Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

welche durch Vermehrung der Bildung auch die Leistungsfähigkeit des Volkes
für den Staat stärken, ist verhältnißmäßig viel zu wenig geschehen. Die
Lage unserer Volksschullehrer ist kläglich im Vergleich zu manchem andern
Staat, z. B. mehreren thüringischen, wo der niedrigste Gehalt eines Dorf¬
lehrers mit 200 Thlrn. normirt ist. Die zahlreichen Anstalten und Vereine
für landwirtschaftliche Cultur haben bei uns, einige begünstigte Gegenden
ausgenommen, trotz des Landes-Oekonomie-Collegiums. für Obstbau, Wiesen¬
cultur. Verbesserung der Ackergeräthe und Zucht der Nutzthiere dem kleinen
Mann weniger gethan, als z. B. in Hannover und Würtemberg durch-
gesetzt worden ist. Sogar in den größten wissenschaftlichen und Kunst¬
instituten Preußens ist die Knappheit der Mittel, und was ebenso schlimm
war. zuweilen der Mangel an Verständniß und Interesse bei der Regierung
einer zeitgemäßen Fortbildung hinderlich gewesen. Die große Bibliothek in
Berlin hat bis zum letzten Landtage eine völlig ungenügende Dotation gehabt;
die naturwissenschaftlichen Institute der Universität Berlin entsprechen in der
Mehrzahl nicht den Anforderungen, welche moderne Wissenschaft macht, sie
können sich z. B. mit dem. was bei Ihnen in Leipzig eingerichtet wird, gar nicht
vergleichen. und es ist kein Zufall', daß die meisten großen Gelehrtenamen
in diesen Disciplinen außerhalb Preußen zu finden sind. Auch ein Institut
von altem Ruf und Ansehen, wie unsere Academie der Wissenschaften,
ist in Form und Inhalt ihrer Publicationen und in der Weise, wie dieselbe
dem Publikum zugänglich gemacht werden, in ausgezeichneter Weise alt¬
fränkisch und ungeschickt. Gegen die Leiter so wichtiger Kunstanstalten, wie
unsere Museen sind, hat die schlechte Restauration eines Bildes fast zufällig die
allgemeine Kritik aufgeregt; die Leitung des Herrn von Olfers wie der
Vilderkatalog des Herrn Waagen haben fühlbar gemacht, daß es auch mit
der offiziellen Kunstkritik in der bisherigen Weise nicht fortgehen darf. Ein¬
zelne Anläufe auf allen diesen idealen Gebieten hat die Gegenwart zu loben,
und es wäre ungerecht zu leugnen, daß vieles Tüchtige bei uns dauert, aber es
sind als^ctÄ memwa. der frische Zug fehlt, und in der Regierung bei aller
Sorge um Einzelnes doch die rechte warme Ueberzeugung von der unerme߬
lichen Wichtigkeit, welche diese Interessen gerade jetzt für Preußen haben.
Uns bleibt zur Zeit nur der Trost, daß wir im Stande sein könnten, große
Schritte zu machen, um das Versäumte nachzuholen.

Unter diesen Umständen ist es von Bedeutung, daß das Bedürfniß star¬
ker Reformen auf. diesen Gebieten sich nicht nur unter .den Gebildeten kräftig
geltend macht, sondern daß es auch in dem Herrscherhause warme Vertreter
findet. Da ich dies in der Feststimmung eines loyalen Tages schreibe. so
wöge das Bekenntniß Nachsicht finden, daß wir Berliner zwar sehr demo-
kratisch sind, daß wir aber sehr gern sehen, wenn Mitglieder der königlichen


welche durch Vermehrung der Bildung auch die Leistungsfähigkeit des Volkes
für den Staat stärken, ist verhältnißmäßig viel zu wenig geschehen. Die
Lage unserer Volksschullehrer ist kläglich im Vergleich zu manchem andern
Staat, z. B. mehreren thüringischen, wo der niedrigste Gehalt eines Dorf¬
lehrers mit 200 Thlrn. normirt ist. Die zahlreichen Anstalten und Vereine
für landwirtschaftliche Cultur haben bei uns, einige begünstigte Gegenden
ausgenommen, trotz des Landes-Oekonomie-Collegiums. für Obstbau, Wiesen¬
cultur. Verbesserung der Ackergeräthe und Zucht der Nutzthiere dem kleinen
Mann weniger gethan, als z. B. in Hannover und Würtemberg durch-
gesetzt worden ist. Sogar in den größten wissenschaftlichen und Kunst¬
instituten Preußens ist die Knappheit der Mittel, und was ebenso schlimm
war. zuweilen der Mangel an Verständniß und Interesse bei der Regierung
einer zeitgemäßen Fortbildung hinderlich gewesen. Die große Bibliothek in
Berlin hat bis zum letzten Landtage eine völlig ungenügende Dotation gehabt;
die naturwissenschaftlichen Institute der Universität Berlin entsprechen in der
Mehrzahl nicht den Anforderungen, welche moderne Wissenschaft macht, sie
