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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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Metternichs zurückführt, geneigt, als Akte der Verblendung und der Tücke mit
Entrüstung zu schildern, und seitdem die von Ludmilla Ussing herausgegebe¬
nen Tagebücher mit erschreckender Offenheit auch Gentz' sittliche Schwächen
vor der Welt enthüllten, haben alle diese Züge liederlichen und anrüchigen
Lebens nur neue Gründe für das Verdammungsurtheil, geliefert, in welches
man das gesammte Thun des Mannes zusammenfaßt. Es ist schon ein Fort¬
schritt zur Unparteilichkeit, wenn man sich der leichten und lockenden Auf¬
gabe widmet, diese wunderbaren Contraste in seinem Wesen sich gegenüber
zu stellen, zu erzählen, wie derselbe Mann, der schon im Jahre 1808 den
Plan eines constitutionellen Bundesstaats unter Oestreichs Leitung ausarbei¬
tete, also mit den östreichischen Traditionen nicht nur völlig brach, sondern
noch weit mehr, weit lebenskräftigeres und ersprießlicheres forderte, als später
unter seiner vornämlichen Mitwirkung zu Stande kam, wie derselbe Mann,
der zu dem Kampfe gegen Napoleon an das deutsche Volk, "den Bund der
Starken, Reinen und Guten" sich gewendet, es an den Stolz und die Herr¬
lichkeit unserer Nation gemahnt und mit flammender Beredtsamkeit es zum
Kampf aufgerufen hatte -- wie eben derselbe später die Carlsbader Beschlüsse
als die größte retrograde Bewegung seit dreißig Jahren, als ein Ereigniß
größer als die Schlacht von Leipzig pries und sich nun groß und stolz in
dem Gedanken fühlte, bei solchen Beschlüssen, "dem edelsten und fruchtbarsten
Werke, welches unsere Zeit, unter Gottes sichtbarer Mitwirkung hervorge¬
bracht hat, ein eingeweihter Zeuge und manchmal ein brauchbarer Hand¬
langer gewesen zu sein." Was war mit dem Manne vorgegangen, daß er,
der die Schäden autokraten Regiments früher als die leitenden Staatsmänner
erkannt und die Zukunft auf die gesunden, mächtigen Kräfte des Volks hatte
gründen wollen, die Berufung des Ministeriums Polignac als "einen so
großartigen Entschluß preist, daß nur Gott ihn dem schwachen König ein¬
geben konnte", und mit dem Bischof von Laibach sich dahin verständigt, daß
"ohne eine Totalreform in den Lyceen und anderen Erziehungsanstalten, daß
ohne unmittelbare Verabschiedung der drei Viertheile aller Professoren in der
Monarchie die Achtung für die Religion und für die öffentliche Ordnung
nicht wieder hergestellt werden kann, die weit mehr von innen heraus, als
durch alle auswärtigen Libellisten untergraben worden ist?"

In der That, es ist verlockend, in der Schilderung dieser Gegensätze zu
verweilen und hellen Lichtseiten desto düstere, räthselhaftere Schatten entgegen¬
zustellen. Die Publikationen aus Gentz' Nachlaß, welche die letzten Monate
uns brachten, führen uns einen guten Schritt dem rechten Ziele näher. Das
Werk des Baron von Prokesch-Osten schildert Gentz namentlich als Staats¬
mann; politische Aufsätze, in denen er seine Ansichten sich selber entwickelt,
Denkschriften, die er für Staatsmänner oder in officiellen Auftrage verfaßte,


Metternichs zurückführt, geneigt, als Akte der Verblendung und der Tücke mit
Entrüstung zu schildern, und seitdem die von Ludmilla Ussing herausgegebe¬
nen Tagebücher mit erschreckender Offenheit auch Gentz' sittliche Schwächen
vor der Welt enthüllten, haben alle diese Züge liederlichen und anrüchigen
Lebens nur neue Gründe für das Verdammungsurtheil, geliefert, in welches
man das gesammte Thun des Mannes zusammenfaßt. Es ist schon ein Fort¬
schritt zur Unparteilichkeit, wenn man sich der leichten und lockenden Auf¬
gabe widmet, diese wunderbaren Contraste in seinem Wesen sich gegenüber
zu stellen, zu erzählen, wie derselbe Mann, der schon im Jahre 1808 den
Plan eines constitutionellen Bundesstaats unter Oestreichs Leitung ausarbei¬
tete, also mit den östreichischen Traditionen nicht nur völlig brach, sondern
noch weit mehr, weit lebenskräftigeres und ersprießlicheres forderte, als später
unter seiner vornämlichen Mitwirkung zu Stande kam, wie derselbe Mann,
der zu dem Kampfe gegen Napoleon an das deutsche Volk, „den Bund der
Starken, Reinen und Guten" sich gewendet, es an den Stolz und die Herr¬
lichkeit unserer Nation gemahnt und mit flammender Beredtsamkeit es zum
Kampf aufgerufen hatte — wie eben derselbe später die Carlsbader Beschlüsse
als die größte retrograde Bewegung seit dreißig Jahren, als ein Ereigniß
größer als die Schlacht von Leipzig pries und sich nun groß und stolz in
dem Gedanken fühlte, bei solchen Beschlüssen, „dem edelsten und fruchtbarsten
Werke, welches unsere Zeit, unter Gottes sichtbarer Mitwirkung hervorge¬
bracht hat, ein eingeweihter Zeuge und manchmal ein brauchbarer Hand¬
langer gewesen zu sein." Was war mit dem Manne vorgegangen, daß er,
der die Schäden autokraten Regiments früher als die leitenden Staatsmänner
erkannt und die Zukunft auf die gesunden, mächtigen Kräfte des Volks hatte
gründen wollen, die Berufung des Ministeriums Polignac als „einen so
großartigen Entschluß preist, daß nur Gott ihn dem schwachen König ein¬
geben konnte", und mit dem Bischof von Laibach sich dahin verständigt, daß
„ohne eine Totalreform in den Lyceen und anderen Erziehungsanstalten, daß
ohne unmittelbare Verabschiedung der drei Viertheile aller Professoren in der
Monarchie die Achtung für die Religion und für die öffentliche Ordnung
nicht wieder hergestellt werden kann, die weit mehr von innen heraus, als
durch alle auswärtigen Libellisten untergraben worden ist?"

