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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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haftet sei. Er war einer Verbindung mit Solchen verdächtig geworden, die durch
das frankfurter Attentat compromittirt waren. Und obgleich er selbst selten
an einer politischen Demonstration theilnahm und niemals Mitglied einer
politischen Gesellschaft war, so hatte er der Polizei doch Grund zu Miß-
trauen gegeben. Denn unter den Compromittirten waren Universitätsbekannte
von ihm und er galt dafür, ein treuer Nothhelfer zu sein. So kam es, daß
die Flüchtlinge bei ihm Unterschlupf und Rettung suchten, er selbst gestand
später ein, daß er nach und nach vier von ihnen mit düsteren Gedanken und
zum Aeußersten entschlossen durch die Grenzwächter über den Rhein nach Frank¬
reich geschafft habe. Man entließ ihn übrigens bald und er führte nach der
Vermählung in Schwetzingen 1833 als glücklicher Mann seine Anna in die kleine
Wohnung auf der Herrengasse zu Karlsruhe. Noch in den letzten Jahren
seines Lebens richtete er bei Spaziergängen mit seiner Frau gern die Schritte
nach dem Hause, wo sie in der Jugend den Haushalt begonnen hatten. Dann
sah er zu den Fenstern hinauf und sprach von alter Zeit.

Aber die jungen Gatten wurden bald aus ihrem Haushalt aufgescheucht;
"der Zeitgeist" war durch die Tücke des Censors vertilgt worden. Es waren
zuletzt der leeren Blätter mehr als des gedruckten Textes. Die Polizei be-
harrte im höchsten Mißtrauen gegen die zerstörenden Tendenzen des jungen
Schriftstellers, der Bundestag zwang die süddeutschen Regierungen zu Ver¬
folgungen, auch wo sie geneigt waren zu schonen. Mathy fühlte jetzt als
Hausvater doppelt tief das Unsichere seiner äußeren Lage und beschloß, nach
der Schweiz überzusiedeln.

Im Jahre 1836 ging er nach Viel voraus; seine Frau folgte mit dem
erstgeborenen Sohne, zunächst nach Bern. Auch in den Cantonen der Schweiz
lag alte und neue Zeit im erbitterten Kampf, und politische Flüchtlinge aus
fast allen Ländern Europas steigerten die Bewegung im Bunde mit den
liberalen Parteien der Schweiz, daneben in geheimen Gesellschaften, welche
die Absicht hatten, von der Schweiz aus das alte System der Großstaaten
zu bekämpfen. Es war eine bunt zusammengewürfelte Gesellschaft; neben
besonnenen und charaktervoller Männern gehaltlose Enthusiasten, scrupellose
Verschwörer, schlechte Abenteurer. Durch Gemeinderäthe von Viel war eine
Presse eingerichtet worden , auf Actien sollte ein neues Journal "I.a ^fumo
Luisse" in französischer und deutscher Sprache als Organ aller Liberalen
herausgegeben werden. Mathy wurde engagirt, die französischen Artikel ins
Deutsche zu übersetzen. Er that auch hier seine Pflicht und mehr als das;
er sorgte bald auch um die französischen Artikel des Blattes und hatte Mühe,
in den geschäftlichen Betrieb Regelmäßigkeit zu bringen. Aber es war doch
eine unordentliche Wirthschaft, welche dadurch noch unsicherer wurde, daß die
Großstaaten drohend von der Schweiz die Entfernung der Flüchtlinge ver-


haftet sei. Er war einer Verbindung mit Solchen verdächtig geworden, die durch
das frankfurter Attentat compromittirt waren. Und obgleich er selbst selten
an einer politischen Demonstration theilnahm und niemals Mitglied einer
politischen Gesellschaft war, so hatte er der Polizei doch Grund zu Miß-
trauen gegeben. Denn unter den Compromittirten waren Universitätsbekannte
von ihm und er galt dafür, ein treuer Nothhelfer zu sein. So kam es, daß
die Flüchtlinge bei ihm Unterschlupf und Rettung suchten, er selbst gestand
später ein, daß er nach und nach vier von ihnen mit düsteren Gedanken und
zum Aeußersten entschlossen durch die Grenzwächter über den Rhein nach Frank¬
reich geschafft habe. Man entließ ihn übrigens bald und er führte nach der
Vermählung in Schwetzingen 1833 als glücklicher Mann seine Anna in die kleine
Wohnung auf der Herrengasse zu Karlsruhe. Noch in den letzten Jahren
seines Lebens richtete er bei Spaziergängen mit seiner Frau gern die Schritte
nach dem Hause, wo sie in der Jugend den Haushalt begonnen hatten. Dann
sah er zu den Fenstern hinauf und sprach von alter Zeit.

