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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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wird neuerdings mit Eifer gearbeitet. So bereitwillig ich also auch aner¬
kenne, daß in Bezug auf Verbesserung und Vermehrung der Wasserstraßen
in der letzten Zeit Dankenswerthes geleistet worden ist, so sind doch eben
alle diese Verbesserungen noch so jungen Datums, daß ihr heilsamer Einfluß
sich noch kaum hat fühlbar machen können.

Viel länger und in viel größerem Maße haben wir die Gewässer als
Steine des Anstoßes und Hindernisse des Verkehrs zu ertragen gehabt,
ja wir müssen dies noch. Bis zur Vollendung der Brücken bei Dirschau
und Marienburg war mindestens in jedem Herbste, ehe das Eis sich stellte,
und im Frühling, wenn es aufging, der Traject über die Ströme für Per¬
sonen Tage lang, sür Waaren noch viel länger mit Lebensgefahr verknüpft
oder ganz unmöglich. Oft genug aber führte eine Periode von Thauwetter
mitten im Winter und das Hochwasser des Sommers noch ein drittes und
viertes Mal im Jahr ähnliche Zustände herbei. Und an der Memel bestehen
diese noch gegenwärtig, womöglich in noch höherem Grade, sodaß die Be¬
wohner des nördlichsten Zipfels unserer Provinz unberechenbar oft und un¬
berechenbar lange vom Verkehr mit dem übrigen Staate völlig abgeschnitten
sind. Die Stadt Tapiau und ihre stark bevölkerte Umgegend hatte früher
eine bequeme PostVerbindung mit Königsberg auf dem nördlichen Pregelufer.
Diese ist seit Eröffnung der Ostbahn eingegangen. Aber die Bahn läuft auf
dem südlichen Ufer, und zum Bau einer Brücke, die auf ganze 100,000 Thlr.
veranschlagt ist, haben sich immer die Mittel noch nicht gefunden. So oft
daher der Betrieb der Fähre durch Eis oder Hochwasser unterbrochen wird,
mag Tapiau und Umgegend zusehen, wie es auf die Bahn kommt.

Das also sind die materiellen Schwierigkeiten, mit denen Handel und
Industrie Ostpreußens zu kämpfen gehabt haben und denen es wenigstens
zum größten Theile zuzuschreiben ist, daß unsere Provinz noch bis auf den
heutigen Tag eine so überwiegend ackerbauende geblieben ist.

Und die Landwirthschaft selbst? Gewährt sie uns wenigstens einen
Ersatz für das Darniederliegen anderer Erwerbszweige? Hat sie in ihrer
Entwicklung gleichen Schritt gehalten mit den übrigen Provinzen? Auch
auf diesem Gebiete ist unsere Lage von Haus aus ungünstiger. Viele edle
Gewächse, die einen hohen Ertrag geben (Wein, Obst, Hopfen, Taback, Zucker¬
rüben) eignen sich des Klimas wegen zum Anbau im Großen nicht mehr.
Andere, wie Klee und Oelfrucht, werden zwar noch gebaut, aber ihre Erträge
sind unsicher. Unser Winter ist schon gegen Berlin um 3--4 Wochen, gegen
den Mittelrhein wohl um 6--8 Wochen länger. Die Folge davon ist, daß
der Landmann um soviel mehr Winterfutter für sein Vieh bereit halten muß,
daß er um soviel mehr Arbeitskräfte an Menschen, Pferden oder Maschinen
braucht, um während des kurzen Sommers die sich drängenden Arbeiten zu


wird neuerdings mit Eifer gearbeitet. So bereitwillig ich also auch aner¬
kenne, daß in Bezug auf Verbesserung und Vermehrung der Wasserstraßen
in der letzten Zeit Dankenswerthes geleistet worden ist, so sind doch eben
alle diese Verbesserungen noch so jungen Datums, daß ihr heilsamer Einfluß
sich noch kaum hat fühlbar machen können.

Viel länger und in viel größerem Maße haben wir die Gewässer als
Steine des Anstoßes und Hindernisse des Verkehrs zu ertragen gehabt,
ja wir müssen dies noch. Bis zur Vollendung der Brücken bei Dirschau
und Marienburg war mindestens in jedem Herbste, ehe das Eis sich stellte,
und im Frühling, wenn es aufging, der Traject über die Ströme für Per¬
sonen Tage lang, sür Waaren noch viel länger mit Lebensgefahr verknüpft
oder ganz unmöglich. Oft genug aber führte eine Periode von Thauwetter
mitten im Winter und das Hochwasser des Sommers noch ein drittes und
viertes Mal im Jahr ähnliche Zustände herbei. Und an der Memel bestehen
diese noch gegenwärtig, womöglich in noch höherem Grade, sodaß die Be¬
wohner des nördlichsten Zipfels unserer Provinz unberechenbar oft und un¬
berechenbar lange vom Verkehr mit dem übrigen Staate völlig abgeschnitten
sind. Die Stadt Tapiau und ihre stark bevölkerte Umgegend hatte früher
eine bequeme PostVerbindung mit Königsberg auf dem nördlichen Pregelufer.
Diese ist seit Eröffnung der Ostbahn eingegangen. Aber die Bahn läuft auf
dem südlichen Ufer, und zum Bau einer Brücke, die auf ganze 100,000 Thlr.
veranschlagt ist, haben sich immer die Mittel noch nicht gefunden. So oft
daher der Betrieb der Fähre durch Eis oder Hochwasser unterbrochen wird,
mag Tapiau und Umgegend zusehen, wie es auf die Bahn kommt.

