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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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vom alten Athen an diesen Vorstellungen des jungen zu prüfen. Und den
Deutschen konnte es fast zu Muth werden, als ob sie der Leistung eines
Liebhabertheaters in Nürnberg oder Zwickau unter Beirath eines großen
Alterthumskenners vom Progymnasium beigewohnt hätten.
Athen, Weihnachten 1867.




Die Grafen Münster und ihre deutsche Politik.

Politische Skizzen über die Lage Europas vom wiener Kongreß bis zur Gegenwart
(1815--1867). -- Nebst den Depeschen des Grafen Ernst Friedrich Herbert zu
Münster über den wiener Kongreß. Von Georg Herbert Graf zu Münster
(Leipzig bei F. A. Brockhaus 1867).

Bücher, welche von Mitgliedern des deutschen Adels geschrieben' waren,
fanden in unserer Literatur zu allen Zeiten besondere Beachtung -- am mei¬
sten die Werke solcher, welche an den großen Interessen der Nation Theil hat¬
ten. An der Spitze der Bildung seines Volks zu stehen, hat der deutsche Adel
lange verschmäht; die großen und noch mehr die kleinen Höfe waren die Mittel¬
punkte seiner Interessen, für den wahren Inhalt des großen Kampfes der Zeit
galt ihm -- um ein Wort Münsters des Vaters zu brauchen -- "das Bestreben
der Antichcunbre in den Salon zu gelangen." Im Gegensatz zu der Aristo¬
kratie Englands, beziehungsweise selbst Frankreichs, übergab die unsrige die
Vertretung, der conservativen Prinzipien, ebenso wie die der liberalen, den Par¬
venus aus dem Bürgerstande, indem sie sich und ihren Söhnen die Repräsen¬
tation vorbehielt. Man überließ es den Adam Müller und Gentz, den
Stahl und Wagener, die eigentliche Arbeit zu thun; von diesen wurden die
Programme und Doctrinen ausgearbeitet, deren Vertretung dann die über¬
nahmen, welche Anspruch auf die Rolle deutscher, d. h. östreichischer, preußi¬
scher, hannoverischer u. f. w. Tories erhoben. Daß sich auf diese Weise
jenes "Prestige" nicht gewinnen ließ, in welchem man es den fremden Aristo¬
kratien so gern gleich gethan hätte, daß die politische Bedeutung des "Salons",
den man um jeden Preis von Eindringlingen rein erhalten wollte, noch unter
die der deutschen Bierstube sank, mußte freilich in den Kauf genommen werden:
der deutsche Adel war schließlich fast nur da zu finden, wo die andern Aristo¬
kratien ihre Hauptfeinde suchten, in der Civil- und Militärbureaukratie. So ist
es geschehen, daß aristokratische Namen in unserer politischen Literatur ebenso
selten, wie in andern Literaturen häufig vorkommen und daß Bücher, wie
das vorliegende, ganz abgesehen von ihrem Inhalt, ein angenehmes Aufsehen


vom alten Athen an diesen Vorstellungen des jungen zu prüfen. Und den
Deutschen konnte es fast zu Muth werden, als ob sie der Leistung eines
Liebhabertheaters in Nürnberg oder Zwickau unter Beirath eines großen
Alterthumskenners vom Progymnasium beigewohnt hätten.
Athen, Weihnachten 1867.




Die Grafen Münster und ihre deutsche Politik.

Politische Skizzen über die Lage Europas vom wiener Kongreß bis zur Gegenwart
(1815—1867). — Nebst den Depeschen des Grafen Ernst Friedrich Herbert zu
Münster über den wiener Kongreß. Von Georg Herbert Graf zu Münster
(Leipzig bei F. A. Brockhaus 1867).

Bücher, welche von Mitgliedern des deutschen Adels geschrieben' waren,
fanden in unserer Literatur zu allen Zeiten besondere Beachtung — am mei¬
sten die Werke solcher, welche an den großen Interessen der Nation Theil hat¬
ten. An der Spitze der Bildung seines Volks zu stehen, hat der deutsche Adel
lange verschmäht; die großen und noch mehr die kleinen Höfe waren die Mittel¬
punkte seiner Interessen, für den wahren Inhalt des großen Kampfes der Zeit
galt ihm — um ein Wort Münsters des Vaters zu brauchen — „das Bestreben
der Antichcunbre in den Salon zu gelangen." Im Gegensatz zu der Aristo¬
kratie Englands, beziehungsweise selbst Frankreichs, übergab die unsrige die
Vertretung, der conservativen Prinzipien, ebenso wie die der liberalen, den Par¬
venus aus dem Bürgerstande, indem sie sich und ihren Söhnen die Repräsen¬
tation vorbehielt. Man überließ es den Adam Müller und Gentz, den
Stahl und Wagener, die eigentliche Arbeit zu thun; von diesen wurden die
Programme und Doctrinen ausgearbeitet, deren Vertretung dann die über¬
nahmen, welche Anspruch auf die Rolle deutscher, d. h. östreichischer, preußi¬
scher, hannoverischer u. f. w. Tories erhoben. Daß sich auf diese Weise
jenes „Prestige" nicht gewinnen ließ, in welchem man es den fremden Aristo¬
kratien so gern gleich gethan hätte, daß die politische Bedeutung des „Salons",
den man um jeden Preis von Eindringlingen rein erhalten wollte, noch unter
die der deutschen Bierstube sank, mußte freilich in den Kauf genommen werden:
der deutsche Adel war schließlich fast nur da zu finden, wo die andern Aristo¬
kratien ihre Hauptfeinde suchten, in der Civil- und Militärbureaukratie. So ist
es geschehen, daß aristokratische Namen in unserer politischen Literatur ebenso
selten, wie in andern Literaturen häufig vorkommen und daß Bücher, wie
das vorliegende, ganz abgesehen von ihrem Inhalt, ein angenehmes Aufsehen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/52>, abgerufen am 22.07.2024.