können sich z. B. mit dem. was bei Ihnen in Leipzig eingerichtet wird, gar nicht
vergleichen. und es ist kein Zufall', daß die meisten großen Gelehrtenamen
in diesen Disciplinen außerhalb Preußen zu finden sind. Auch ein Institut
von altem Ruf und Ansehen, wie unsere Academie der Wissenschaften,
ist in Form und Inhalt ihrer Publicationen und in der Weise, wie dieselbe
dem Publikum zugänglich gemacht werden, in ausgezeichneter Weise alt¬
fränkisch und ungeschickt. Gegen die Leiter so wichtiger Kunstanstalten, wie
unsere Museen sind, hat die schlechte Restauration eines Bildes fast zufällig die
allgemeine Kritik aufgeregt; die Leitung des Herrn von Olfers wie der
Vilderkatalog des Herrn Waagen haben fühlbar gemacht, daß es auch mit
der offiziellen Kunstkritik in der bisherigen Weise nicht fortgehen darf. Ein¬
zelne Anläufe auf allen diesen idealen Gebieten hat die Gegenwart zu loben,
und es wäre ungerecht zu leugnen, daß vieles Tüchtige bei uns dauert, aber es
sind als^ctÄ memwa. der frische Zug fehlt, und in der Regierung bei aller
Sorge um Einzelnes doch die rechte warme Ueberzeugung von der unerme߬
lichen Wichtigkeit, welche diese Interessen gerade jetzt für Preußen haben.
Uns bleibt zur Zeit nur der Trost, daß wir im Stande sein könnten, große
Schritte zu machen, um das Versäumte nachzuholen.

Unter diesen Umständen ist es von Bedeutung, daß das Bedürfniß star¬
ker Reformen auf. diesen Gebieten sich nicht nur unter .den Gebildeten kräftig
geltend macht, sondern daß es auch in dem Herrscherhause warme Vertreter
findet. Da ich dies in der Feststimmung eines loyalen Tages schreibe. so
wöge das Bekenntniß Nachsicht finden, daß wir Berliner zwar sehr demo-
kratisch sind, daß wir aber sehr gern sehen, wenn Mitglieder der königlichen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0521" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/117523"/>
            <p xml:id="ID_1684" prev="#ID_1683"> welche durch Vermehrung der Bildung auch die Leistungsfähigkeit des Volkes<lb/>
für den Staat stärken, ist verhältnißmäßig viel zu wenig geschehen. Die<lb/>
Lage unserer Volksschullehrer ist kläglich im Vergleich zu manchem andern<lb/>
Staat, z. B. mehreren thüringischen, wo der niedrigste Gehalt eines Dorf¬<lb/>
lehrers mit 200 Thlrn. normirt ist. Die zahlreichen Anstalten und Vereine<lb/>
für landwirtschaftliche Cultur haben bei uns, einige begünstigte Gegenden<lb/>
ausgenommen, trotz des Landes-Oekonomie-Collegiums. für Obstbau, Wiesen¬<lb/>
cultur. Verbesserung der Ackergeräthe und Zucht der Nutzthiere dem kleinen<lb/>
Mann weniger gethan, als z. B. in Hannover und Würtemberg durch-<lb/>
gesetzt worden ist. Sogar in den größten wissenschaftlichen und Kunst¬<lb/>
instituten Preußens ist die Knappheit der Mittel, und was ebenso schlimm<lb/>
war. zuweilen der Mangel an Verständniß und Interesse bei der Regierung<lb/>
einer zeitgemäßen Fortbildung hinderlich gewesen. Die große Bibliothek in<lb/>
Berlin hat bis zum letzten Landtage eine völlig ungenügende Dotation gehabt;<lb/>
die naturwissenschaftlichen Institute der Universität Berlin entsprechen in der<lb/>
Mehrzahl nicht den Anforderungen, welche moderne Wissenschaft macht, sie<lb/>
können sich z. B. mit dem. was bei Ihnen in Leipzig eingerichtet wird, gar nicht<lb/>
vergleichen. und es ist kein Zufall', daß die meisten großen Gelehrtenamen<lb/>
in diesen Disciplinen außerhalb Preußen zu finden sind. Auch ein Institut<lb/>
von altem Ruf und Ansehen, wie unsere Academie der Wissenschaften,<lb/>
ist in Form und Inhalt ihrer Publicationen und in der Weise, wie dieselbe<lb/>
dem Publikum zugänglich gemacht werden, in ausgezeichneter Weise alt¬<lb/>
fränkisch und ungeschickt. Gegen die Leiter so wichtiger Kunstanstalten, wie<lb/>
unsere Museen sind, hat die schlechte Restauration eines Bildes fast zufällig die<lb/>
allgemeine Kritik aufgeregt; die Leitung des Herrn von Olfers wie der<lb/>
Vilderkatalog des Herrn Waagen haben fühlbar gemacht, daß es auch mit<lb/>
der offiziellen Kunstkritik in der bisherigen Weise nicht fortgehen darf. Ein¬<lb/>
zelne Anläufe auf allen diesen idealen Gebieten hat die Gegenwart zu loben,<lb/>
