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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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viel Gerede machte. Der erbot sich, wenn man den Knaben ihm anvertrauen
wollte, väterlich für sein Wohlergehen an Leib und Seele zu sorgen, ihn
zum Lernen und zu allem Guten anzuführen und nach einigen Jahren als
perfecten Gelehrten wieder heimzubringen. Der Vater ging nach wiederholter
Rücksprache mit dem vielverheißenden Beanus darauf ein, überantwortete
diesem eine Summe Geldes und sagte ihm fernere Unterstützung zu, nur solle
er für seinen Hans sorgen und es ihm nicht fehlen lassen. Der war froh,
aus dem Ort zu kommen; er dachte nach dem Sprichwort, draußen in der
Welt hingen die Bratwürste an den Zäunen und die Häuser seien mit Pfann¬
kuchen gedeckt, und wer ihn fragte, dem versicherte er, unter zehn Jahren
bleibe er nicht aus, aber dann käme er als Doctor heim. So rückte der Ab¬
schied heran. Der Vater versammelte die Angehörigen zum feierlichen Ab-
schiedstrunk, gab dem Sohn mit vielen frommen Vermahnungen (die ein
etwas livianisches Colorit bekommen haben) seinen Segen und begleitete ihn
mit der Familie bis ans Thor. Die Mutter ging weinend und klagend
noch eine Strecke weiter mit. Der Beanus, der merkte, daß auch dem Kna¬
ben weich ums Herz wurde und fürchtete, er möchte am Ende wieder mit
umkehren, redete ihr zu, sie ziehen zu lassen; es gehe ja nur nach Nürnberg,
von wo sie durch Handels- und Fuhrleute immer gute Nachrichten von ihrem
Ergehen bekommen würde. So trennte sie sich denn von ihnen und Hans
schlich bitterlich weinend hinter seinem Beanus her, der ihm anfangs mit
guten Worten tröstlich zusprach; je weiter sie sich entfernten, je weniger an
ein Umkehren zu denken war, desto kürzer und härter wurden seine Weisun¬
gen an den Knaben, den er vor sich hergehen ließ.

Nach einem Marsch von zwei Meilen machte der arme Junge schon im
ersten Nachtquartier die Erfahrung, wie sein Beanus die Pflicht väterlicher
Fürsorge auffaßte. Kaum im Wirthshaus angelangt, bestellte er ein reich¬
liches Abendessen, ließ eine Anzahl armer Verwandter und Bekannter zusam¬
menholen und tractirte sie von dem Gelde, das ihm Meister Conrad mitge¬
geben hatte, ohne sich um dessen Sohn zu kümmern. Als die mitleidige
Wirthin fragte, ob nicht für den Burschen, der weinend am Ofen "in der
Hell" saß, gesorgt werden solle, meinte der wackere Pflegevater, dem thue
Schlaf mehr noth als Essen, und zum erstenmal mußte Hans hungrig zu
Bett gehen. Das nächste Nachtquartier gab ihnen in Bischofs heim ein
Weber, der bei Meister Conrad in Arbeit gestanden hatte; er nahm sich des
Knaben an, verpflegte ihn gut, redete ihm wohlmeinend zu und richtete seinen
Muth wieder auf, daß er getrost weiter zog. So kamen sie in Tagemärschen
von zwei Meilen über Weinsheim und Langezen (longus aeus) endlich
nach Nürnberg, das mit seinen Thürmen und Zinnen so weither sichtbar
wurde, daß der ungeduldige Reisende das Ziel gar nicht erreichen zu können


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viel Gerede machte. Der erbot sich, wenn man den Knaben ihm anvertrauen
wollte, väterlich für sein Wohlergehen an Leib und Seele zu sorgen, ihn
zum Lernen und zu allem Guten anzuführen und nach einigen Jahren als
perfecten Gelehrten wieder heimzubringen. Der Vater ging nach wiederholter
Rücksprache mit dem vielverheißenden Beanus darauf ein, überantwortete
diesem eine Summe Geldes und sagte ihm fernere Unterstützung zu, nur solle
er für seinen Hans sorgen und es ihm nicht fehlen lassen. Der war froh,
aus dem Ort zu kommen; er dachte nach dem Sprichwort, draußen in der
Welt hingen die Bratwürste an den Zäunen und die Häuser seien mit Pfann¬
kuchen gedeckt, und wer ihn fragte, dem versicherte er, unter zehn Jahren
bleibe er nicht aus, aber dann käme er als Doctor heim. So rückte der Ab¬
schied heran. Der Vater versammelte die Angehörigen zum feierlichen Ab-
schiedstrunk, gab dem Sohn mit vielen frommen Vermahnungen (die ein
etwas livianisches Colorit bekommen haben) seinen Segen und begleitete ihn
mit der Familie bis ans Thor. Die Mutter ging weinend und klagend
noch eine Strecke weiter mit. Der Beanus, der merkte, daß auch dem Kna¬
ben weich ums Herz wurde und fürchtete, er möchte am Ende wieder mit
umkehren, redete ihr zu, sie ziehen zu lassen; es gehe ja nur nach Nürnberg,
von wo sie durch Handels- und Fuhrleute immer gute Nachrichten von ihrem
Ergehen bekommen würde. So trennte sie sich denn von ihnen und Hans
schlich bitterlich weinend hinter seinem Beanus her, der ihm anfangs mit
guten Worten tröstlich zusprach; je weiter sie sich entfernten, je weniger an
ein Umkehren zu denken war, desto kürzer und härter wurden seine Weisun¬
gen an den Knaben, den er vor sich hergehen ließ.

Nach einem Marsch von zwei Meilen machte der arme Junge schon im
ersten Nachtquartier die Erfahrung, wie sein Beanus die Pflicht väterlicher
Fürsorge auffaßte. Kaum im Wirthshaus angelangt, bestellte er ein reich¬
liches Abendessen, ließ eine Anzahl armer Verwandter und Bekannter zusam¬
menholen und tractirte sie von dem Gelde, das ihm Meister Conrad mitge¬
geben hatte, ohne sich um dessen Sohn zu kümmern. Als die mitleidige
Wirthin fragte, ob nicht für den Burschen, der weinend am Ofen „in der
Hell" saß, gesorgt werden solle, meinte der wackere Pflegevater, dem thue
Schlaf mehr noth als Essen, und zum erstenmal mußte Hans hungrig zu
Bett gehen. Das nächste Nachtquartier gab ihnen in Bischofs heim ein
Weber, der bei Meister Conrad in Arbeit gestanden hatte; er nahm sich des
Knaben an, verpflegte ihn gut, redete ihm wohlmeinend zu und richtete seinen
Muth wieder auf, daß er getrost weiter zog. So kamen sie in Tagemärschen
von zwei Meilen über Weinsheim und Langezen (longus aeus) endlich
nach Nürnberg, das mit seinen Thürmen und Zinnen so weither sichtbar
wurde, daß der ungeduldige Reisende das Ziel gar nicht erreichen zu können


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/493>, abgerufen am 01.10.2024.