Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

getagt hat. Der Ausschuß des deutschen Handelstags hat zwar zwischen sich
und den östreichischen Handelskammern das Tischtuch zerschnitten, weil er
mit Recht findet, daß praktisches Thun einstweilen jedenfalls nur getrennt
möglich ist; aber die süddeutschen Handelskammern gehören ihm nach wie
vor an, und keine hat die Schwärmerei sür unsere liebenswürdigen Landsleute
im Kaiserstaate soweit getrieben, daß sie mit ihnen ausgeschieden wäre, ja
daß sie über das halb freiwillige, halb dringend anempfohlene Ausscheiden
derselben auch nur ernstlich geschmollt hätte. Wenn trotzdem nur ein ein¬
ziges süddeutsches Ausschußmitglied in Berlin anwesend war, so wurde doch
ausdrücklich bezeugt, daß lediglich das Wahlinteresse die übrigen daheim
Halte, das Interesse desselben Parlaments also, für dessen Thätigkeit die
des Handelstags-Ausschusses eine sachverständige Vorarbeit sein sollte. Eine
Differenz zwischen Süd- und Norddeutschland hat sich weder in den münd¬
lichen Verhandlungen des Ausschusses, noch -- was mehr sagen will -- bei.
der Vergleichung der dem Ausschuß zugekommenen Antworten der einzelnen
Handelskammern auf früher gestellte Fragen, entwickelt. Eine süddeutsche
Handelskammer, die zu Bamberg, wollte -- allein unter allen -- von einer
Ausdehnung der Zollparlamentscompetenz auf sämmtliche im Artikel 4 der
norddeutschen Bundesverfassung aufgeführten wirtschaftlichen und rechtlichen
Gebiete vorläufig nichts wissen; allein einerseits steht sie damit selbst unter
ihren Schwestern südlich vom Main vereinzelt da, und andererseits hatte
eine norddeutsche, durchaus preußischgesinnte Handelskammer, die zu Bremen,
sich durch irgend einen nicht leicht zu qualificirenden politischen Kniff verleiten'
lassen, die Competenzerweiterungs-Frage des Ausschusses ebenfalls ziemlich
flau zu beantworten. Im übrigen beherrscht nicht der neue Gegensatz preußisch,
süddeutsch oder unitarisch-föderalistisch die Debatten, sondern der die geogra¬
phischen Grenzen mißachtende alte Gegensatz Freihandel -- Schutzzoll. Aller¬
dings auch er in sehr milder Form. Die Hauptschlachten dieser Gegner
liegen eben schon hinter uns. Die am Zollschutz interessirte Industrie ist
theils hinlänglich erstarkt, um die Ausgleichung der Bedingungen auf dem
heimischen Markte nicht mehr sonderlich zu fürchten, theils hat sie die Hoff¬
nung aufgegeben, die Staatsmänner und die öffentliche Meinung ihren Ar¬
gumenten zugänglich zu machen, nachdem die Prophezeiungen der Freihandels¬
prediger sich in England so überraschend bewährt haben. Wenn auch einige
deutsche Stubengelehrte neuerdings in Carey's Theorien das List'sche Evan¬
gelium gern wideraufleben lassen möchten, so glauben an den Erfolg solcher
Schattenbeschwörungsversuche doch nicht einmal diejenigen, denen ihr Ge¬
lingen Vortheil bringen würde. Unsere Fabrikanten sind im Grunde nicht
mehr Schutzzöllner -- das haben die Verhandlungen im Handelsausschuß
deutlich herausgestellt. Sie lassen sich immer lieber auf den Weg verweisen,


getagt hat. Der Ausschuß des deutschen Handelstags hat zwar zwischen sich
und den östreichischen Handelskammern das Tischtuch zerschnitten, weil er
mit Recht findet, daß praktisches Thun einstweilen jedenfalls nur getrennt
möglich ist; aber die süddeutschen Handelskammern gehören ihm nach wie
vor an, und keine hat die Schwärmerei sür unsere liebenswürdigen Landsleute
im Kaiserstaate soweit getrieben, daß sie mit ihnen ausgeschieden wäre, ja
daß sie über das halb freiwillige, halb dringend anempfohlene Ausscheiden
derselben auch nur ernstlich geschmollt hätte. Wenn trotzdem nur ein ein¬
ziges süddeutsches Ausschußmitglied in Berlin anwesend war, so wurde doch
ausdrücklich bezeugt, daß lediglich das Wahlinteresse die übrigen daheim
Halte, das Interesse desselben Parlaments also, für dessen Thätigkeit die
des Handelstags-Ausschusses eine sachverständige Vorarbeit sein sollte. Eine
Differenz zwischen Süd- und Norddeutschland hat sich weder in den münd¬
lichen Verhandlungen des Ausschusses, noch — was mehr sagen will — bei.