In der That, es ist verlockend, in der Schilderung dieser Gegensätze zu
verweilen und hellen Lichtseiten desto düstere, räthselhaftere Schatten entgegen¬
zustellen. Die Publikationen aus Gentz' Nachlaß, welche die letzten Monate
uns brachten, führen uns einen guten Schritt dem rechten Ziele näher. Das
Werk des Baron von Prokesch-Osten schildert Gentz namentlich als Staats¬
mann; politische Aufsätze, in denen er seine Ansichten sich selber entwickelt,
Denkschriften, die er für Staatsmänner oder in officiellen Auftrage verfaßte,


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[0460] Metternichs zurückführt, geneigt, als Akte der Verblendung und der Tücke mit Entrüstung zu schildern, und seitdem die von Ludmilla Ussing herausgegebe¬ nen Tagebücher mit erschreckender Offenheit auch Gentz' sittliche Schwächen vor der Welt enthüllten, haben alle diese Züge liederlichen und anrüchigen Lebens nur neue Gründe für das Verdammungsurtheil, geliefert, in welches man das gesammte Thun des Mannes zusammenfaßt. Es ist schon ein Fort¬ schritt zur Unparteilichkeit, wenn man sich der leichten und lockenden Auf¬ gabe widmet, diese wunderbaren Contraste in seinem Wesen sich gegenüber zu stellen, zu erzählen, wie derselbe Mann, der schon im Jahre 1808 den Plan eines constitutionellen Bundesstaats unter Oestreichs Leitung ausarbei¬ tete, also mit den östreichischen Traditionen nicht nur völlig brach, sondern noch weit mehr, weit lebenskräftigeres und ersprießlicheres forderte, als später unter seiner vornämlichen Mitwirkung zu Stande kam, wie derselbe Mann, der zu dem Kampfe gegen Napoleon an das deutsche Volk, „den Bund der Starken, Reinen und Guten" sich gewendet, es an den Stolz und die Herr¬ lichkeit unserer Nation gemahnt und mit flammender Beredtsamkeit es zum Kampf aufgerufen hatte — wie eben derselbe später die Carlsbader Beschlüsse als die größte retrograde Bewegung seit dreißig Jahren, als ein Ereigniß größer als die Schlacht von Leipzig pries und sich nun groß und stolz in dem Gedanken fühlte, bei solchen Beschlüssen, „dem edelsten und fruchtbarsten Werke, welches unsere Zeit, unter Gottes sichtbarer Mitwirkung hervorge¬ bracht hat, ein eingeweihter Zeuge und manchmal ein brauchbarer Hand¬ langer gewesen zu sein." Was war mit dem Manne vorgegangen, daß er, der die Schäden autokraten Regiments früher als die leitenden Staatsmänner erkannt und die Zukunft auf die gesunden, mächtigen Kräfte des Volks hatte gründen wollen, die Berufung des Ministeriums Polignac als „einen so großartigen Entschluß preist, daß nur Gott ihn dem schwachen König ein¬ geben konnte", und mit dem Bischof von Laibach sich dahin verständigt, daß „ohne eine Totalreform in den Lyceen und anderen Erziehungsanstalten, daß ohne unmittelbare Verabschiedung der drei Viertheile aller Professoren in der Monarchie die Achtung für die Religion und für die öffentliche Ordnung nicht wieder hergestellt werden kann, die weit mehr von innen heraus, als durch alle auswärtigen Libellisten untergraben worden ist?" In der That, es ist verlockend, in der Schilderung dieser Gegensätze zu verweilen und hellen Lichtseiten desto düstere, räthselhaftere Schatten entgegen¬ zustellen. Die Publikationen aus Gentz' Nachlaß, welche die letzten Monate uns brachten, führen uns einen guten Schritt dem rechten Ziele näher. Das Werk des Baron von Prokesch-Osten schildert Gentz namentlich als Staats¬ mann; politische Aufsätze, in denen er seine Ansichten sich selber entwickelt, Denkschriften, die er für Staatsmänner oder in officiellen Auftrage verfaßte,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/460>, abgerufen am 22.07.2024.