Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

der Flüchtling wurde vor einer großen wehklagenden Menschenmenge aus¬
gepeitscht und aufgehängt. Daran knüpft sich die Bemerkung, es gebe leider
noch gar manche Edelleute, die, jemehr man sie bitte, nur um so härter und
grausamer würden. Derselbe "Tyrann" hatte seinen Koch auf einem Dieb¬
stahl ertappt; auch dieser wurde in den Thurm geworfen und sollte gehängt
werden. Nun hatte der Koch einen Bären von Jugend auf gezähmt und
ganz an sich gewöhnt; der Tyrann, von allen Seiten um Freilassung des
Kochs bestürmt, erklärte zum Hohn, wenn der Bär ihn aus dem Thurm
holte, wolle er ihm das Leben schenken. Und siehe da, der Bär zeigte mensch¬
liches Gefühl und menschlichen Verstand. Als zur gewohnten Zeit das
Futter ausblieb, eilte er an den Thurm und gab durch Kratzen und Brum¬
men seine Gegenwart zu erkennen. Dann packte er den Strick, an dem die
Gefangenen heraufgezogen wurden, mit den Tatzen, warf das andere Ende
mit dem daran befestigten Sitzbret in den Thurm hinunter dem Gefangenen
unter beständigem Brummen zu und zog diesen glücklich aus dem Verließ
wieder herauf. Zuerst hatte der Tyrann seinen Spaß an dem klugen Thier,
nachher aber ärgerte es ihn, daß er deshalb hatte nachgeben müssen; er ließ
den Bären in den Wald führen und mit Hunden Hetzen, und da diese dem
gewohnten Spielgenossen.kein Leid anthun wollten, zwang er die Jäger
durch heftige Drohungen, ihn zu erschießen. Es war überhaupt eine unheim¬
liche Gegend. Ein Vetter dieses Edelmanns hatte es durch unmenschliche
Grausamkeit dahin gebracht, daß böse Geister seine Burg bei Nachr von
Grund aus zerstörten; eine merkwürdige Begebenheit, die Butzbach in einem
anderen Buch ausführlich erzählt hat. In der Nähe war noch ein Berg,
in welchem Schätze verborgen waren, die nur ein unschuldiger Knabe sehen
und heben konnte, jeden anderen erwürgten die schatzhütenden Geister. Dem
Beanus gefiel diese Gelegenheit, ohne eigene Gefahr ein reicher Mann zu
werden, er muthete daher Hans zu, den Schatzgräber zu machen. Die Geister
brauchte der zwar nicht zu fürchten, aber das ganze Unternehmen erschien
ihm so bedenklich, daß er sich weder durch Vorstellungen noch Schläge dazu
bringen ließ. Der Beanus mußte sich es also an dem genügen lassen, was
sein Schütz ihm erbettelte und -- was hier nun nicht mehr zu vermeiden
war -- an Hühnern und Enten zusammenstahl. Dazu wußte er ihm als
alter Praktikus sinnreiche Anweisung zu geben, während es übrigens mit
dem Lernen schlecht bestellt blieb. Auch that es ihm zunächst mehr noth,
böhmisch als lateinisch zu lernen, weil er sich auf seinen Bettelexpeditionen
kaum zu helfen wußte. Da er es dabei meistens mit den Frauen zu thun
hatte, bat er einen- Mitschüler, ihn ein recht feines Compliment zu lehren,
womit er auf hübsche Mädchen Eindruck machen könne. Dazu war der gern
bereit; allein als Hans nach einigen Tagen Mit der eingelernten Anrede bei


der Flüchtling wurde vor einer großen wehklagenden Menschenmenge aus¬
gepeitscht und aufgehängt. Daran knüpft sich die Bemerkung, es gebe leider
noch gar manche Edelleute, die, jemehr man sie bitte, nur um so härter und
grausamer würden. Derselbe „Tyrann" hatte seinen Koch auf einem Dieb¬
stahl ertappt; auch dieser wurde in den Thurm geworfen und sollte gehängt
werden. Nun hatte der Koch einen Bären von Jugend auf gezähmt und
ganz an sich gewöhnt; der Tyrann, von allen Seiten um Freilassung des
Kochs bestürmt, erklärte zum Hohn, wenn der Bär ihn aus dem Thurm
holte, wolle er ihm das Leben schenken. Und siehe da, der Bär zeigte mensch¬
liches Gefühl und menschlichen Verstand. Als zur gewohnten Zeit das
Futter ausblieb, eilte er an den Thurm und gab durch Kratzen und Brum¬
men seine Gegenwart zu erkennen. Dann packte er den Strick, an dem die
Gefangenen heraufgezogen wurden, mit den Tatzen, warf das andere Ende
mit dem daran befestigten Sitzbret in den Thurm hinunter dem Gefangenen
unter beständigem Brummen zu und zog diesen glücklich aus dem Verließ
wieder herauf. Zuerst hatte der Tyrann seinen Spaß an dem klugen Thier,
