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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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am Zaun; nicht fern von ihm schleichen zwei Füchse, deren einer sich durch
die Gänge und Reben schmieget und Trauben nascht, der andere aber auf
den Sack des Knaben einen gierigen Blick wirft und ihn auszuleeren trach¬
tet, ehe der Knabe sein Frühstück nimmt und während er eine Grillensalle
von Stroh und Binsen baut, und dabei seinen Sack und seinen Weinberg
vergißt. Um das Ganze Mängeln sich die biegsamen Zweige von Bären¬
klau, alles in schöner erhabener Arbeit nach äolischen Geschmack, Du wirst
darüber erstaunen. Dieses erhielt ich von einem kanonischen Schiffer gegen
eine Ziege und einen großen Kuchen von Käse. Noch ist das Gefäß nicht
an meinen Mund gekommen, ich habe es wohl aufbewahrt. Mit Vergnügen
werde ich dir ein Geschenk damit machen, wenn du mir das bewegte und
schöne Lied singen wirst. -- Wohlan, lieber Freund, ich glaube nicht, daß
du das Lied für den Orkus versparen willst, wo man alles vergißt! --

Wir lassen das nun folgende Lied des Thyrsis von den' Leiden und dem
Tode des Daphnis weg, da das Mitgetheilte genügt, um die Uebersetzung zu
beurtheilen, geben aber noch eine Uebersetzung einer Elegie des Properz (II. 13.):

"Das persische Heer verdunkelt den Himmel nicht mit soviel Pfeilen, als
Amor wider mein Herz abschießet. Er befiehlt mir, den zärtlichen Musen
mich zu weihen, und ihren geheiligten Haym zu bewohnen. Nicht, daß durch
den Zauber meines Gesanges die Eichen mir nachlaufen, und nach Griechen¬
land jedes wilde Thier hinter mir herziehen würde, sondern nur, daß Cynthia
sich erweichen lasse. Wenn ich dieses erhalte, so verlange ich keinen Vorzug
vor Linus oder seinem Schüler Orpheus. --

Mich reizt kein Mädchen ihrer Schönheit wegen, oder weil sie von Halb¬
göttern abstammt, aber dieses wünschte ich, daß ich meiner Cynthia gefalle,
wenn ich ihr meine Gedichte an ihrer Seite vorlese. Könnte ich ein so seltenes
Glück haben, verlangte ich keine theatralische Ehre, denn der Beifall meiner
Geliebten ist mir alles. Wenn sie mit mir Friede hält und ihren Zorn
gegen mich besänftigt, so werde ich Jupiter minder fürchten, wenn er wieder
mir zürnt.

Sollte der Tod seine Waffen gegen mich richten und meine Augen
schließen, so höre meinen letzten Wunsch, wie ich begraben sein will: Ich
will nicht, daß mein Bild in feierlichem Aufzuge erscheine, noch daß die
eitle Trompete meinem Tode Nachhalle, noch daß' mir ein mit Elfenbein ein¬
gefaßtes Bett zubereitet werde, noch daß alkalische Schätze mein Kopfpfühl
schmücken. Ich verlange keine in Reihen gestellten Gefäße mit Wohlgeruch,
nur gemeine Salben soll meine Urne einschließen. Wenige meiner Schriften
sollen meine einzige Zierde sein, besseres kann ich der Proserpina nicht zum
Geschenke bringen. Du aber folge mir, wenn man mich zu Grabe trägt;


am Zaun; nicht fern von ihm schleichen zwei Füchse, deren einer sich durch
die Gänge und Reben schmieget und Trauben nascht, der andere aber auf
den Sack des Knaben einen gierigen Blick wirft und ihn auszuleeren trach¬
tet, ehe der Knabe sein Frühstück nimmt und während er eine Grillensalle
von Stroh und Binsen baut, und dabei seinen Sack und seinen Weinberg
vergißt. Um das Ganze Mängeln sich die biegsamen Zweige von Bären¬
klau, alles in schöner erhabener Arbeit nach äolischen Geschmack, Du wirst
darüber erstaunen. Dieses erhielt ich von einem kanonischen Schiffer gegen
eine Ziege und einen großen Kuchen von Käse. Noch ist das Gefäß nicht
an meinen Mund gekommen, ich habe es wohl aufbewahrt. Mit Vergnügen
werde ich dir ein Geschenk damit machen, wenn du mir das bewegte und
schöne Lied singen wirst. — Wohlan, lieber Freund, ich glaube nicht, daß
du das Lied für den Orkus versparen willst, wo man alles vergißt! —

Wir lassen das nun folgende Lied des Thyrsis von den' Leiden und dem
Tode des Daphnis weg, da das Mitgetheilte genügt, um die Uebersetzung zu
beurtheilen, geben aber noch eine Uebersetzung einer Elegie des Properz (II. 13.):

