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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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einer Vermehrung der Mittel, welche zu bewirken beeinträchtigten Schiffs¬
reisenden zustehen gegen den Rheder oder Capitän Schadenersatzansprüche
durchzusetzen, und um die Vorschrift gesetzlich zu machen, daß jedes Schiffmit
mindestens fünfzig Passagieren einen Arzt an Bord zu haben gehalten sei.

Dieses Verlangen kommt nicht zum erstenmal an die Gesetzgebung der
Vereinigten Staaten. Im Jahr 1853 ist es schon erhoben worden, damals
von Seiten, der Gesellschaft der amerikanischen Aerzte. Der Congreß ordnete
eine Untersuchung an; sowohl die Frage, ob ärztliche Begleitung, wie die
verwandte Frage, ob eine Begleitung von Krankenwärtern vorzuschreiben
sei, wurde durch zahlreiche Zeugenverhöre geprüft, auf deren Grund man
zuletzt beschloß, alles beim alten zu lassen. Dieses negative Ergebniß gewinnt
an Gewicht, wenn man sich die Stellung der Vereinigten Staaten zu der
Angelegenheit vergegenwärtigt. Ihre Rhederei ist bei der europäischen Ein¬
wanderung nicht nennenswert!) betheiligt. Ihr einziges Interesse ist daher,
daß die Europamüden möglichst vollzählig und möglichst frisch und kräftig
nach Amerika gelangen; und ob die Maßregeln, welche sie aus diesem Ge¬
sichtspunkt ihrerseits treffen mögen, dieser oder jener Flagge, diesem oder
jenem Hafen Eintrag thun, kann ihnen ziemlich gleichgültig sein. Wenn sich
die Unionsgesetzgebung gegen eine zum Schutze der Auswanderer erdachte
Vorschrift erklärt, ist darum die Vermuthung, daß dieselbe entweder werthlos
oder geradezu schädlich sei, die nächstliegendste.

Es scheinen hauptsächlich die Gutachten anderer Aerzte gewesen zu sein,
welche den Congreß abgehalten haben, auf den Vorschlag der American Me-
dical Association einzugehen. Aerztliche Praktiker von specieller Vertrautheit
mit den Bedingungen der Gesundheitspflege und Heilkunst an Bord von
Schiffen, wie z. B. der Dr. Cartwright in Neworleans, der darüber ein
eigenes Buch herausgegeben hat, theilen nicht die Ansicht ihrer binnenländi¬
schen Collegen, daß ein Arzt an Bord viel gutes thun oder viel schlimmes
verhindern könne. Auf den ersten Blick erscheint es dem Laien allerdings
befremdlich, daß Hunderte von Menschen jedes Geschlechts und Alters, unter
denen Säuglinge und Wöchnerinnen niemals fehlen, wochenlang außerhalb
des Bereichs ärztlicher Hilfe sein sollen, und man versteht nicht, wie jemand
bei gesunden Sinnen behaupten kann, es komme in' diesem Falle auf eigent¬
liche ärztliche Hilfe so besonders viel nicht an. Allein bei näherer Betrach¬
tung und Ueberlegung gewahrt man wohl, daß verschiedene Umstände für
diese Behauptung sprechen. Machen wir uns mit denselben näher bekannt.
Eine Schiffsgesellschaft von Auswanderern besteht in der Regel aus gesunden
Individuen, da kranke oder entkräftete Personen sich nicht leicht entschließen,
einen fremden Welttheil aufzusuchen. Es handelt sich also durchschnittlich
nicht, wie sonst in einem gleich großen Haufen gemischter Bevölkerung, um


einer Vermehrung der Mittel, welche zu bewirken beeinträchtigten Schiffs¬
reisenden zustehen gegen den Rheder oder Capitän Schadenersatzansprüche
durchzusetzen, und um die Vorschrift gesetzlich zu machen, daß jedes Schiffmit
mindestens fünfzig Passagieren einen Arzt an Bord zu haben gehalten sei.

Dieses Verlangen kommt nicht zum erstenmal an die Gesetzgebung der
Vereinigten Staaten. Im Jahr 1853 ist es schon erhoben worden, damals
von Seiten, der Gesellschaft der amerikanischen Aerzte. Der Congreß ordnete
eine Untersuchung an; sowohl die Frage, ob ärztliche Begleitung, wie die
verwandte Frage, ob eine Begleitung von Krankenwärtern vorzuschreiben
sei, wurde durch zahlreiche Zeugenverhöre geprüft, auf deren Grund man
zuletzt beschloß, alles beim alten zu lassen. Dieses negative Ergebniß gewinnt
an Gewicht, wenn man sich die Stellung der Vereinigten Staaten zu der
Angelegenheit vergegenwärtigt. Ihre Rhederei ist bei der europäischen Ein¬
wanderung nicht nennenswert!) betheiligt. Ihr einziges Interesse ist daher,
daß die Europamüden möglichst vollzählig und möglichst frisch und kräftig
nach Amerika gelangen; und ob die Maßregeln, welche sie aus diesem Ge¬
sichtspunkt ihrerseits treffen mögen, dieser oder jener Flagge, diesem oder
jenem Hafen Eintrag thun, kann ihnen ziemlich gleichgültig sein. Wenn sich
die Unionsgesetzgebung gegen eine zum Schutze der Auswanderer erdachte
Vorschrift erklärt, ist darum die Vermuthung, daß dieselbe entweder werthlos
oder geradezu schädlich sei, die nächstliegendste.