nachher aber ärgerte es ihn, daß er deshalb hatte nachgeben müssen; er ließ
den Bären in den Wald führen und mit Hunden Hetzen, und da diese dem
gewohnten Spielgenossen.kein Leid anthun wollten, zwang er die Jäger
durch heftige Drohungen, ihn zu erschießen. Es war überhaupt eine unheim¬
liche Gegend. Ein Vetter dieses Edelmanns hatte es durch unmenschliche
Grausamkeit dahin gebracht, daß böse Geister seine Burg bei Nachr von
Grund aus zerstörten; eine merkwürdige Begebenheit, die Butzbach in einem
anderen Buch ausführlich erzählt hat. In der Nähe war noch ein Berg,
in welchem Schätze verborgen waren, die nur ein unschuldiger Knabe sehen
und heben konnte, jeden anderen erwürgten die schatzhütenden Geister. Dem
Beanus gefiel diese Gelegenheit, ohne eigene Gefahr ein reicher Mann zu
werden, er muthete daher Hans zu, den Schatzgräber zu machen. Die Geister
brauchte der zwar nicht zu fürchten, aber das ganze Unternehmen erschien
ihm so bedenklich, daß er sich weder durch Vorstellungen noch Schläge dazu
bringen ließ. Der Beanus mußte sich es also an dem genügen lassen, was
sein Schütz ihm erbettelte und — was hier nun nicht mehr zu vermeiden
war — an Hühnern und Enten zusammenstahl. Dazu wußte er ihm als
alter Praktikus sinnreiche Anweisung zu geben, während es übrigens mit
dem Lernen schlecht bestellt blieb. Auch that es ihm zunächst mehr noth,
böhmisch als lateinisch zu lernen, weil er sich auf seinen Bettelexpeditionen
kaum zu helfen wußte. Da er es dabei meistens mit den Frauen zu thun
hatte, bat er einen- Mitschüler, ihn ein recht feines Compliment zu lehren,
womit er auf hübsche Mädchen Eindruck machen könne. Dazu war der gern
bereit; allein als Hans nach einigen Tagen Mit der eingelernten Anrede bei


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0496" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/117498"/>
          <p xml:id="ID_1609" prev="#ID_1608" next="#ID_1610"> der Flüchtling wurde vor einer großen wehklagenden Menschenmenge aus¬<lb/>
gepeitscht und aufgehängt. Daran knüpft sich die Bemerkung, es gebe leider<lb/>
noch gar manche Edelleute, die, jemehr man sie bitte, nur um so härter und<lb/>
grausamer würden. Derselbe &#x201E;Tyrann" hatte seinen Koch auf einem Dieb¬<lb/>
stahl ertappt; auch dieser wurde in den Thurm geworfen und sollte gehängt<lb/>
werden. Nun hatte der Koch einen Bären von Jugend auf gezähmt und<lb/>
ganz an sich gewöhnt; der Tyrann, von allen Seiten um Freilassung des<lb/>
Kochs bestürmt, erklärte zum Hohn, wenn der Bär ihn aus dem Thurm<lb/>
holte, wolle er ihm das Leben schenken. Und siehe da, der Bär zeigte mensch¬<lb/>
liches Gefühl und menschlichen Verstand. Als zur gewohnten Zeit das<lb/>
Futter ausblieb, eilte er an den Thurm und gab durch Kratzen und Brum¬<lb/>
men seine Gegenwart zu erkennen. Dann packte er den Strick, an dem die<lb/>
Gefangenen heraufgezogen wurden, mit den Tatzen, warf das andere Ende<lb/>
mit dem daran befestigten Sitzbret in den Thurm hinunter dem Gefangenen<lb/>
unter beständigem Brummen zu und zog diesen glücklich aus dem Verließ<lb/>
wieder herauf. Zuerst hatte der Tyrann seinen Spaß an dem klugen Thier,<lb/>
nachher aber ärgerte es ihn, daß er deshalb hatte nachgeben müssen; er ließ<lb/>
den Bären in den Wald führen und mit Hunden Hetzen, und da diese dem<lb/>
gewohnten Spielgenossen.kein Leid anthun wollten, zwang er die Jäger<lb/>
durch heftige Drohungen, ihn zu erschießen. Es war überhaupt eine unheim¬<lb/>
liche Gegend. Ein Vetter dieses Edelmanns hatte es durch unmenschliche<lb/>
Grausamkeit dahin gebracht, daß böse Geister seine Burg bei Nachr von<lb/>
Grund aus zerstörten; eine merkwürdige Begebenheit, die Butzbach in einem<lb/>
anderen Buch ausführlich erzählt hat. In der Nähe war noch ein Berg,<lb/>
in welchem Schätze verborgen waren, die nur ein unschuldiger Knabe sehen<lb/>
und heben konnte, jeden anderen erwürgten die schatzhütenden Geister. Dem<lb/>
Beanus gefiel diese Gelegenheit, ohne eigene Gefahr ein reicher Mann zu<lb/>
