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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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Arm, die falsche Weisheit ihrer ruchlosen Professoren einholen gehen". Aber
bedenklicher offenbart sich der schwachsinnige Widerwille von Gentz in einer
höchst bezeichnenden Schilderung des Besuchs, den ihm der treffliche Buch¬
händler Reimer aus Berlin mit einem jungen Reisegefährten in Gastein
macht: "Ich glaubte, er sei ein Sohn des bekannten Reimer, und leugne
Ihnen nicht, daß sofort alle Sands und Löhnings von Norddeutschland vor
meinem Gemüth standen. Da die beiden Menschen schon im Nebenzimmer
waren, so blieb Anstands halber nichts übrig, als sie kommen zu lassen.
Hierauf trat ein der berühmte Herr Buchhändler in höchst eigner Person,
nebst einem ziemlich jungen Dr. de Wette, vermuthlich einem Sohn des be¬
rüchtigten Professors. Der Besuch, dessen eigentliches Motiv ich nicht begrei¬
sen konnte und noch nicht begreifen kann, setzte mich in einige Verlegenheit,
die ich aber unter einer sehr höflichen Aufnahme, so gut es gehen wollte,
verbarg. Das Gespräch dauerte, Gottlob, nur eine halbe Stunde. Jedes
Wort, welches die Unholde sprachen, verrieth den innern Grimm gegen alles
Bestehende und ihre hochmüthigen Projekte, alles neu zu schaffen. Von
eigentlicher Politik hielt ich sie streng entfernt; und auf die Frage, ob ich
keine neuen Nachrichten aus Italien hätte, antwortete ich kurz und trocken
mit nein! -- Als sie fort waren, konnte ich mich nicht enthalten, Gott zu
danken, daß ich mit dem Leben davon gekommen war; denn mehr als einmal
kam mir der Gedanke, sie würden Dolche odu Pistolen aus der Tasche zie¬
hen. -- Allen Scherz bei Seite gesetzt, werden Sie wohl begreifen, daß ich,
der ich mit dieser Höllenbrut nun so lange in keiner Art von Berührung
gewesen bin, mich äußerst unheimlich mit ihnen fühlen mußte, und daß
ich lieber noch einmal, allenfalls auch bei Nacht, über alle hängenden Brücken
der Klarn und alle Abgründe der Salzach gehen oder fahren, als mit diesen
deutschen Carbonari unter einem Dache wohnen wollte. Hätte sich die Rotte
auch nur auf drei Tage hier niedergelassen, ich wäre sogleich davon gegangen.
Daß übrigens eine ganze Gesellschaft solcher motorischer Umtriebler unsere
Provinzen in allen Direktionen frei durchstreifen darf, scheint mir doch eine
bedenkliche Sache, und besonders zu Fuß, wo alle Controle aufhört, und
wo sie in den abgelegensten Winkeln der Monarchie treiben können, was
ihnen beliebt. Die Leichtigkeit, womit unsere Gesandtschaften in Berlin und
Wien Pässe austheilen, hat mich schon oft scandalisirt. Ich würde in unseren
Zeiten keinem nur irgend verdächtigen Reisenden einen andern Paß geben,
als um auf der Poststraße nach Prag oder nach Wien zu gehen; und
hier müßte dann erst entschieden werden, ob er geeignet sei, Beobachtungs¬
reihen im Innern des Landes zu machen." -- Armselige Kurzsichtigkeit! der
selbstgefällige Humor, mit welchem diese Episode geschildert wird, darf doch
die Wahrheit solcher Befürchtungen nicht zweifelhaft machen; sonst würde