der Vergleichung der dem Ausschuß zugekommenen Antworten der einzelnen
Handelskammern auf früher gestellte Fragen, entwickelt. Eine süddeutsche
Handelskammer, die zu Bamberg, wollte — allein unter allen — von einer
Ausdehnung der Zollparlamentscompetenz auf sämmtliche im Artikel 4 der
norddeutschen Bundesverfassung aufgeführten wirtschaftlichen und rechtlichen
Gebiete vorläufig nichts wissen; allein einerseits steht sie damit selbst unter
ihren Schwestern südlich vom Main vereinzelt da, und andererseits hatte
eine norddeutsche, durchaus preußischgesinnte Handelskammer, die zu Bremen,
sich durch irgend einen nicht leicht zu qualificirenden politischen Kniff verleiten'
lassen, die Competenzerweiterungs-Frage des Ausschusses ebenfalls ziemlich
flau zu beantworten. Im übrigen beherrscht nicht der neue Gegensatz preußisch,
süddeutsch oder unitarisch-föderalistisch die Debatten, sondern der die geogra¬
phischen Grenzen mißachtende alte Gegensatz Freihandel — Schutzzoll. Aller¬
dings auch er in sehr milder Form. Die Hauptschlachten dieser Gegner
liegen eben schon hinter uns. Die am Zollschutz interessirte Industrie ist
theils hinlänglich erstarkt, um die Ausgleichung der Bedingungen auf dem
heimischen Markte nicht mehr sonderlich zu fürchten, theils hat sie die Hoff¬
nung aufgegeben, die Staatsmänner und die öffentliche Meinung ihren Ar¬
gumenten zugänglich zu machen, nachdem die Prophezeiungen der Freihandels¬
prediger sich in England so überraschend bewährt haben. Wenn auch einige
deutsche Stubengelehrte neuerdings in Carey's Theorien das List'sche Evan¬
gelium gern wideraufleben lassen möchten, so glauben an den Erfolg solcher
Schattenbeschwörungsversuche doch nicht einmal diejenigen, denen ihr Ge¬
lingen Vortheil bringen würde. Unsere Fabrikanten sind im Grunde nicht
mehr Schutzzöllner — das haben die Verhandlungen im Handelsausschuß
deutlich herausgestellt. Sie lassen sich immer lieber auf den Weg verweisen,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0505" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/117507"/>
          <p xml:id="ID_1629" prev="#ID_1628" next="#ID_1630"> getagt hat. Der Ausschuß des deutschen Handelstags hat zwar zwischen sich<lb/>
und den östreichischen Handelskammern das Tischtuch zerschnitten, weil er<lb/>
mit Recht findet, daß praktisches Thun einstweilen jedenfalls nur getrennt<lb/>
möglich ist; aber die süddeutschen Handelskammern gehören ihm nach wie<lb/>
vor an, und keine hat die Schwärmerei sür unsere liebenswürdigen Landsleute<lb/>
im Kaiserstaate soweit getrieben, daß sie mit ihnen ausgeschieden wäre, ja<lb/>
daß sie über das halb freiwillige, halb dringend anempfohlene Ausscheiden<lb/>
derselben auch nur ernstlich geschmollt hätte. Wenn trotzdem nur ein ein¬<lb/>
ziges süddeutsches Ausschußmitglied in Berlin anwesend war, so wurde doch<lb/>
ausdrücklich bezeugt, daß lediglich das Wahlinteresse die übrigen daheim<lb/>
Halte, das Interesse desselben Parlaments also, für dessen Thätigkeit die<lb/>
des Handelstags-Ausschusses eine sachverständige Vorarbeit sein sollte. Eine<lb/>
Differenz zwischen Süd- und Norddeutschland hat sich weder in den münd¬<lb/>
lichen Verhandlungen des Ausschusses, noch &#x2014; was mehr sagen will &#x2014; bei.<lb/>
der Vergleichung der dem Ausschuß zugekommenen Antworten der einzelnen<lb/>
Handelskammern auf früher gestellte Fragen, entwickelt. Eine süddeutsche<lb/>
Handelskammer, die zu Bamberg, wollte &#x2014; allein unter allen &#x2014; von einer<lb/>
Ausdehnung der Zollparlamentscompetenz auf sämmtliche im Artikel 4 der<lb/>
norddeutschen Bundesverfassung aufgeführten wirtschaftlichen und rechtlichen<lb/>
Gebiete vorläufig nichts wissen; allein einerseits steht sie damit selbst unter<lb/>
ihren Schwestern südlich vom Main vereinzelt da, und andererseits hatte<lb/>
eine norddeutsche, durchaus preußischgesinnte Handelskammer, die zu Bremen,<lb/>
sich durch irgend einen nicht leicht zu qualificirenden politischen Kniff verleiten'<lb/>
lassen, die Competenzerweiterungs-Frage des Ausschusses ebenfalls ziemlich<lb/>
flau zu beantworten. Im übrigen beherrscht nicht der neue Gegensatz preußisch,<lb/>
süddeutsch oder unitarisch-föderalistisch die Debatten, sondern der die geogra¬<lb/>
