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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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menhängenden Ganzen vereinigt; kaum hatten die neuen Landestheile Süd¬
preußen und Neuostpreußen von dort aus deutsche Beamte, deutsche Land¬
wirthe und Handwerker als Pionire deutscher Cultur empfangen -- da er¬
folgte der unglückliche Krieg von 1806--1807, in welchem die Provinz viele
Monate hindurch den Tummelplatz ungeheurer französischer und russischer
Heere bildete und furchtbar ausgesogen wurde. Im Tilsiter Frieden nahm
Nußland einen Theil jener ehemals polnischen Provinzen für sich, der andere
wurde als Herzogthum Warschau selbständig --- die dorthin eingewanderten
Preußen mußten fast sämmtlich unter großen Verlusten ihre Stellungen auf¬
geben. Die alte Provinz mußte den Abzug der Franzosen durch eine in
jenen Zeiten kaum zu erschwingende Kriegscontribution erkaufen. Noch heute,
nachdem zwei Geschlechter zu Grabe gegangen sind, haben die Nachkommen
an jener Kriegsschuld zu tilgen und zu zinsen: Königsberg noch 1,300,000,
Elbing noch ca. 800,000 Thaler! Die Stadt Königsberg war i. I. 1807 er¬
schöpft durch Einquartirungslasten und Requisitionen, schwer geschädigt in ihrem
Handel, da die Franzosen eine Menge von Waaren unter dem Vorwande, sie
seien englisches Eigenthum, mit Beschlag belegt hatten. Nun mußte sie noch
4 Millionen Francs in Waaren und von den der Provinz auferlegten 8 Mill.
in paar entrichten, für das übrige aber Vorschüsse gewähren, oder mit
ihrem Credit eintreten, "um sich nicht den schweren Vorwurf zuzuziehen, die
Räumung des Landes aufzuhalten", wie der König Friedrich Wilhelm III-
schrieb. Die Waaren wurden natürlich von den französischen Befehlshabern
nur mit Spottpreisen in Rechnung gebracht, und um baares Geld aufzutreiben,
mußte man unglaubliche Opfer bringen. Konnte doch der preußische Staat
damals unter keinerlei Bedingungen eine Anleihe zu Stande bringen! Bei
alledem wußte die Stadt noch Mittel zu finden, um in der Zeit der größten
Bedrängniß, als der König bis nach Memel geflüchtet war, unter den Augen
des Feindes den Staatsbehörden einen baaren Vorschuß von 41,000 Thlr.
zuzusenden. Der König drückte ihr seine ganze Zufriedenheit aus, stellte sie
allen andern großen Städten als Muster hin und nannte die Einwohner
"brave, patriotische Bürger, denen er dieses nie vergessen werde". Nach dem
ersten pariser Frieden wurde Königsberg zwar Aussicht gemacht, seine Kriegs¬
schäden durch französische Entschädigungsgelder erstattet zu sehen und es wur¬
den dieselben von der Regierung aus Höhe von 3,800,000 Thlr. anerkannt.
Allein diese Aussicht ist nie in Erfüllung gegangen. Nur der noch nicht ge¬
tilgte Rest der 8 Millionen-Anleihe wurde 1822 auf die Staatskasse über¬
nommen, 1°/" Millionen blieben der Stadt zur Last und alle Bitten und
Anträge, auch diese zur Staatsschuld zu erklären, sind bis auf die neueste
Zeit fruchtlos geblieben. Ebenso hat Elbing seine Kriegsschuld behalten,
während der Staat das Gebiet, welches diese Stadt früher eigenthümlich


menhängenden Ganzen vereinigt; kaum hatten die neuen Landestheile Süd¬
preußen und Neuostpreußen von dort aus deutsche Beamte, deutsche Land¬
wirthe und Handwerker als Pionire deutscher Cultur empfangen — da er¬
folgte der unglückliche Krieg von 1806—1807, in welchem die Provinz viele
Monate hindurch den Tummelplatz ungeheurer französischer und russischer
Heere bildete und furchtbar ausgesogen wurde. Im Tilsiter Frieden nahm
Nußland einen Theil jener ehemals polnischen Provinzen für sich, der andere
wurde als Herzogthum Warschau selbständig —- die dorthin eingewanderten
Preußen mußten fast sämmtlich unter großen Verlusten ihre Stellungen auf¬
geben. Die alte Provinz mußte den Abzug der Franzosen durch eine in
jenen Zeiten kaum zu erschwingende Kriegscontribution erkaufen. Noch heute,
nachdem zwei Geschlechter zu Grabe gegangen sind, haben die Nachkommen
an jener Kriegsschuld zu tilgen und zu zinsen: Königsberg noch 1,300,000,
Elbing noch ca. 800,000 Thaler! Die Stadt Königsberg war i. I. 1807 er¬
schöpft durch Einquartirungslasten und Requisitionen, schwer geschädigt in ihrem
Handel, da die Franzosen eine Menge von Waaren unter dem Vorwande, sie
seien englisches Eigenthum, mit Beschlag belegt hatten. Nun mußte sie noch
4 Millionen Francs in Waaren und von den der Provinz auferlegten 8 Mill.
in paar entrichten, für das übrige aber Vorschüsse gewähren, oder mit
ihrem Credit eintreten, „um sich nicht den schweren Vorwurf zuzuziehen, die
Räumung des Landes aufzuhalten", wie der König Friedrich Wilhelm III-
schrieb. Die Waaren wurden natürlich von den französischen Befehlshabern
nur mit Spottpreisen in Rechnung gebracht, und um baares Geld aufzutreiben,
mußte man unglaubliche Opfer bringen. Konnte doch der preußische Staat
damals unter keinerlei Bedingungen eine Anleihe zu Stande bringen! Bei
alledem wußte die Stadt noch Mittel zu finden, um in der Zeit der größten
Bedrängniß, als der König bis nach Memel geflüchtet war, unter den Augen
des Feindes den Staatsbehörden einen baaren Vorschuß von 41,000 Thlr.
zuzusenden. Der König drückte ihr seine ganze Zufriedenheit aus, stellte sie
allen andern großen Städten als Muster hin und nannte die Einwohner
„brave, patriotische Bürger, denen er dieses nie vergessen werde". Nach dem
ersten pariser Frieden wurde Königsberg zwar Aussicht gemacht, seine Kriegs¬
schäden durch französische Entschädigungsgelder erstattet zu sehen und es wur¬
den dieselben von der Regierung aus Höhe von 3,800,000 Thlr. anerkannt.
Allein diese Aussicht ist nie in Erfüllung gegangen. Nur der noch nicht ge¬
tilgte Rest der 8 Millionen-Anleihe wurde 1822 auf die Staatskasse über¬
nommen, 1°/» Millionen blieben der Stadt zur Last und alle Bitten und
Anträge, auch diese zur Staatsschuld zu erklären, sind bis auf die neueste
Zeit fruchtlos geblieben. Ebenso hat Elbing seine Kriegsschuld behalten,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/410>, abgerufen am 22.07.2024.