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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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Der Vertrag vom 3, Mai 181S setzte in seinem Artikel 28 fest, daß zur
Beförderung des Kunstfleißes und der Wohlfahrt der Einwohner "für immer
die unbeschränkteste Circulation aller Natur- und Kunsterzeugnisse aller Pro¬
vinzen des vormaligen Polens (von 1772) in diesen nämlichen Provinzen"
erlaubt sei. Binnen 6 Monaten sollte ein Tarif der Ein- und Ausgangs¬
zolle für Natur- und Fabrikerzeugnisse festgesetzt werden und es sollten diese
Zölle "10°/o des Werthes der Waare am Orte der Versendung nicht über¬
steigen". Obgleich Kaiser Alexander für die Ausführung dieses Vertrages
noch besonders "sein kaiserliches Wort für sich und seine Nachfolger" ver¬
pfändete, kam es dazu doch nicht, weil die russische Regierung es bedenklich
fand, für die ehemals polnischen Landestheile besondere Zoll- und Handels¬
bestimmungen zu erlassen. Statt dessen bot sie Preußen einen allgemeinen,
das ganze russische Reich umfassenden Handelsvertrag an. welcher auf libe¬
ralen Grundsätzen beruhte und der preußischen Industrie günstig war. Nach
längeren Verhandlungen kam er 1818 zu Stande. Nußland verpflichtete sich
ausdrücklich, "für ewige Zeiten" die Sätze des Tarifs nicht ohne Genehmigung
Preußens abzuändern. Aber kaum war der Vertrag in Kraft getreten, als
ein Ukas erschien, der ihn ganz einseitig für aufgehoben erklärte und das
Schutzzollsystem einführte, welches die Einfuhr preußischer Fabrikate nach
Rußland fast unmöglich machte. Es ist genugsam bekannt, daß Rußland an
diesem unheilvollen Systeme bis zur Stunde festhält, trotz endloser Unter¬
handlungen und Vorstellungen Seitens der preußischen Regierung, trotzdem,
daß nach und nach alle europäischen -Staaten auf die Bahn des Freihandels
eingelenkt sind und die Erfahrung über die Vorzüge desselben längst ent¬
schieden hat.

Seitdem haben wir statt des Handels den Schmuggel. Dort mitten
in Deutschland, wo die inneren Zollschranken seit einem Menschenalter ge¬
fallen sind, wo auch gegen das Ausland vernünftige und natürliche Handels¬
beziehungen immer mehr Platz greifen -- dort weiß man wohl kaum mehr,
was der Schmuggel im Großen bedeutet. Wir hier an der Grenze wissen
es nur zu gut. Er bedeutet für die Unternehmer die Bestechung und den
Betrug statt des redlichen Erwerbes, das Hazardspiel an Stelleder gesunden
Speculation. Für die Werkzeuge bedeutet er die Gewöhnung an Gesetz¬
losigkeit, die Gleichgiltigkeit gegen Gewaltthat und Blutvergießen, den wilden
Wechsel zwischen Gefahr und Strapaze einerseits, Müßiggang und Völlerei
andererseits. Und zu diesen Werkzeugen gehören professionsmäßig viele,
gelegentlich die meisten Männer unserer Grenzdörfer -- mache man
sich hiernach ein Bild von dem verwitternden Einflüsse des Schmuggels auf
die Bevölkerung unserer Grenzkreise! Den wenigen aber, die er bereichert,
gedeiht der Gewinn meist ebenso schlecht, wie das große Loos aus der Lotterie.


Der Vertrag vom 3, Mai 181S setzte in seinem Artikel 28 fest, daß zur
Beförderung des Kunstfleißes und der Wohlfahrt der Einwohner „für immer
die unbeschränkteste Circulation aller Natur- und Kunsterzeugnisse aller Pro¬
vinzen des vormaligen Polens (von 1772) in diesen nämlichen Provinzen"
erlaubt sei. Binnen 6 Monaten sollte ein Tarif der Ein- und Ausgangs¬
zolle für Natur- und Fabrikerzeugnisse festgesetzt werden und es sollten diese
Zölle „10°/o des Werthes der Waare am Orte der Versendung nicht über¬
steigen". Obgleich Kaiser Alexander für die Ausführung dieses Vertrages
noch besonders „sein kaiserliches Wort für sich und seine Nachfolger" ver¬
pfändete, kam es dazu doch nicht, weil die russische Regierung es bedenklich
fand, für die ehemals polnischen Landestheile besondere Zoll- und Handels¬
bestimmungen zu erlassen. Statt dessen bot sie Preußen einen allgemeinen,
das ganze russische Reich umfassenden Handelsvertrag an. welcher auf libe¬
ralen Grundsätzen beruhte und der preußischen Industrie günstig war. Nach
längeren Verhandlungen kam er 1818 zu Stande. Nußland verpflichtete sich
ausdrücklich, „für ewige Zeiten" die Sätze des Tarifs nicht ohne Genehmigung
Preußens abzuändern. Aber kaum war der Vertrag in Kraft getreten, als
ein Ukas erschien, der ihn ganz einseitig für aufgehoben erklärte und das
Schutzzollsystem einführte, welches die Einfuhr preußischer Fabrikate nach
Rußland fast unmöglich machte. Es ist genugsam bekannt, daß Rußland an
diesem unheilvollen Systeme bis zur Stunde festhält, trotz endloser Unter¬
handlungen und Vorstellungen Seitens der preußischen Regierung, trotzdem,
daß nach und nach alle europäischen -Staaten auf die Bahn des Freihandels
eingelenkt sind und die Erfahrung über die Vorzüge desselben längst ent¬
schieden hat.

