine Künstlerfreude; die Muster eines alten
Teppichs oder Kirchengewandes, Griff und Scheide eines geschmückten
Schwertes, der Trinkkrug, der Thürbeschlag,, die Ledertasche, das Schmuck¬
stück aus Steinen und edlen Metall erwiesen das Behagen, womit der alte
Handwerker für das einzelne Stück die Zierathen und Schönheitslinien seiner
Zeit verwerthete. In unserer Zeit aber zeigt, was dem Bedürfniß des Tages
dient, in den gewöhnlichen Formen von dem Schönheitssinn und der Er¬
findungskraft des Verfertigers in der Regel nichts; wird einmal eine
außerordentliche Anstrengung von dem Handwerker verlangt, so steht
er hilflos und verlegen, er sucht irgend etwas aus fremdem Volke oder
vergangener Zeit ungeschickt nachzubilden, sclavisch, ohne Verständniß, und
es wird in der Regel eine plumpe Nachformung, und gegen unverhältniß-
wcißige Bezahlung. Auch da. wo die Industrie Maschinen und Fabrik¬
thätigkeit für das Handwerk eingeführt hat, wo großes Capital aufgewandt
>se und größere geschäftliche Intelligenz leitet, ist dieselbe Armseligkeit der Er¬
findung, ungeschickte Nachbildung und unzweckmäßige Anwendung vorhan¬
dener Formen bei der Massenproduktion gewöhnlich. Es gibt große Städte,
w denen kein Buchbinder einen zierlichen und geschmackvollen Einband, kein
Goldschmidt ein frei modellirtes Silbergefäß zu, machen versteht, und wo auch
ewe schwungvoll betriebene Fayencefabrik über die geschmacklosesten und
rohesten Formen der Teller und Tassen und ihrer Zierathen nicht hinaus¬
kommt.
Diese auffallende Verkümmerung des Handwerks vermögen wir uns
^ohl zu erklären. Vieles hat dazu beigetragen; eine große Masse der
Unbemittelten fordert Antheil an Erfindung und Genüssen, welche früher
Grenzboten I. 18ö8, 65
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