Es scheinen hauptsächlich die Gutachten anderer Aerzte gewesen zu sein,
welche den Congreß abgehalten haben, auf den Vorschlag der American Me-
dical Association einzugehen. Aerztliche Praktiker von specieller Vertrautheit
mit den Bedingungen der Gesundheitspflege und Heilkunst an Bord von
Schiffen, wie z. B. der Dr. Cartwright in Neworleans, der darüber ein
eigenes Buch herausgegeben hat, theilen nicht die Ansicht ihrer binnenländi¬
schen Collegen, daß ein Arzt an Bord viel gutes thun oder viel schlimmes
verhindern könne. Auf den ersten Blick erscheint es dem Laien allerdings
befremdlich, daß Hunderte von Menschen jedes Geschlechts und Alters, unter
denen Säuglinge und Wöchnerinnen niemals fehlen, wochenlang außerhalb
des Bereichs ärztlicher Hilfe sein sollen, und man versteht nicht, wie jemand
bei gesunden Sinnen behaupten kann, es komme in' diesem Falle auf eigent¬
liche ärztliche Hilfe so besonders viel nicht an. Allein bei näherer Betrach¬
tung und Ueberlegung gewahrt man wohl, daß verschiedene Umstände für
diese Behauptung sprechen. Machen wir uns mit denselben näher bekannt.
Eine Schiffsgesellschaft von Auswanderern besteht in der Regel aus gesunden
Individuen, da kranke oder entkräftete Personen sich nicht leicht entschließen,
einen fremden Welttheil aufzusuchen. Es handelt sich also durchschnittlich
nicht, wie sonst in einem gleich großen Haufen gemischter Bevölkerung, um


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[0386] einer Vermehrung der Mittel, welche zu bewirken beeinträchtigten Schiffs¬ reisenden zustehen gegen den Rheder oder Capitän Schadenersatzansprüche durchzusetzen, und um die Vorschrift gesetzlich zu machen, daß jedes Schiffmit mindestens fünfzig Passagieren einen Arzt an Bord zu haben gehalten sei. Dieses Verlangen kommt nicht zum erstenmal an die Gesetzgebung der Vereinigten Staaten. Im Jahr 1853 ist es schon erhoben worden, damals von Seiten, der Gesellschaft der amerikanischen Aerzte. Der Congreß ordnete eine Untersuchung an; sowohl die Frage, ob ärztliche Begleitung, wie die verwandte Frage, ob eine Begleitung von Krankenwärtern vorzuschreiben sei, wurde durch zahlreiche Zeugenverhöre geprüft, auf deren Grund man zuletzt beschloß, alles beim alten zu lassen. Dieses negative Ergebniß gewinnt an Gewicht, wenn man sich die Stellung der Vereinigten Staaten zu der Angelegenheit vergegenwärtigt. Ihre Rhederei ist bei der europäischen Ein¬ wanderung nicht nennenswert!) betheiligt. Ihr einziges Interesse ist daher, daß die Europamüden möglichst vollzählig und möglichst frisch und kräftig nach Amerika gelangen; und ob die Maßregeln, welche sie aus diesem Ge¬ sichtspunkt ihrerseits treffen mögen, dieser oder jener Flagge, diesem oder jenem Hafen Eintrag thun, kann ihnen ziemlich gleichgültig sein. Wenn sich die Unionsgesetzgebung gegen eine zum Schutze der Auswanderer erdachte Vorschrift erklärt, ist darum die Vermuthung, daß dieselbe entweder werthlos oder geradezu schädlich sei, die nächstliegendste. Es scheinen hauptsächlich die Gutachten anderer Aerzte gewesen zu sein, welche den Congreß abgehalten haben, auf den Vorschlag der American Me- dical Association einzugehen. Aerztliche Praktiker von specieller Vertrautheit mit den Bedingungen der Gesundheitspflege und Heilkunst an Bord von Schiffen, wie z. B. der Dr. Cartwright in Neworleans, der darüber ein eigenes Buch herausgegeben hat, theilen nicht die Ansicht ihrer binnenländi¬ schen Collegen, daß ein Arzt an Bord viel gutes thun oder viel schlimmes verhindern könne. Auf den ersten Blick erscheint es dem Laien allerdings befremdlich, daß Hunderte von Menschen jedes Geschlechts und Alters, unter denen Säuglinge und Wöchnerinnen niemals fehlen, wochenlang außerhalb des Bereichs ärztlicher Hilfe sein sollen, und man versteht nicht, wie jemand bei gesunden Sinnen behaupten kann, es komme in' diesem Falle auf eigent¬ liche ärztliche Hilfe so besonders viel nicht an. Allein bei näherer Betrach¬ tung und Ueberlegung gewahrt man wohl, daß verschiedene Umstände für diese Behauptung sprechen. Machen wir uns mit denselben näher bekannt. Eine Schiffsgesellschaft von Auswanderern besteht in der Regel aus gesunden Individuen, da kranke oder entkräftete Personen sich nicht leicht entschließen, einen fremden Welttheil aufzusuchen. Es handelt sich also durchschnittlich nicht, wie sonst in einem gleich großen Haufen gemischter Bevölkerung, um

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/386>, abgerufen am 24.08.2024.