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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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diesmal leider zum Ausbruch gekommenen, wenngleich erfolglosen Pulver¬
verschwörung zu sehen. Kein Wunder, daß auch England die stolze Ruhe
verloren hat, die es sonst in den schwierigsten Lagen wenigstens äußerlich zu
zeigen liebte; es fühlt sich nicht ernstlich bedroht, aber wie mit Nadelstichen
gepeinigt, unbehaglich im eignen Hause, und widersteht nur schwer der Ver¬
suchung, auch seinerseits zu Gewaltmaßregeln zu greifen.

Mie groß die gegenseitige Erbitterung ist und wie offen sie ausgespro¬
chen wird, das zeigen zwei Preßprozesse, die vor wenigen Tagen vor dem
Gerichtshofe Queens Beiles zu London und dem Schwurgericht zu Dublin
verhandelt wurden.

Bekanntlich wurden vor kurzem zu Manchester drei Männer hingerichtet,
welche daselbst einen Angriff auf einen Wagen gemacht hatten, in dem einige
politische Verbrecher aus der Gerichtssitzung ins Gefängniß zurücktrcmsportirt
wurden; die drei hatten bei dieser Gelegenheit einen Constabler durch Revolver¬
schüsse getödtet. Es bedarf keiner Erwähnung, daß dieselben im gewöhnlichen
Gange des Strafverfahrens durch regelrechten Spruch der Geschwornen und
den Gesetzen gemäß zum Tode verurtheilt worden sind. Die dubliner Zeitung
"The Jrishman" aber widmete ihnen unter der Ueberschrift: Das Brand¬
opfer, folgenden Nachruf: "Taub gegen alle, auch die unheilverkündendsten
Warnungen, taub gegen die Beweisgründe der Gerechten und die Bitten
der Barmherzigen, hat heute die Regierung von England eine blutige
That vollbracht, die vor aller Welt e.inen finstern Schatten auf ihren
Namen werfen wird. Nichts kann deren Ausführung gegen alles Drän¬
gen der Staatsklugheit und der Menschlichkeit entschuldigen, außer der
Blindheit, mit welcher der Himmel dünkelhaften Stolz schlägt. Wolken von
Leidenschaft und Vorurtheil haben ihre Rathsversammlungen umzogen, dicht,
finster und schrecklich, wie nur die schwarze Nacht, die auf Egypten fiel, weil,
sprach der Herr, der Gott Israels, ihr mein Volk nicht wolltet ziehen lassen.
Unglückliches Volk! Glücklich allein im Schutze eines Herrschers, des Königs
der Könige, des Richters der Richter, des Rächers unterdrückter Unschuld,
der gewiß von allen Verbrechern Buße einfordern wird mit Zinsen bis auf
den letzten Pfennig. Unglückliches Volk! Sie wurden gepreßt zu bauen ohne
Steine, und Ziegel zu machen ohne Stroh, und wenn ihre Vögte die Zahl
nicht voll fanden, so siel die Geißel schonungslos auf ihre Rücken. Man
beraubte sie ihres Landes, und strafte sie, weil sie arm waren; man beraubte
sie der Freiheit und schmähte sie, weil sie Sclaven waren; man beraubte sie
ihrer Lehrer und schlug sie gleichmäßig, wenn sie lernten und wenn sie un¬
wissend waren. "Diese Zeiten," rufen sie aus, "sind vergangen und vorüber.
Wir haben längst gewünscht, euch milde und gut zu regieren." So sagen
sie, und wir fragen: seit wann ist denn dieser Umschwung erfolgt? Sollen


diesmal leider zum Ausbruch gekommenen, wenngleich erfolglosen Pulver¬
verschwörung zu sehen. Kein Wunder, daß auch England die stolze Ruhe
verloren hat, die es sonst in den schwierigsten Lagen wenigstens äußerlich zu
zeigen liebte; es fühlt sich nicht ernstlich bedroht, aber wie mit Nadelstichen
gepeinigt, unbehaglich im eignen Hause, und widersteht nur schwer der Ver¬
suchung, auch seinerseits zu Gewaltmaßregeln zu greifen.

Mie groß die gegenseitige Erbitterung ist und wie offen sie ausgespro¬
chen wird, das zeigen zwei Preßprozesse, die vor wenigen Tagen vor dem
Gerichtshofe Queens Beiles zu London und dem Schwurgericht zu Dublin
verhandelt wurden.