werden, er muthete daher Hans zu, den Schatzgräber zu machen. Die Geister<lb/>
brauchte der zwar nicht zu fürchten, aber das ganze Unternehmen erschien<lb/>
ihm so bedenklich, daß er sich weder durch Vorstellungen noch Schläge dazu<lb/>
bringen ließ. Der Beanus mußte sich es also an dem genügen lassen, was<lb/>
sein Schütz ihm erbettelte und &#x2014; was hier nun nicht mehr zu vermeiden<lb/>
war &#x2014; an Hühnern und Enten zusammenstahl. Dazu wußte er ihm als<lb/>
alter Praktikus sinnreiche Anweisung zu geben, während es übrigens mit<lb/>
dem Lernen schlecht bestellt blieb. Auch that es ihm zunächst mehr noth,<lb/>
böhmisch als lateinisch zu lernen, weil er sich auf seinen Bettelexpeditionen<lb/>
kaum zu helfen wußte. Da er es dabei meistens mit den Frauen zu thun<lb/>
hatte, bat er einen- Mitschüler, ihn ein recht feines Compliment zu lehren,<lb/>
womit er auf hübsche Mädchen Eindruck machen könne. Dazu war der gern<lb/>
bereit; allein als Hans nach einigen Tagen Mit der eingelernten Anrede bei</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0496] der Flüchtling wurde vor einer großen wehklagenden Menschenmenge aus¬ gepeitscht und aufgehängt. Daran knüpft sich die Bemerkung, es gebe leider noch gar manche Edelleute, die, jemehr man sie bitte, nur um so härter und grausamer würden. Derselbe „Tyrann" hatte seinen Koch auf einem Dieb¬ stahl ertappt; auch dieser wurde in den Thurm geworfen und sollte gehängt werden. Nun hatte der Koch einen Bären von Jugend auf gezähmt und ganz an sich gewöhnt; der Tyrann, von allen Seiten um Freilassung des Kochs bestürmt, erklärte zum Hohn, wenn der Bär ihn aus dem Thurm holte, wolle er ihm das Leben schenken. Und siehe da, der Bär zeigte mensch¬ liches Gefühl und menschlichen Verstand. Als zur gewohnten Zeit das Futter ausblieb, eilte er an den Thurm und gab durch Kratzen und Brum¬ men seine Gegenwart zu erkennen. Dann packte er den Strick, an dem die Gefangenen heraufgezogen wurden, mit den Tatzen, warf das andere Ende mit dem daran befestigten Sitzbret in den Thurm hinunter dem Gefangenen unter beständigem Brummen zu und zog diesen glücklich aus dem Verließ wieder herauf. Zuerst hatte der Tyrann seinen Spaß an dem klugen Thier, nachher aber ärgerte es ihn, daß er deshalb hatte nachgeben müssen; er ließ den Bären in den Wald führen und mit Hunden Hetzen, und da diese dem gewohnten Spielgenossen.kein Leid anthun wollten, zwang er die Jäger durch heftige Drohungen, ihn zu erschießen. Es war überhaupt eine unheim¬ liche Gegend. Ein Vetter dieses Edelmanns hatte es durch unmenschliche Grausamkeit dahin gebracht, daß böse Geister seine Burg bei Nachr von Grund aus zerstörten; eine merkwürdige Begebenheit, die Butzbach in einem anderen Buch ausführlich erzählt hat. In der Nähe war noch ein Berg, in welchem Schätze verborgen waren, die nur ein unschuldiger Knabe sehen und heben konnte, jeden anderen erwürgten die schatzhütenden Geister. Dem Beanus gefiel diese Gelegenheit, ohne eigene Gefahr ein reicher Mann zu werden, er muthete daher Hans zu, den Schatzgräber zu machen. Die Geister brauchte der zwar nicht zu fürchten, aber das ganze Unternehmen erschien ihm so bedenklich, daß er sich weder durch Vorstellungen noch Schläge dazu bringen ließ. Der Beanus mußte sich es also an dem genügen lassen, was sein Schütz ihm erbettelte und — was hier nun nicht mehr zu vermeiden war — an Hühnern und Enten zusammenstahl. Dazu wußte er ihm als alter Praktikus sinnreiche Anweisung zu geben, während es übrigens mit dem Lernen schlecht bestellt blieb. Auch that es ihm zunächst mehr noth, böhmisch als lateinisch zu lernen, weil er sich auf seinen Bettelexpeditionen kaum zu helfen wußte. Da er es dabei meistens mit den Frauen zu thun hatte, bat er einen- Mitschüler, ihn ein recht feines Compliment zu lehren, womit er auf hübsche Mädchen Eindruck machen könne. Dazu war der gern bereit; allein als Hans nach einigen Tagen Mit der eingelernten Anrede bei

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/496
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/496>, abgerufen am 24.08.2024.