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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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der jungen Schwester eben dieses Mitschülers die Probe machte, sprang die
entrüstet vom Stuhl auf, ergriff den Rocken und ging damit dem Compli-
mentenmacher so ernstlich zu Leibe, daß dieser voll Schrecken rückwärts zur
Thür hinausstolperte, einige junge Gänse zertrat und unter lauten Schmähun¬
gen des Mädchens über die Straße floh. Als er dem Mitschüler ganz be¬
stürzt erzählte, was ihm für ein Empfang geworden sei, gestand ihm dieser
lachend, daß er ihm die beleidigendsten Unflätereien beigebracht habe. Das
ließ sich denn Hans zur Warnung dienen, auf diesem Wege keine fremde
Sprache zu lernen.

Auch von da vertrieb sie eine Seuche, und nachdem sie einige Wochen
in Carlsbad die Bäder gebraucht hatten, wandten sie sich nach Eger, wo
sie nicht allein als Scholares zugelassen, sondern bei reichen Leuten als Pä¬
dagogen für die Kinder, welche die Schule besuchten, angenommen wurden.
Hier ging es Hans gut und er hätte etwas lernen können, aber sein Beanus,
der jetzt ohne ihn bestehen konnte, gönnte ihm nicht, daß es ihm ebensogut
und vielleicht besser ging, als ihm selbst und war ebensowenig gemeint, sein
Recht, Vortheil von ihm zu ziehen, aufzugeben. Er vermuthete ihn daher
an zwei ältere rohe Studenten, denen er den Winter über alle Dienste leisten
und für die er betteln mußte. Als er auf Zureden der Eltern seines Zög¬
lings sich dieser Knechtschaft zu entziehen suchte, lauerte ihm sein Beanus
auf der Straße auf und schleppte ihn in die Wohnung seiner Gesellen. Dort
Zerschlugen ihn alle drei aufs entsetzlichste und sperrten ihn die Nacht in einer
kalten Kammer ein; morgens wurde er, nachdem er für die Folge Gehorsam
gelobt hatte, unter harten Bedrohungen entlassen. Als die Eltern'seines
Zöglings dies erfuhren, beredeten sie ihn, in ihrem Hause zu bleiben und
das weitere abzuwarten. Am folgenden Morgen drang der Beanus mit
seinen Gesellen und einer Schaar von Schützen ins Haus, um den Flücht¬
ling herauszuholen; bewaffnet kam ihnen der Hausherr entgegen, schlug wie
rasend blindlings auf sie ein und jagte den Haufen in die Flucht. Aber was
half Hans dieser Sieg? Sein Beanus ließ ihm sagen, wenn er sich auf der
Straße sehen ließe, würden sie ihn zerreißen; er wagte daher weder in
die Schule zu gehen noch 'irgend ein Gewerbe zu bestellen. Endlich kam er
zu dem Entschluß, die Schule aufzugeben, machte sich heimlich davon und
kam glücklich wieder nach Carlsbad. Was aus seinem Beanus geworden
sei, hat er nicht erfahren; nach Miltenberg hat er sich nicht wieder gewagt;
seine beiden Gesellen wurden später wegen Diebstahls aufgehängt.

In Carlsbad ging der nunmehr zwölfjährige Hans, der auf eine Fort¬
setzung seiner Studien gänzlich verzichtete, in den Dienst einer vornehmen
böhmischen Familie, die ihn mit sich auf ihre Güter nahm. Wie ein Höriger
wurde er von einem Herrn an den andern verkauft, vertauscht, verliehen


der jungen Schwester eben dieses Mitschülers die Probe machte, sprang die
entrüstet vom Stuhl auf, ergriff den Rocken und ging damit dem Compli-
mentenmacher so ernstlich zu Leibe, daß dieser voll Schrecken rückwärts zur
Thür hinausstolperte, einige junge Gänse zertrat und unter lauten Schmähun¬
gen des Mädchens über die Straße floh. Als er dem Mitschüler ganz be¬
stürzt erzählte, was ihm für ein Empfang geworden sei, gestand ihm dieser
lachend, daß er ihm die beleidigendsten Unflätereien beigebracht habe. Das
ließ sich denn Hans zur Warnung dienen, auf diesem Wege keine fremde
Sprache zu lernen.