Bekanntlich wurden vor kurzem zu Manchester drei Männer hingerichtet,
welche daselbst einen Angriff auf einen Wagen gemacht hatten, in dem einige
politische Verbrecher aus der Gerichtssitzung ins Gefängniß zurücktrcmsportirt
wurden; die drei hatten bei dieser Gelegenheit einen Constabler durch Revolver¬
schüsse getödtet. Es bedarf keiner Erwähnung, daß dieselben im gewöhnlichen
Gange des Strafverfahrens durch regelrechten Spruch der Geschwornen und
den Gesetzen gemäß zum Tode verurtheilt worden sind. Die dubliner Zeitung
„The Jrishman" aber widmete ihnen unter der Ueberschrift: Das Brand¬
opfer, folgenden Nachruf: „Taub gegen alle, auch die unheilverkündendsten
Warnungen, taub gegen die Beweisgründe der Gerechten und die Bitten
der Barmherzigen, hat heute die Regierung von England eine blutige
That vollbracht, die vor aller Welt e.inen finstern Schatten auf ihren
Namen werfen wird. Nichts kann deren Ausführung gegen alles Drän¬
gen der Staatsklugheit und der Menschlichkeit entschuldigen, außer der
Blindheit, mit welcher der Himmel dünkelhaften Stolz schlägt. Wolken von
Leidenschaft und Vorurtheil haben ihre Rathsversammlungen umzogen, dicht,
finster und schrecklich, wie nur die schwarze Nacht, die auf Egypten fiel, weil,
sprach der Herr, der Gott Israels, ihr mein Volk nicht wolltet ziehen lassen.
Unglückliches Volk! Glücklich allein im Schutze eines Herrschers, des Königs
der Könige, des Richters der Richter, des Rächers unterdrückter Unschuld,
der gewiß von allen Verbrechern Buße einfordern wird mit Zinsen bis auf
den letzten Pfennig. Unglückliches Volk! Sie wurden gepreßt zu bauen ohne
Steine, und Ziegel zu machen ohne Stroh, und wenn ihre Vögte die Zahl
nicht voll fanden, so siel die Geißel schonungslos auf ihre Rücken. Man
beraubte sie ihres Landes, und strafte sie, weil sie arm waren; man beraubte
sie der Freiheit und schmähte sie, weil sie Sclaven waren; man beraubte sie
ihrer Lehrer und schlug sie gleichmäßig, wenn sie lernten und wenn sie un¬
wissend waren. „Diese Zeiten," rufen sie aus, „sind vergangen und vorüber.
Wir haben längst gewünscht, euch milde und gut zu regieren." So sagen
sie, und wir fragen: seit wann ist denn dieser Umschwung erfolgt? Sollen


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[0392] diesmal leider zum Ausbruch gekommenen, wenngleich erfolglosen Pulver¬ verschwörung zu sehen. Kein Wunder, daß auch England die stolze Ruhe verloren hat, die es sonst in den schwierigsten Lagen wenigstens äußerlich zu zeigen liebte; es fühlt sich nicht ernstlich bedroht, aber wie mit Nadelstichen gepeinigt, unbehaglich im eignen Hause, und widersteht nur schwer der Ver¬ suchung, auch seinerseits zu Gewaltmaßregeln zu greifen. Mie groß die gegenseitige Erbitterung ist und wie offen sie ausgespro¬ chen wird, das zeigen zwei Preßprozesse, die vor wenigen Tagen vor dem Gerichtshofe Queens Beiles zu London und dem Schwurgericht zu Dublin verhandelt wurden. Bekanntlich wurden vor kurzem zu Manchester drei Männer hingerichtet, welche daselbst einen Angriff auf einen Wagen gemacht hatten, in dem einige politische Verbrecher aus der Gerichtssitzung ins Gefängniß zurücktrcmsportirt wurden; die drei hatten bei dieser Gelegenheit einen Constabler durch Revolver¬ schüsse getödtet. Es bedarf keiner Erwähnung, daß dieselben im gewöhnlichen Gange des Strafverfahrens durch regelrechten Spruch der Geschwornen und den Gesetzen gemäß zum Tode verurtheilt worden sind. Die dubliner Zeitung „The Jrishman" aber widmete ihnen unter der Ueberschrift: Das Brand¬ opfer, folgenden Nachruf: „Taub gegen alle, auch die unheilverkündendsten Warnungen, taub gegen die Beweisgründe der Gerechten und die Bitten der Barmherzigen, hat heute die Regierung von England eine blutige That vollbracht, die vor aller Welt e.inen finstern Schatten auf ihren Namen werfen wird. Nichts kann deren Ausführung gegen alles Drän¬ gen der Staatsklugheit und der Menschlichkeit entschuldigen, außer der Blindheit, mit welcher der Himmel dünkelhaften Stolz schlägt. Wolken von Leidenschaft und Vorurtheil haben ihre Rathsversammlungen umzogen, dicht, finster und schrecklich, wie nur die schwarze Nacht, die auf Egypten fiel, weil, sprach der Herr, der Gott Israels, ihr mein Volk nicht wolltet ziehen lassen. Unglückliches Volk! Glücklich allein im Schutze eines Herrschers, des Königs der Könige, des Richters der Richter, des Rächers unterdrückter Unschuld, der gewiß von allen Verbrechern Buße einfordern wird mit Zinsen bis auf den letzten Pfennig. Unglückliches Volk! Sie wurden gepreßt zu bauen ohne Steine, und Ziegel zu machen ohne Stroh, und wenn ihre Vögte die Zahl nicht voll fanden, so siel die Geißel schonungslos auf ihre Rücken. Man beraubte sie ihres Landes, und strafte sie, weil sie arm waren; man beraubte sie der Freiheit und schmähte sie, weil sie Sclaven waren; man beraubte sie ihrer Lehrer und schlug sie gleichmäßig, wenn sie lernten und wenn sie un¬ wissend waren. „Diese Zeiten," rufen sie aus, „sind vergangen und vorüber. Wir haben längst gewünscht, euch milde und gut zu regieren." So sagen sie, und wir fragen: seit wann ist denn dieser Umschwung erfolgt? Sollen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/392>, abgerufen am 24.08.2024.