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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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welches Bause gestochen hat und welches nach diesem Stich zu urtheilen
ebenfalls anmuthig und vortrefflich ist.

Hiernach ist es irrig, daß ein entstellender Kupferstich nach diesem Hal¬
berstädter Bilde, welcher für den "deutschen Ehrentempel" (herausgegeben
von Herrings) v. F. Müller gestochen ist, Anton Graff als Maler nennt,
und ein besserer, fast lebensgroßer Stich in leichter Roulettemanier, von Pro¬
fessor Christian Müller in Weimar, dagegen einen Tischbein. Dieser letztere
Stich gehört zu einer Reihe ähnlicher Bildnisse der größesten deutschen Dichter
und Gelehrten des vorigen Jahrhunderts. Vor wenigen Jahren ist in Dresden
nach diesem Stich ein Steindruck, in halber Lebensgröße, von W. Küntzel
verfertigt worden, auf dessen früheren Abdrücken irrig steht, das Original
befinde sich in der Götheschen Sammlung, auf jden späteren richtig: in der
Gleimschen. Den Anlaß zu diesem Irrthum gab wohl der Umstand, daß
Göthe das Bild, als er es in Halberstadt bei Gleim's Schwiegersohn I)r.
Körte gesehen hatte, endlich, in seinem Arbeitszimmer aufstellte, und sich
endlich, wie er sagt, "sehr ungern" davon trennte, als nach anderthalb Jahren
Körte es zurückforderte. Die darüber gewechselten Briefe befinden sich im
Besitz des Herrn Buchhändlers Dr. Hirzel zu Leipzig.

In dem Programm zur Jenaischen Literaturzeitung von 1807 spricht
Göthe ein treffendes Urtheil über dies Bild aus, so treffend wie alle seine
Urtheile über Kunstwerke: "Es ist zuverlässig die Arbeit eines tüchtigen
Malers, frei mit Geist und Kraft behandelt, frisch von Farbe, von lebhaftem
Ausdruck. Wenngleich Lessing hier in dem nicht mehr gefallenden und wirklich
etwas steifen Modecostüm der 1760er Jahre dargestellt ist, so erscheint er uns
darum doch als eine anziehende Gestalt. Ein volles behagliches Gesicht, das
Auge ganz ungemein lebhaft, die festen Theile, besonders die Stirn, schön
und regelmäßig gebaut. Auch ohne weitere Nachricht würden aufmerksame
Beschauer sogleich einen ausgezeichnet klaren geistreichen Mann in diesem
Bilde erkennen."

Das letzte der drei Oelgemälde ist von dem berühmten Anton Graff,
ein Brustbild, fast ganz von vorn, im rothsammtnen Rock. Es ist 1771
gemalt, als Lessing 42 Jahre alt war. Denn Lessing schreibt am 29. Juli
1772 an Frau König: "Sie wissen ja, daß ich voriges Jahr in Berlin mich
von Grahem mußte malen lassen." Sie erwidert, er habe versprochen, ihr
das Bild zu schenken. Ob das geschehen, erfahren wir nicht. Mehrere Jahre
später erzählte Graff dem Herrn von Herrings, Lessing habe vor dem vol¬
lendeten Gemälde ausgerufen: "sehe ich denn so verteufelt freundlich aus?"
Seine Bemerkung ist völlig richtig, der Ausdruck ist lebendig und geistvoll,
aber von etwas gezwungener Freundlichkeit.

Dies Gemälde ist in mehreren Exemplaren vorhanden; es ist bekannt,


welches Bause gestochen hat und welches nach diesem Stich zu urtheilen
ebenfalls anmuthig und vortrefflich ist.

Hiernach ist es irrig, daß ein entstellender Kupferstich nach diesem Hal¬
berstädter Bilde, welcher für den „deutschen Ehrentempel" (herausgegeben
von Herrings) v. F. Müller gestochen ist, Anton Graff als Maler nennt,
und ein besserer, fast lebensgroßer Stich in leichter Roulettemanier, von Pro¬
fessor Christian Müller in Weimar, dagegen einen Tischbein. Dieser letztere
Stich gehört zu einer Reihe ähnlicher Bildnisse der größesten deutschen Dichter
und Gelehrten des vorigen Jahrhunderts. Vor wenigen Jahren ist in Dresden
nach diesem Stich ein Steindruck, in halber Lebensgröße, von W. Küntzel
verfertigt worden, auf dessen früheren Abdrücken irrig steht, das Original
befinde sich in der Götheschen Sammlung, auf jden späteren richtig: in der
Gleimschen. Den Anlaß zu diesem Irrthum gab wohl der Umstand, daß
Göthe das Bild, als er es in Halberstadt bei Gleim's Schwiegersohn I)r.
Körte gesehen hatte, endlich, in seinem Arbeitszimmer aufstellte, und sich
endlich, wie er sagt, „sehr ungern" davon trennte, als nach anderthalb Jahren
Körte es zurückforderte. Die darüber gewechselten Briefe befinden sich im
Besitz des Herrn Buchhändlers Dr. Hirzel zu Leipzig.