Arm, die falsche Weisheit ihrer ruchlosen Professoren einholen gehen". Aber
bedenklicher offenbart sich der schwachsinnige Widerwille von Gentz in einer
höchst bezeichnenden Schilderung des Besuchs, den ihm der treffliche Buch¬
händler Reimer aus Berlin mit einem jungen Reisegefährten in Gastein
macht: „Ich glaubte, er sei ein Sohn des bekannten Reimer, und leugne
Ihnen nicht, daß sofort alle Sands und Löhnings von Norddeutschland vor
meinem Gemüth standen. Da die beiden Menschen schon im Nebenzimmer
waren, so blieb Anstands halber nichts übrig, als sie kommen zu lassen.
Hierauf trat ein der berühmte Herr Buchhändler in höchst eigner Person,
nebst einem ziemlich jungen Dr. de Wette, vermuthlich einem Sohn des be¬
rüchtigten Professors. Der Besuch, dessen eigentliches Motiv ich nicht begrei¬
sen konnte und noch nicht begreifen kann, setzte mich in einige Verlegenheit,
die ich aber unter einer sehr höflichen Aufnahme, so gut es gehen wollte,
verbarg. Das Gespräch dauerte, Gottlob, nur eine halbe Stunde. Jedes
Wort, welches die Unholde sprachen, verrieth den innern Grimm gegen alles
Bestehende und ihre hochmüthigen Projekte, alles neu zu schaffen. Von
eigentlicher Politik hielt ich sie streng entfernt; und auf die Frage, ob ich
keine neuen Nachrichten aus Italien hätte, antwortete ich kurz und trocken
mit nein! — Als sie fort waren, konnte ich mich nicht enthalten, Gott zu
danken, daß ich mit dem Leben davon gekommen war; denn mehr als einmal
kam mir der Gedanke, sie würden Dolche odu Pistolen aus der Tasche zie¬
hen. — Allen Scherz bei Seite gesetzt, werden Sie wohl begreifen, daß ich,
der ich mit dieser Höllenbrut nun so lange in keiner Art von Berührung
gewesen bin, mich äußerst unheimlich mit ihnen fühlen mußte, und daß
ich lieber noch einmal, allenfalls auch bei Nacht, über alle hängenden Brücken
der Klarn und alle Abgründe der Salzach gehen oder fahren, als mit diesen
deutschen Carbonari unter einem Dache wohnen wollte. Hätte sich die Rotte
auch nur auf drei Tage hier niedergelassen, ich wäre sogleich davon gegangen.
Daß übrigens eine ganze Gesellschaft solcher motorischer Umtriebler unsere
Provinzen in allen Direktionen frei durchstreifen darf, scheint mir doch eine
bedenkliche Sache, und besonders zu Fuß, wo alle Controle aufhört, und
wo sie in den abgelegensten Winkeln der Monarchie treiben können, was
ihnen beliebt. Die Leichtigkeit, womit unsere Gesandtschaften in Berlin und
Wien Pässe austheilen, hat mich schon oft scandalisirt. Ich würde in unseren
Zeiten keinem nur irgend verdächtigen Reisenden einen andern Paß geben,
als um auf der Poststraße nach Prag oder nach Wien zu gehen; und
hier müßte dann erst entschieden werden, ob er geeignet sei, Beobachtungs¬
reihen im Innern des Landes zu machen." — Armselige Kurzsichtigkeit! der
selbstgefällige Humor, mit welchem diese Episode geschildert wird, darf doch
die Wahrheit solcher Befürchtungen nicht zweifelhaft machen; sonst würde


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[0464] Arm, die falsche Weisheit ihrer ruchlosen Professoren einholen gehen". Aber bedenklicher offenbart sich der schwachsinnige Widerwille von Gentz in einer höchst bezeichnenden Schilderung des Besuchs, den ihm der treffliche Buch¬ händler Reimer aus Berlin mit einem jungen Reisegefährten in Gastein macht: „Ich glaubte, er sei ein Sohn des bekannten Reimer, und leugne Ihnen nicht, daß sofort alle Sands und Löhnings von Norddeutschland vor meinem Gemüth standen. Da die beiden Menschen schon im Nebenzimmer waren, so blieb Anstands halber nichts übrig, als sie kommen zu lassen. Hierauf trat ein der berühmte Herr Buchhändler in höchst eigner Person, nebst einem ziemlich jungen Dr. de Wette, vermuthlich einem Sohn des be¬ rüchtigten Professors. Der Besuch, dessen eigentliches Motiv ich nicht begrei¬ sen konnte und noch nicht begreifen kann, setzte mich in einige Verlegenheit, die ich aber unter einer sehr höflichen Aufnahme, so gut es gehen wollte, verbarg. Das Gespräch dauerte, Gottlob, nur eine halbe Stunde. Jedes Wort, welches die Unholde sprachen, verrieth den innern Grimm gegen alles Bestehende und ihre hochmüthigen Projekte, alles neu zu schaffen. Von eigentlicher Politik hielt ich sie streng entfernt; und auf die Frage, ob ich keine neuen Nachrichten aus Italien hätte, antwortete ich kurz und trocken mit nein! — Als sie fort waren, konnte ich mich nicht enthalten, Gott zu danken, daß ich mit dem Leben davon gekommen war; denn mehr als einmal kam mir der Gedanke, sie würden Dolche odu Pistolen aus der Tasche zie¬ hen. — Allen Scherz bei Seite gesetzt, werden Sie wohl begreifen, daß ich, der ich mit dieser Höllenbrut nun so lange in keiner Art von Berührung gewesen bin, mich äußerst unheimlich mit ihnen fühlen mußte, und daß ich lieber noch einmal, allenfalls auch bei Nacht, über alle hängenden Brücken der Klarn und alle Abgründe der Salzach gehen oder fahren, als mit diesen deutschen Carbonari unter einem Dache wohnen wollte. Hätte sich die Rotte auch nur auf drei Tage hier niedergelassen, ich wäre sogleich davon gegangen. Daß übrigens eine ganze Gesellschaft solcher motorischer Umtriebler unsere Provinzen in allen Direktionen frei durchstreifen darf, scheint mir doch eine bedenkliche Sache, und besonders zu Fuß, wo alle Controle aufhört, und wo sie in den abgelegensten Winkeln der Monarchie treiben können, was ihnen beliebt. Die Leichtigkeit, womit unsere Gesandtschaften in Berlin und Wien Pässe austheilen, hat mich schon oft scandalisirt. Ich würde in unseren Zeiten keinem nur irgend verdächtigen Reisenden einen andern Paß geben, als um auf der Poststraße nach Prag oder nach Wien zu gehen; und hier müßte dann erst entschieden werden, ob er geeignet sei, Beobachtungs¬ reihen im Innern des Landes zu machen." — Armselige Kurzsichtigkeit! der selbstgefällige Humor, mit welchem diese Episode geschildert wird, darf doch die Wahrheit solcher Befürchtungen nicht zweifelhaft machen; sonst würde

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/464>, abgerufen am 22.07.2024.