Auch von da vertrieb sie eine Seuche, und nachdem sie einige Wochen
in Carlsbad die Bäder gebraucht hatten, wandten sie sich nach Eger, wo
sie nicht allein als Scholares zugelassen, sondern bei reichen Leuten als Pä¬
dagogen für die Kinder, welche die Schule besuchten, angenommen wurden.
Hier ging es Hans gut und er hätte etwas lernen können, aber sein Beanus,
der jetzt ohne ihn bestehen konnte, gönnte ihm nicht, daß es ihm ebensogut
und vielleicht besser ging, als ihm selbst und war ebensowenig gemeint, sein
Recht, Vortheil von ihm zu ziehen, aufzugeben. Er vermuthete ihn daher
an zwei ältere rohe Studenten, denen er den Winter über alle Dienste leisten
und für die er betteln mußte. Als er auf Zureden der Eltern seines Zög¬
lings sich dieser Knechtschaft zu entziehen suchte, lauerte ihm sein Beanus
auf der Straße auf und schleppte ihn in die Wohnung seiner Gesellen. Dort
Zerschlugen ihn alle drei aufs entsetzlichste und sperrten ihn die Nacht in einer
kalten Kammer ein; morgens wurde er, nachdem er für die Folge Gehorsam
gelobt hatte, unter harten Bedrohungen entlassen. Als die Eltern'seines
Zöglings dies erfuhren, beredeten sie ihn, in ihrem Hause zu bleiben und
das weitere abzuwarten. Am folgenden Morgen drang der Beanus mit
seinen Gesellen und einer Schaar von Schützen ins Haus, um den Flücht¬
ling herauszuholen; bewaffnet kam ihnen der Hausherr entgegen, schlug wie
rasend blindlings auf sie ein und jagte den Haufen in die Flucht. Aber was
half Hans dieser Sieg? Sein Beanus ließ ihm sagen, wenn er sich auf der
Straße sehen ließe, würden sie ihn zerreißen; er wagte daher weder in
die Schule zu gehen noch 'irgend ein Gewerbe zu bestellen. Endlich kam er
zu dem Entschluß, die Schule aufzugeben, machte sich heimlich davon und
kam glücklich wieder nach Carlsbad. Was aus seinem Beanus geworden
sei, hat er nicht erfahren; nach Miltenberg hat er sich nicht wieder gewagt;
seine beiden Gesellen wurden später wegen Diebstahls aufgehängt.

In Carlsbad ging der nunmehr zwölfjährige Hans, der auf eine Fort¬
setzung seiner Studien gänzlich verzichtete, in den Dienst einer vornehmen
böhmischen Familie, die ihn mit sich auf ihre Güter nahm. Wie ein Höriger
wurde er von einem Herrn an den andern verkauft, vertauscht, verliehen


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[0497] der jungen Schwester eben dieses Mitschülers die Probe machte, sprang die entrüstet vom Stuhl auf, ergriff den Rocken und ging damit dem Compli- mentenmacher so ernstlich zu Leibe, daß dieser voll Schrecken rückwärts zur Thür hinausstolperte, einige junge Gänse zertrat und unter lauten Schmähun¬ gen des Mädchens über die Straße floh. Als er dem Mitschüler ganz be¬ stürzt erzählte, was ihm für ein Empfang geworden sei, gestand ihm dieser lachend, daß er ihm die beleidigendsten Unflätereien beigebracht habe. Das ließ sich denn Hans zur Warnung dienen, auf diesem Wege keine fremde Sprache zu lernen. Auch von da vertrieb sie eine Seuche, und nachdem sie einige Wochen in Carlsbad die Bäder gebraucht hatten, wandten sie sich nach Eger, wo sie nicht allein als Scholares zugelassen, sondern bei reichen Leuten als Pä¬ dagogen für die Kinder, welche die Schule besuchten, angenommen wurden. Hier ging es Hans gut und er hätte etwas lernen können, aber sein Beanus, der jetzt ohne ihn bestehen konnte, gönnte ihm nicht, daß es ihm ebensogut und vielleicht besser ging, als ihm selbst und war ebensowenig gemeint, sein Recht, Vortheil von ihm zu ziehen, aufzugeben. Er vermuthete ihn daher an zwei ältere rohe Studenten, denen er den Winter über alle Dienste leisten und für die er betteln mußte. Als er auf Zureden der Eltern seines Zög¬ lings sich dieser Knechtschaft zu entziehen suchte, lauerte ihm sein Beanus auf der Straße auf und schleppte ihn in die Wohnung seiner Gesellen. Dort Zerschlugen ihn alle drei aufs entsetzlichste und sperrten ihn die Nacht in einer kalten Kammer ein; morgens wurde er, nachdem er für die Folge Gehorsam gelobt hatte, unter harten Bedrohungen entlassen. Als die Eltern'seines Zöglings dies erfuhren, beredeten sie ihn, in ihrem Hause zu bleiben und das weitere abzuwarten. Am folgenden Morgen drang der Beanus mit seinen Gesellen und einer Schaar von Schützen ins Haus, um den Flücht¬ ling herauszuholen; bewaffnet kam ihnen der Hausherr entgegen, schlug wie rasend blindlings auf sie ein und jagte den Haufen in die Flucht. Aber was half Hans dieser Sieg? Sein Beanus ließ ihm sagen, wenn er sich auf der Straße sehen ließe, würden sie ihn zerreißen; er wagte daher weder in die Schule zu gehen noch 'irgend ein Gewerbe zu bestellen. Endlich kam er zu dem Entschluß, die Schule aufzugeben, machte sich heimlich davon und kam glücklich wieder nach Carlsbad. Was aus seinem Beanus geworden sei, hat er nicht erfahren; nach Miltenberg hat er sich nicht wieder gewagt; seine beiden Gesellen wurden später wegen Diebstahls aufgehängt. In Carlsbad ging der nunmehr zwölfjährige Hans, der auf eine Fort¬ setzung seiner Studien gänzlich verzichtete, in den Dienst einer vornehmen böhmischen Familie, die ihn mit sich auf ihre Güter nahm. Wie ein Höriger wurde er von einem Herrn an den andern verkauft, vertauscht, verliehen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/497>, abgerufen am 24.08.2024.