phischen Grenzen mißachtende alte Gegensatz Freihandel &#x2014; Schutzzoll. Aller¬<lb/>
dings auch er in sehr milder Form. Die Hauptschlachten dieser Gegner<lb/>
liegen eben schon hinter uns. Die am Zollschutz interessirte Industrie ist<lb/>
theils hinlänglich erstarkt, um die Ausgleichung der Bedingungen auf dem<lb/>
heimischen Markte nicht mehr sonderlich zu fürchten, theils hat sie die Hoff¬<lb/>
nung aufgegeben, die Staatsmänner und die öffentliche Meinung ihren Ar¬<lb/>
gumenten zugänglich zu machen, nachdem die Prophezeiungen der Freihandels¬<lb/>
prediger sich in England so überraschend bewährt haben. Wenn auch einige<lb/>
deutsche Stubengelehrte neuerdings in Carey's Theorien das List'sche Evan¬<lb/>
gelium gern wideraufleben lassen möchten, so glauben an den Erfolg solcher<lb/>
Schattenbeschwörungsversuche doch nicht einmal diejenigen, denen ihr Ge¬<lb/>
lingen Vortheil bringen würde. Unsere Fabrikanten sind im Grunde nicht<lb/>
mehr Schutzzöllner &#x2014; das haben die Verhandlungen im Handelsausschuß<lb/>
deutlich herausgestellt. Sie lassen sich immer lieber auf den Weg verweisen,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0505] getagt hat. Der Ausschuß des deutschen Handelstags hat zwar zwischen sich und den östreichischen Handelskammern das Tischtuch zerschnitten, weil er mit Recht findet, daß praktisches Thun einstweilen jedenfalls nur getrennt möglich ist; aber die süddeutschen Handelskammern gehören ihm nach wie vor an, und keine hat die Schwärmerei sür unsere liebenswürdigen Landsleute im Kaiserstaate soweit getrieben, daß sie mit ihnen ausgeschieden wäre, ja daß sie über das halb freiwillige, halb dringend anempfohlene Ausscheiden derselben auch nur ernstlich geschmollt hätte. Wenn trotzdem nur ein ein¬ ziges süddeutsches Ausschußmitglied in Berlin anwesend war, so wurde doch ausdrücklich bezeugt, daß lediglich das Wahlinteresse die übrigen daheim Halte, das Interesse desselben Parlaments also, für dessen Thätigkeit die des Handelstags-Ausschusses eine sachverständige Vorarbeit sein sollte. Eine Differenz zwischen Süd- und Norddeutschland hat sich weder in den münd¬ lichen Verhandlungen des Ausschusses, noch — was mehr sagen will — bei. der Vergleichung der dem Ausschuß zugekommenen Antworten der einzelnen Handelskammern auf früher gestellte Fragen, entwickelt. Eine süddeutsche Handelskammer, die zu Bamberg, wollte — allein unter allen — von einer Ausdehnung der Zollparlamentscompetenz auf sämmtliche im Artikel 4 der norddeutschen Bundesverfassung aufgeführten wirtschaftlichen und rechtlichen Gebiete vorläufig nichts wissen; allein einerseits steht sie damit selbst unter ihren Schwestern südlich vom Main vereinzelt da, und andererseits hatte eine norddeutsche, durchaus preußischgesinnte Handelskammer, die zu Bremen, sich durch irgend einen nicht leicht zu qualificirenden politischen Kniff verleiten' lassen, die Competenzerweiterungs-Frage des Ausschusses ebenfalls ziemlich flau zu beantworten. Im übrigen beherrscht nicht der neue Gegensatz preußisch, süddeutsch oder unitarisch-föderalistisch die Debatten, sondern der die geogra¬ phischen Grenzen mißachtende alte Gegensatz Freihandel — Schutzzoll. Aller¬ dings auch er in sehr milder Form. Die Hauptschlachten dieser Gegner liegen eben schon hinter uns. Die am Zollschutz interessirte Industrie ist theils hinlänglich erstarkt, um die Ausgleichung der Bedingungen auf dem heimischen Markte nicht mehr sonderlich zu fürchten, theils hat sie die Hoff¬ nung aufgegeben, die Staatsmänner und die öffentliche Meinung ihren Ar¬ gumenten zugänglich zu machen, nachdem die Prophezeiungen der Freihandels¬ prediger sich in England so überraschend bewährt haben. Wenn auch einige deutsche Stubengelehrte neuerdings in Carey's Theorien das List'sche Evan¬ gelium gern wideraufleben lassen möchten, so glauben an den Erfolg solcher Schattenbeschwörungsversuche doch nicht einmal diejenigen, denen ihr Ge¬ lingen Vortheil bringen würde. Unsere Fabrikanten sind im Grunde nicht mehr Schutzzöllner — das haben die Verhandlungen im Handelsausschuß deutlich herausgestellt. Sie lassen sich immer lieber auf den Weg verweisen,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/505
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/505>, abgerufen am 01.10.2024.