In dem Programm zur Jenaischen Literaturzeitung von 1807 spricht
Göthe ein treffendes Urtheil über dies Bild aus, so treffend wie alle seine
Urtheile über Kunstwerke: „Es ist zuverlässig die Arbeit eines tüchtigen
Malers, frei mit Geist und Kraft behandelt, frisch von Farbe, von lebhaftem
Ausdruck. Wenngleich Lessing hier in dem nicht mehr gefallenden und wirklich
etwas steifen Modecostüm der 1760er Jahre dargestellt ist, so erscheint er uns
darum doch als eine anziehende Gestalt. Ein volles behagliches Gesicht, das
Auge ganz ungemein lebhaft, die festen Theile, besonders die Stirn, schön
und regelmäßig gebaut. Auch ohne weitere Nachricht würden aufmerksame
Beschauer sogleich einen ausgezeichnet klaren geistreichen Mann in diesem
Bilde erkennen."

Das letzte der drei Oelgemälde ist von dem berühmten Anton Graff,
ein Brustbild, fast ganz von vorn, im rothsammtnen Rock. Es ist 1771
gemalt, als Lessing 42 Jahre alt war. Denn Lessing schreibt am 29. Juli
1772 an Frau König: „Sie wissen ja, daß ich voriges Jahr in Berlin mich
von Grahem mußte malen lassen." Sie erwidert, er habe versprochen, ihr
das Bild zu schenken. Ob das geschehen, erfahren wir nicht. Mehrere Jahre
später erzählte Graff dem Herrn von Herrings, Lessing habe vor dem vol¬
lendeten Gemälde ausgerufen: „sehe ich denn so verteufelt freundlich aus?"
Seine Bemerkung ist völlig richtig, der Ausdruck ist lebendig und geistvoll,
aber von etwas gezwungener Freundlichkeit.

Dies Gemälde ist in mehreren Exemplaren vorhanden; es ist bekannt,


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[0454] welches Bause gestochen hat und welches nach diesem Stich zu urtheilen ebenfalls anmuthig und vortrefflich ist. Hiernach ist es irrig, daß ein entstellender Kupferstich nach diesem Hal¬ berstädter Bilde, welcher für den „deutschen Ehrentempel" (herausgegeben von Herrings) v. F. Müller gestochen ist, Anton Graff als Maler nennt, und ein besserer, fast lebensgroßer Stich in leichter Roulettemanier, von Pro¬ fessor Christian Müller in Weimar, dagegen einen Tischbein. Dieser letztere Stich gehört zu einer Reihe ähnlicher Bildnisse der größesten deutschen Dichter und Gelehrten des vorigen Jahrhunderts. Vor wenigen Jahren ist in Dresden nach diesem Stich ein Steindruck, in halber Lebensgröße, von W. Küntzel verfertigt worden, auf dessen früheren Abdrücken irrig steht, das Original befinde sich in der Götheschen Sammlung, auf jden späteren richtig: in der Gleimschen. Den Anlaß zu diesem Irrthum gab wohl der Umstand, daß Göthe das Bild, als er es in Halberstadt bei Gleim's Schwiegersohn I)r. Körte gesehen hatte, endlich, in seinem Arbeitszimmer aufstellte, und sich endlich, wie er sagt, „sehr ungern" davon trennte, als nach anderthalb Jahren Körte es zurückforderte. Die darüber gewechselten Briefe befinden sich im Besitz des Herrn Buchhändlers Dr. Hirzel zu Leipzig. In dem Programm zur Jenaischen Literaturzeitung von 1807 spricht Göthe ein treffendes Urtheil über dies Bild aus, so treffend wie alle seine Urtheile über Kunstwerke: „Es ist zuverlässig die Arbeit eines tüchtigen Malers, frei mit Geist und Kraft behandelt, frisch von Farbe, von lebhaftem Ausdruck. Wenngleich Lessing hier in dem nicht mehr gefallenden und wirklich etwas steifen Modecostüm der 1760er Jahre dargestellt ist, so erscheint er uns darum doch als eine anziehende Gestalt. Ein volles behagliches Gesicht, das Auge ganz ungemein lebhaft, die festen Theile, besonders die Stirn, schön und regelmäßig gebaut. Auch ohne weitere Nachricht würden aufmerksame Beschauer sogleich einen ausgezeichnet klaren geistreichen Mann in diesem Bilde erkennen." Das letzte der drei Oelgemälde ist von dem berühmten Anton Graff, ein Brustbild, fast ganz von vorn, im rothsammtnen Rock. Es ist 1771 gemalt, als Lessing 42 Jahre alt war. Denn Lessing schreibt am 29. Juli 1772 an Frau König: „Sie wissen ja, daß ich voriges Jahr in Berlin mich von Grahem mußte malen lassen." Sie erwidert, er habe versprochen, ihr das Bild zu schenken. Ob das geschehen, erfahren wir nicht. Mehrere Jahre später erzählte Graff dem Herrn von Herrings, Lessing habe vor dem vol¬ lendeten Gemälde ausgerufen: „sehe ich denn so verteufelt freundlich aus?" Seine Bemerkung ist völlig richtig, der Ausdruck ist lebendig und geistvoll, aber von etwas gezwungener Freundlichkeit. Dies Gemälde ist in mehreren Exemplaren vorhanden; es ist bekannt,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/454>, abgerufen am 24.08.2024.