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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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alle Sorge weg, daß die Einmischung der Bundesgewalt nicht blos zum Nach,
theil der deutschen Beförderungsplätze, sondern auch zum Schaden der aus¬
wandernden Massen selbst ausschlagen möchte, dann erst hätte der Bund in
dieser Richtung seine Schuldigkeit so vollauf gethan, daß keine begründete
Forderung oder Klage übrig bliebe.

In Berlin ist aus Anlaß des "Leibnitz"-Falles die Idee der Begründung
eines Centralvereins für Auswandererangelegenheiten wieder zur Sprache ge¬
kommen. Die Lösung der vorliegenden Aufgabe kann augenscheinlich nicht
darauf warten, bis sich der projectirte Verein ihrer mit Kraft und Nachdruck
bemächtigt; damit ist aber nicht gesagt, daß ein solcher Verein nicht mannig¬
fache Vortheile bieten sollte, zumal hinsichtlich der künftigen Ziele des Aus¬
wandererstroms und der Erhaltung geistig-nationaler Beziehungen zu den
deutschen Colonien in andern Welttheilen. Nur müßte der Verein gegründet
und geleitet werden im Einklang, nicht im Widerspruch mit den praktisch
bewährten, an Erfahrung reichen hanseatischen Elementen.




Zwei englische Preßprozesse.

"Man wird sehen," sagt Macaulay in der Einleitung seiner berühmten
Geschichte von England, "wie Irland, belastet mit dem Fluche der Herrschaft
eines Volksstammes über den andern, einer Confession über die andere, frei¬
lich ein Glied des Reiches blieb, aber ein welkes und verrenktes, welches dem
Politischen Körper keine Kraft verleiht, und auf welches alle diejenigen mit
vorwurfsvollen Blicken zeigen, welche die Größe Englands fürchten oder
beneiden." Kürzer und drastischer hat vor ihm O'Connell denselben Gedan¬
ken in den oft citirten-Worten ausgedrückt: "Ihr habt uns verschlungen,
aber Ihr könnt uns nicht verdauen!" Beide ahnten wohl nicht, daß eine
Zeit so nahe sei, wo der unverdauliche Bissen, das verrenkte Glied dem
Körper empfindliche Schmerzen bereiten würde, daß der Racehaß sich bald zu
einer Höhe steigern würde, auf der er, wenigstens von Seiten des beherrsch¬
ten Volksstammes, vor keiner Gewaltthat, vor keinem Verbrechen mehr zurück¬
schreckt. Wohl galten schon früher einmal selbst nächtliche Brandstiftung
und Meuchelmord für erlaubte Vergeltungsmittel gegen wirkliche oder ver¬
meintliche Unterdrücker; unsern Tagen aber blieb es vorbehalten, Mordan¬
fälle am hellen Tage in belebten Straßen volkreicher Städte, bewaffnete
Angriffe gegen die Polizei- und Militärmacht des Staates, ja vor wenigen'
Wochen in der Hauptstadt des mächtigen Jnselreichs das Trauerspiel einer


alle Sorge weg, daß die Einmischung der Bundesgewalt nicht blos zum Nach,
theil der deutschen Beförderungsplätze, sondern auch zum Schaden der aus¬
wandernden Massen selbst ausschlagen möchte, dann erst hätte der Bund in
dieser Richtung seine Schuldigkeit so vollauf gethan, daß keine begründete
Forderung oder Klage übrig bliebe.

In Berlin ist aus Anlaß des „Leibnitz"-Falles die Idee der Begründung
eines Centralvereins für Auswandererangelegenheiten wieder zur Sprache ge¬
kommen. Die Lösung der vorliegenden Aufgabe kann augenscheinlich nicht
darauf warten, bis sich der projectirte Verein ihrer mit Kraft und Nachdruck
bemächtigt; damit ist aber nicht gesagt, daß ein solcher Verein nicht mannig¬
fache Vortheile bieten sollte, zumal hinsichtlich der künftigen Ziele des Aus¬
wandererstroms und der Erhaltung geistig-nationaler Beziehungen zu den
deutschen Colonien in andern Welttheilen. Nur müßte der Verein gegründet
und geleitet werden im Einklang, nicht im Widerspruch mit den praktisch
bewährten, an Erfahrung reichen hanseatischen Elementen.




Zwei englische Preßprozesse.

„Man wird sehen," sagt Macaulay in der Einleitung seiner berühmten
Geschichte von England, „wie Irland, belastet mit dem Fluche der Herrschaft
eines Volksstammes über den andern, einer Confession über die andere, frei¬
lich ein Glied des Reiches blieb, aber ein welkes und verrenktes, welches dem
Politischen Körper keine Kraft verleiht, und auf welches alle diejenigen mit
vorwurfsvollen Blicken zeigen, welche die Größe Englands fürchten oder
beneiden." Kürzer und drastischer hat vor ihm O'Connell denselben Gedan¬
ken in den oft citirten-Worten ausgedrückt: „Ihr habt uns verschlungen,
aber Ihr könnt uns nicht verdauen!" Beide ahnten wohl nicht, daß eine
Zeit so nahe sei, wo der unverdauliche Bissen, das verrenkte Glied dem
Körper empfindliche Schmerzen bereiten würde, daß der Racehaß sich bald zu
einer Höhe steigern würde, auf der er, wenigstens von Seiten des beherrsch¬
ten Volksstammes, vor keiner Gewaltthat, vor keinem Verbrechen mehr zurück¬
schreckt. Wohl galten schon früher einmal selbst nächtliche Brandstiftung
und Meuchelmord für erlaubte Vergeltungsmittel gegen wirkliche oder ver¬
meintliche Unterdrücker; unsern Tagen aber blieb es vorbehalten, Mordan¬
fälle am hellen Tage in belebten Straßen volkreicher Städte, bewaffnete
Angriffe gegen die Polizei- und Militärmacht des Staates, ja vor wenigen'
Wochen in der Hauptstadt des mächtigen Jnselreichs das Trauerspiel einer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/391>, abgerufen am 24.08.2024.