Das also sind die materiellen Schwierigkeiten, mit denen Handel und
Industrie Ostpreußens zu kämpfen gehabt haben und denen es wenigstens
zum größten Theile zuzuschreiben ist, daß unsere Provinz noch bis auf den
heutigen Tag eine so überwiegend ackerbauende geblieben ist.

Und die Landwirthschaft selbst? Gewährt sie uns wenigstens einen
Ersatz für das Darniederliegen anderer Erwerbszweige? Hat sie in ihrer
Entwicklung gleichen Schritt gehalten mit den übrigen Provinzen? Auch
auf diesem Gebiete ist unsere Lage von Haus aus ungünstiger. Viele edle
Gewächse, die einen hohen Ertrag geben (Wein, Obst, Hopfen, Taback, Zucker¬
rüben) eignen sich des Klimas wegen zum Anbau im Großen nicht mehr.
Andere, wie Klee und Oelfrucht, werden zwar noch gebaut, aber ihre Erträge
sind unsicher. Unser Winter ist schon gegen Berlin um 3—4 Wochen, gegen
den Mittelrhein wohl um 6—8 Wochen länger. Die Folge davon ist, daß
der Landmann um soviel mehr Winterfutter für sein Vieh bereit halten muß,
daß er um soviel mehr Arbeitskräfte an Menschen, Pferden oder Maschinen
braucht, um während des kurzen Sommers die sich drängenden Arbeiten zu


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[0416] wird neuerdings mit Eifer gearbeitet. So bereitwillig ich also auch aner¬ kenne, daß in Bezug auf Verbesserung und Vermehrung der Wasserstraßen in der letzten Zeit Dankenswerthes geleistet worden ist, so sind doch eben alle diese Verbesserungen noch so jungen Datums, daß ihr heilsamer Einfluß sich noch kaum hat fühlbar machen können. Viel länger und in viel größerem Maße haben wir die Gewässer als Steine des Anstoßes und Hindernisse des Verkehrs zu ertragen gehabt, ja wir müssen dies noch. Bis zur Vollendung der Brücken bei Dirschau und Marienburg war mindestens in jedem Herbste, ehe das Eis sich stellte, und im Frühling, wenn es aufging, der Traject über die Ströme für Per¬ sonen Tage lang, sür Waaren noch viel länger mit Lebensgefahr verknüpft oder ganz unmöglich. Oft genug aber führte eine Periode von Thauwetter mitten im Winter und das Hochwasser des Sommers noch ein drittes und viertes Mal im Jahr ähnliche Zustände herbei. Und an der Memel bestehen diese noch gegenwärtig, womöglich in noch höherem Grade, sodaß die Be¬ wohner des nördlichsten Zipfels unserer Provinz unberechenbar oft und un¬ berechenbar lange vom Verkehr mit dem übrigen Staate völlig abgeschnitten sind. Die Stadt Tapiau und ihre stark bevölkerte Umgegend hatte früher eine bequeme PostVerbindung mit Königsberg auf dem nördlichen Pregelufer. Diese ist seit Eröffnung der Ostbahn eingegangen. Aber die Bahn läuft auf dem südlichen Ufer, und zum Bau einer Brücke, die auf ganze 100,000 Thlr. veranschlagt ist, haben sich immer die Mittel noch nicht gefunden. So oft daher der Betrieb der Fähre durch Eis oder Hochwasser unterbrochen wird, mag Tapiau und Umgegend zusehen, wie es auf die Bahn kommt. Das also sind die materiellen Schwierigkeiten, mit denen Handel und Industrie Ostpreußens zu kämpfen gehabt haben und denen es wenigstens zum größten Theile zuzuschreiben ist, daß unsere Provinz noch bis auf den heutigen Tag eine so überwiegend ackerbauende geblieben ist. Und die Landwirthschaft selbst? Gewährt sie uns wenigstens einen Ersatz für das Darniederliegen anderer Erwerbszweige? Hat sie in ihrer Entwicklung gleichen Schritt gehalten mit den übrigen Provinzen? Auch auf diesem Gebiete ist unsere Lage von Haus aus ungünstiger. Viele edle Gewächse, die einen hohen Ertrag geben (Wein, Obst, Hopfen, Taback, Zucker¬ rüben) eignen sich des Klimas wegen zum Anbau im Großen nicht mehr. Andere, wie Klee und Oelfrucht, werden zwar noch gebaut, aber ihre Erträge sind unsicher. Unser Winter ist schon gegen Berlin um 3—4 Wochen, gegen den Mittelrhein wohl um 6—8 Wochen länger. Die Folge davon ist, daß der Landmann um soviel mehr Winterfutter für sein Vieh bereit halten muß, daß er um soviel mehr Arbeitskräfte an Menschen, Pferden oder Maschinen braucht, um während des kurzen Sommers die sich drängenden Arbeiten zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/416>, abgerufen am 25.08.2024.