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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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war dazu zu bequem, auch wußte er Wohl, daß man ihm als einem großen
starken Burschen Arbeit bieten, aber kein Almosen geben würde, der zehn¬
jährige übelgehaltene Knabe konnte eher auf Mitleid rechnen. Kamen sie an.
einen Ort, so wurde Hans hineingeschickt und mußte sich durch grundlose
Straßen, in deren Koth er oft bis über die Knie versank, und Schaaren
bissiger Hunde, die ihn in Todesangst, auch wohl in wirkliche Todesgefahr
brachten, durchschlagen und von Haus zu Haus Gaben heischen. Am Aus¬
gang erwartete ihn dann sein Herr, der auf bequemen trockenen Wegen um den
Ort herumgegangen war. Hatte er nichts oder nichts ordentliches bekom¬
men, setzte es Schläge; brachte er etwas gutes mit, verzehrte es der Beanus
und ließ ihm nichts oder den Abfall übrig. Dabei hatte er ihn immer in
Verdacht, daß er von den geschenkten Lebensmitteln schon etwas verzehrt
hätte und pflegte das probate Bachantenmittel anzuwenden, daß er ihn war¬
mes Wasser trinken und ausspucken ließ, um zu sehen, ob er nichts fettes im
Munde hätte. Nun kam es nicht selten vor, daß mitleidige Frauen ihn ins
Haus riefen, sich an den Tisch setzen ließen und gut bewirtheten; so oft der
Beanus davon erfuhr, vergalt er es mit reichlichen Püffen und Schlägen.

Auf dieser academischen Laufbahn wandelte der gute Hans fechtend über
Culmbach und Hof nach Böhmen; dort fanden sie in Kaaden endlich
eine Burse, wie. sie dem Beanus zusagte. Der Stand der Studien, war
so niedrig, daß er trotz seiner Unwissenheit als ein Gelehrter großthun konnte.
Sie theilten das Zimmer mit zwei alten Studenten, die auch ihre Schützen
bei sich hatten. Wegen der starken Kälte pflegten die Jungen auf einer Bank
über dem Ofen zu schlafen^ von der Hans eines Nachts herunterstürzte, und
weil er dabei nicht blos seinen Kopf, sondern auch den Ofen beschädigt hatte,
bekam er noch tüchtige Schläge in den Kauf. Da es hier, wo alles bettelte,
mit dem Betteln keinen rechten Fortgang hatte, verlangte der Beanus, Hans
solle durch Stehlen das Deficit ergänzen, aber dazu ließ er sich durch keine
Mißhandlungen bewegen. Mit dem Frühjahr zogen sie nach Commotau
von da nach einigen Monaten durch die Pest wieder vertrieben, nach Machtau.
wo sie nur einen fremden Schüler, einen Baiern mit seinem Schützen fanden.
Hier waren sie mitten unter hussitischen Ketzern, und der schlimmsten einer
war der Herr der nahegelegenen Burg, ein grausamer Wüthrich und in
Zauberkünsten geübt, von dem man schreckliche Geschichten erzählte. Einen
Kammerdiener, der es bei ihm nicht hatte aushalten können und entwichen
war, hatte er trotz eines großen Vorsprungs durch seine "Nigromantik" in
seine Gewalt gebracht und zum Tode verurtheilt. Allgemein verwandte man
sich für den Unglücklichen, der brav und beliebt war, die Geliebte des "Ty¬
rannen" bat ihn fußfällig um Gnade, seine eigene Mutter eilte herbei und
beschwor ihn, sich nicht mit einem solchen Verbrechen zu belasten: vergebens,


war dazu zu bequem, auch wußte er Wohl, daß man ihm als einem großen
starken Burschen Arbeit bieten, aber kein Almosen geben würde, der zehn¬
jährige übelgehaltene Knabe konnte eher auf Mitleid rechnen. Kamen sie an.
einen Ort, so wurde Hans hineingeschickt und mußte sich durch grundlose
Straßen, in deren Koth er oft bis über die Knie versank, und Schaaren
bissiger Hunde, die ihn in Todesangst, auch wohl in wirkliche Todesgefahr
brachten, durchschlagen und von Haus zu Haus Gaben heischen. Am Aus¬
gang erwartete ihn dann sein Herr, der auf bequemen trockenen Wegen um den
Ort herumgegangen war. Hatte er nichts oder nichts ordentliches bekom¬
men, setzte es Schläge; brachte er etwas gutes mit, verzehrte es der Beanus
und ließ ihm nichts oder den Abfall übrig. Dabei hatte er ihn immer in
Verdacht, daß er von den geschenkten Lebensmitteln schon etwas verzehrt
hätte und pflegte das probate Bachantenmittel anzuwenden, daß er ihn war¬
mes Wasser trinken und ausspucken ließ, um zu sehen, ob er nichts fettes im
Munde hätte. Nun kam es nicht selten vor, daß mitleidige Frauen ihn ins
Haus riefen, sich an den Tisch setzen ließen und gut bewirtheten; so oft der
Beanus davon erfuhr, vergalt er es mit reichlichen Püffen und Schlägen.

Auf dieser academischen Laufbahn wandelte der gute Hans fechtend über
Culmbach und Hof nach Böhmen; dort fanden sie in Kaaden endlich
eine Burse, wie. sie dem Beanus zusagte. Der Stand der Studien, war
so niedrig, daß er trotz seiner Unwissenheit als ein Gelehrter großthun konnte.
Sie theilten das Zimmer mit zwei alten Studenten, die auch ihre Schützen
bei sich hatten. Wegen der starken Kälte pflegten die Jungen auf einer Bank
über dem Ofen zu schlafen^ von der Hans eines Nachts herunterstürzte, und
weil er dabei nicht blos seinen Kopf, sondern auch den Ofen beschädigt hatte,
bekam er noch tüchtige Schläge in den Kauf. Da es hier, wo alles bettelte,
mit dem Betteln keinen rechten Fortgang hatte, verlangte der Beanus, Hans
solle durch Stehlen das Deficit ergänzen, aber dazu ließ er sich durch keine
Mißhandlungen bewegen. Mit dem Frühjahr zogen sie nach Commotau
von da nach einigen Monaten durch die Pest wieder vertrieben, nach Machtau.
wo sie nur einen fremden Schüler, einen Baiern mit seinem Schützen fanden.
Hier waren sie mitten unter hussitischen Ketzern, und der schlimmsten einer
war der Herr der nahegelegenen Burg, ein grausamer Wüthrich und in
Zauberkünsten geübt, von dem man schreckliche Geschichten erzählte. Einen
Kammerdiener, der es bei ihm nicht hatte aushalten können und entwichen
war, hatte er trotz eines großen Vorsprungs durch seine „Nigromantik" in
seine Gewalt gebracht und zum Tode verurtheilt. Allgemein verwandte man
sich für den Unglücklichen, der brav und beliebt war, die Geliebte des „Ty¬
rannen" bat ihn fußfällig um Gnade, seine eigene Mutter eilte herbei und
beschwor ihn, sich nicht mit einem solchen Verbrechen zu belasten: vergebens,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/495>, abgerufen am 24.08.2024.