und es wäre ungerecht zu leugnen, daß vieles Tüchtige bei uns dauert, aber es<lb/>
sind als^ctÄ memwa. der frische Zug fehlt, und in der Regierung bei aller<lb/>
Sorge um Einzelnes doch die rechte warme Ueberzeugung von der unerme߬<lb/>
lichen Wichtigkeit, welche diese Interessen gerade jetzt für Preußen haben.<lb/>
Uns bleibt zur Zeit nur der Trost, daß wir im Stande sein könnten, große<lb/>
Schritte zu machen, um das Versäumte nachzuholen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1685" next="#ID_1686"> Unter diesen Umständen ist es von Bedeutung, daß das Bedürfniß star¬<lb/>
ker Reformen auf. diesen Gebieten sich nicht nur unter .den Gebildeten kräftig<lb/>
geltend macht, sondern daß es auch in dem Herrscherhause warme Vertreter<lb/>
findet. Da ich dies in der Feststimmung eines loyalen Tages schreibe. so<lb/>
wöge das Bekenntniß Nachsicht finden, daß wir Berliner zwar sehr demo-<lb/>
kratisch sind, daß wir aber sehr gern sehen, wenn Mitglieder der königlichen</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0521] welche durch Vermehrung der Bildung auch die Leistungsfähigkeit des Volkes für den Staat stärken, ist verhältnißmäßig viel zu wenig geschehen. Die Lage unserer Volksschullehrer ist kläglich im Vergleich zu manchem andern Staat, z. B. mehreren thüringischen, wo der niedrigste Gehalt eines Dorf¬ lehrers mit 200 Thlrn. normirt ist. Die zahlreichen Anstalten und Vereine für landwirtschaftliche Cultur haben bei uns, einige begünstigte Gegenden ausgenommen, trotz des Landes-Oekonomie-Collegiums. für Obstbau, Wiesen¬ cultur. Verbesserung der Ackergeräthe und Zucht der Nutzthiere dem kleinen Mann weniger gethan, als z. B. in Hannover und Würtemberg durch- gesetzt worden ist. Sogar in den größten wissenschaftlichen und Kunst¬ instituten Preußens ist die Knappheit der Mittel, und was ebenso schlimm war. zuweilen der Mangel an Verständniß und Interesse bei der Regierung einer zeitgemäßen Fortbildung hinderlich gewesen. Die große Bibliothek in Berlin hat bis zum letzten Landtage eine völlig ungenügende Dotation gehabt; die naturwissenschaftlichen Institute der Universität Berlin entsprechen in der Mehrzahl nicht den Anforderungen, welche moderne Wissenschaft macht, sie können sich z. B. mit dem. was bei Ihnen in Leipzig eingerichtet wird, gar nicht vergleichen. und es ist kein Zufall', daß die meisten großen Gelehrtenamen in diesen Disciplinen außerhalb Preußen zu finden sind. Auch ein Institut von altem Ruf und Ansehen, wie unsere Academie der Wissenschaften, ist in Form und Inhalt ihrer Publicationen und in der Weise, wie dieselbe dem Publikum zugänglich gemacht werden, in ausgezeichneter Weise alt¬ fränkisch und ungeschickt. Gegen die Leiter so wichtiger Kunstanstalten, wie unsere Museen sind, hat die schlechte Restauration eines Bildes fast zufällig die allgemeine Kritik aufgeregt; die Leitung des Herrn von Olfers wie der Vilderkatalog des Herrn Waagen haben fühlbar gemacht, daß es auch mit der offiziellen Kunstkritik in der bisherigen Weise nicht fortgehen darf. Ein¬ zelne Anläufe auf allen diesen idealen Gebieten hat die Gegenwart zu loben, und es wäre ungerecht zu leugnen, daß vieles Tüchtige bei uns dauert, aber es sind als^ctÄ memwa. der frische Zug fehlt, und in der Regierung bei aller Sorge um Einzelnes doch die rechte warme Ueberzeugung von der unerme߬ lichen Wichtigkeit, welche diese Interessen gerade jetzt für Preußen haben. Uns bleibt zur Zeit nur der Trost, daß wir im Stande sein könnten, große Schritte zu machen, um das Versäumte nachzuholen. Unter diesen Umständen ist es von Bedeutung, daß das Bedürfniß star¬ ker Reformen auf. diesen Gebieten sich nicht nur unter .den Gebildeten kräftig geltend macht, sondern daß es auch in dem Herrscherhause warme Vertreter findet. Da ich dies in der Feststimmung eines loyalen Tages schreibe. so wöge das Bekenntniß Nachsicht finden, daß wir Berliner zwar sehr demo- kratisch sind, daß wir aber sehr gern sehen, wenn Mitglieder der königlichen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/521
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/521>, abgerufen am 24.08.2024.