Seitdem haben wir statt des Handels den Schmuggel. Dort mitten
in Deutschland, wo die inneren Zollschranken seit einem Menschenalter ge¬
fallen sind, wo auch gegen das Ausland vernünftige und natürliche Handels¬
beziehungen immer mehr Platz greifen — dort weiß man wohl kaum mehr,
was der Schmuggel im Großen bedeutet. Wir hier an der Grenze wissen
es nur zu gut. Er bedeutet für die Unternehmer die Bestechung und den
Betrug statt des redlichen Erwerbes, das Hazardspiel an Stelleder gesunden
Speculation. Für die Werkzeuge bedeutet er die Gewöhnung an Gesetz¬
losigkeit, die Gleichgiltigkeit gegen Gewaltthat und Blutvergießen, den wilden
Wechsel zwischen Gefahr und Strapaze einerseits, Müßiggang und Völlerei
andererseits. Und zu diesen Werkzeugen gehören professionsmäßig viele,
gelegentlich die meisten Männer unserer Grenzdörfer — mache man
sich hiernach ein Bild von dem verwitternden Einflüsse des Schmuggels auf
die Bevölkerung unserer Grenzkreise! Den wenigen aber, die er bereichert,
gedeiht der Gewinn meist ebenso schlecht, wie das große Loos aus der Lotterie.


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[0412] Der Vertrag vom 3, Mai 181S setzte in seinem Artikel 28 fest, daß zur Beförderung des Kunstfleißes und der Wohlfahrt der Einwohner „für immer die unbeschränkteste Circulation aller Natur- und Kunsterzeugnisse aller Pro¬ vinzen des vormaligen Polens (von 1772) in diesen nämlichen Provinzen" erlaubt sei. Binnen 6 Monaten sollte ein Tarif der Ein- und Ausgangs¬ zolle für Natur- und Fabrikerzeugnisse festgesetzt werden und es sollten diese Zölle „10°/o des Werthes der Waare am Orte der Versendung nicht über¬ steigen". Obgleich Kaiser Alexander für die Ausführung dieses Vertrages noch besonders „sein kaiserliches Wort für sich und seine Nachfolger" ver¬ pfändete, kam es dazu doch nicht, weil die russische Regierung es bedenklich fand, für die ehemals polnischen Landestheile besondere Zoll- und Handels¬ bestimmungen zu erlassen. Statt dessen bot sie Preußen einen allgemeinen, das ganze russische Reich umfassenden Handelsvertrag an. welcher auf libe¬ ralen Grundsätzen beruhte und der preußischen Industrie günstig war. Nach längeren Verhandlungen kam er 1818 zu Stande. Nußland verpflichtete sich ausdrücklich, „für ewige Zeiten" die Sätze des Tarifs nicht ohne Genehmigung Preußens abzuändern. Aber kaum war der Vertrag in Kraft getreten, als ein Ukas erschien, der ihn ganz einseitig für aufgehoben erklärte und das Schutzzollsystem einführte, welches die Einfuhr preußischer Fabrikate nach Rußland fast unmöglich machte. Es ist genugsam bekannt, daß Rußland an diesem unheilvollen Systeme bis zur Stunde festhält, trotz endloser Unter¬ handlungen und Vorstellungen Seitens der preußischen Regierung, trotzdem, daß nach und nach alle europäischen -Staaten auf die Bahn des Freihandels eingelenkt sind und die Erfahrung über die Vorzüge desselben längst ent¬ schieden hat. Seitdem haben wir statt des Handels den Schmuggel. Dort mitten in Deutschland, wo die inneren Zollschranken seit einem Menschenalter ge¬ fallen sind, wo auch gegen das Ausland vernünftige und natürliche Handels¬ beziehungen immer mehr Platz greifen — dort weiß man wohl kaum mehr, was der Schmuggel im Großen bedeutet. Wir hier an der Grenze wissen es nur zu gut. Er bedeutet für die Unternehmer die Bestechung und den Betrug statt des redlichen Erwerbes, das Hazardspiel an Stelleder gesunden Speculation. Für die Werkzeuge bedeutet er die Gewöhnung an Gesetz¬ losigkeit, die Gleichgiltigkeit gegen Gewaltthat und Blutvergießen, den wilden Wechsel zwischen Gefahr und Strapaze einerseits, Müßiggang und Völlerei andererseits. Und zu diesen Werkzeugen gehören professionsmäßig viele, gelegentlich die meisten Männer unserer Grenzdörfer — mache man sich hiernach ein Bild von dem verwitternden Einflüsse des Schmuggels auf die Bevölkerung unserer Grenzkreise! Den wenigen aber, die er bereichert, gedeiht der Gewinn meist ebenso schlecht, wie das große Loos aus der Lotterie.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/412>, abgerufen am 22.07.2024.