„Das persische Heer verdunkelt den Himmel nicht mit soviel Pfeilen, als
Amor wider mein Herz abschießet. Er befiehlt mir, den zärtlichen Musen
mich zu weihen, und ihren geheiligten Haym zu bewohnen. Nicht, daß durch
den Zauber meines Gesanges die Eichen mir nachlaufen, und nach Griechen¬
land jedes wilde Thier hinter mir herziehen würde, sondern nur, daß Cynthia
sich erweichen lasse. Wenn ich dieses erhalte, so verlange ich keinen Vorzug
vor Linus oder seinem Schüler Orpheus. —

Mich reizt kein Mädchen ihrer Schönheit wegen, oder weil sie von Halb¬
göttern abstammt, aber dieses wünschte ich, daß ich meiner Cynthia gefalle,
wenn ich ihr meine Gedichte an ihrer Seite vorlese. Könnte ich ein so seltenes
Glück haben, verlangte ich keine theatralische Ehre, denn der Beifall meiner
Geliebten ist mir alles. Wenn sie mit mir Friede hält und ihren Zorn
gegen mich besänftigt, so werde ich Jupiter minder fürchten, wenn er wieder
mir zürnt.

Sollte der Tod seine Waffen gegen mich richten und meine Augen
schließen, so höre meinen letzten Wunsch, wie ich begraben sein will: Ich
will nicht, daß mein Bild in feierlichem Aufzuge erscheine, noch daß die
eitle Trompete meinem Tode Nachhalle, noch daß' mir ein mit Elfenbein ein¬
gefaßtes Bett zubereitet werde, noch daß alkalische Schätze mein Kopfpfühl
schmücken. Ich verlange keine in Reihen gestellten Gefäße mit Wohlgeruch,
nur gemeine Salben soll meine Urne einschließen. Wenige meiner Schriften
sollen meine einzige Zierde sein, besseres kann ich der Proserpina nicht zum
Geschenke bringen. Du aber folge mir, wenn man mich zu Grabe trägt;


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[0042] am Zaun; nicht fern von ihm schleichen zwei Füchse, deren einer sich durch die Gänge und Reben schmieget und Trauben nascht, der andere aber auf den Sack des Knaben einen gierigen Blick wirft und ihn auszuleeren trach¬ tet, ehe der Knabe sein Frühstück nimmt und während er eine Grillensalle von Stroh und Binsen baut, und dabei seinen Sack und seinen Weinberg vergißt. Um das Ganze Mängeln sich die biegsamen Zweige von Bären¬ klau, alles in schöner erhabener Arbeit nach äolischen Geschmack, Du wirst darüber erstaunen. Dieses erhielt ich von einem kanonischen Schiffer gegen eine Ziege und einen großen Kuchen von Käse. Noch ist das Gefäß nicht an meinen Mund gekommen, ich habe es wohl aufbewahrt. Mit Vergnügen werde ich dir ein Geschenk damit machen, wenn du mir das bewegte und schöne Lied singen wirst. — Wohlan, lieber Freund, ich glaube nicht, daß du das Lied für den Orkus versparen willst, wo man alles vergißt! — Wir lassen das nun folgende Lied des Thyrsis von den' Leiden und dem Tode des Daphnis weg, da das Mitgetheilte genügt, um die Uebersetzung zu beurtheilen, geben aber noch eine Uebersetzung einer Elegie des Properz (II. 13.): „Das persische Heer verdunkelt den Himmel nicht mit soviel Pfeilen, als Amor wider mein Herz abschießet. Er befiehlt mir, den zärtlichen Musen mich zu weihen, und ihren geheiligten Haym zu bewohnen. Nicht, daß durch den Zauber meines Gesanges die Eichen mir nachlaufen, und nach Griechen¬ land jedes wilde Thier hinter mir herziehen würde, sondern nur, daß Cynthia sich erweichen lasse. Wenn ich dieses erhalte, so verlange ich keinen Vorzug vor Linus oder seinem Schüler Orpheus. — Mich reizt kein Mädchen ihrer Schönheit wegen, oder weil sie von Halb¬ göttern abstammt, aber dieses wünschte ich, daß ich meiner Cynthia gefalle, wenn ich ihr meine Gedichte an ihrer Seite vorlese. Könnte ich ein so seltenes Glück haben, verlangte ich keine theatralische Ehre, denn der Beifall meiner Geliebten ist mir alles. Wenn sie mit mir Friede hält und ihren Zorn gegen mich besänftigt, so werde ich Jupiter minder fürchten, wenn er wieder mir zürnt. Sollte der Tod seine Waffen gegen mich richten und meine Augen schließen, so höre meinen letzten Wunsch, wie ich begraben sein will: Ich will nicht, daß mein Bild in feierlichem Aufzuge erscheine, noch daß die eitle Trompete meinem Tode Nachhalle, noch daß' mir ein mit Elfenbein ein¬ gefaßtes Bett zubereitet werde, noch daß alkalische Schätze mein Kopfpfühl schmücken. Ich verlange keine in Reihen gestellten Gefäße mit Wohlgeruch, nur gemeine Salben soll meine Urne einschließen. Wenige meiner Schriften sollen meine einzige Zierde sein, besseres kann ich der Proserpina nicht zum Geschenke bringen. Du aber folge mir, wenn man mich zu Grabe trägt;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/42>, abgerufen am 22.07.2024.