Aber die jungen Gatten wurden bald aus ihrem Haushalt aufgescheucht;
„der Zeitgeist" war durch die Tücke des Censors vertilgt worden. Es waren
zuletzt der leeren Blätter mehr als des gedruckten Textes. Die Polizei be-
harrte im höchsten Mißtrauen gegen die zerstörenden Tendenzen des jungen
Schriftstellers, der Bundestag zwang die süddeutschen Regierungen zu Ver¬
folgungen, auch wo sie geneigt waren zu schonen. Mathy fühlte jetzt als
Hausvater doppelt tief das Unsichere seiner äußeren Lage und beschloß, nach
der Schweiz überzusiedeln.

Im Jahre 1836 ging er nach Viel voraus; seine Frau folgte mit dem
erstgeborenen Sohne, zunächst nach Bern. Auch in den Cantonen der Schweiz
lag alte und neue Zeit im erbitterten Kampf, und politische Flüchtlinge aus
fast allen Ländern Europas steigerten die Bewegung im Bunde mit den
liberalen Parteien der Schweiz, daneben in geheimen Gesellschaften, welche
die Absicht hatten, von der Schweiz aus das alte System der Großstaaten
zu bekämpfen. Es war eine bunt zusammengewürfelte Gesellschaft; neben
besonnenen und charaktervoller Männern gehaltlose Enthusiasten, scrupellose
Verschwörer, schlechte Abenteurer. Durch Gemeinderäthe von Viel war eine
Presse eingerichtet worden , auf Actien sollte ein neues Journal „I.a ^fumo
Luisse" in französischer und deutscher Sprache als Organ aller Liberalen
herausgegeben werden. Mathy wurde engagirt, die französischen Artikel ins
Deutsche zu übersetzen. Er that auch hier seine Pflicht und mehr als das;
er sorgte bald auch um die französischen Artikel des Blattes und hatte Mühe,
in den geschäftlichen Betrieb Regelmäßigkeit zu bringen. Aber es war doch
eine unordentliche Wirthschaft, welche dadurch noch unsicherer wurde, daß die
Großstaaten drohend von der Schweiz die Entfernung der Flüchtlinge ver-


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[0376] haftet sei. Er war einer Verbindung mit Solchen verdächtig geworden, die durch das frankfurter Attentat compromittirt waren. Und obgleich er selbst selten an einer politischen Demonstration theilnahm und niemals Mitglied einer politischen Gesellschaft war, so hatte er der Polizei doch Grund zu Miß- trauen gegeben. Denn unter den Compromittirten waren Universitätsbekannte von ihm und er galt dafür, ein treuer Nothhelfer zu sein. So kam es, daß die Flüchtlinge bei ihm Unterschlupf und Rettung suchten, er selbst gestand später ein, daß er nach und nach vier von ihnen mit düsteren Gedanken und zum Aeußersten entschlossen durch die Grenzwächter über den Rhein nach Frank¬ reich geschafft habe. Man entließ ihn übrigens bald und er führte nach der Vermählung in Schwetzingen 1833 als glücklicher Mann seine Anna in die kleine Wohnung auf der Herrengasse zu Karlsruhe. Noch in den letzten Jahren seines Lebens richtete er bei Spaziergängen mit seiner Frau gern die Schritte nach dem Hause, wo sie in der Jugend den Haushalt begonnen hatten. Dann sah er zu den Fenstern hinauf und sprach von alter Zeit. Aber die jungen Gatten wurden bald aus ihrem Haushalt aufgescheucht; „der Zeitgeist" war durch die Tücke des Censors vertilgt worden. Es waren zuletzt der leeren Blätter mehr als des gedruckten Textes. Die Polizei be- harrte im höchsten Mißtrauen gegen die zerstörenden Tendenzen des jungen Schriftstellers, der Bundestag zwang die süddeutschen Regierungen zu Ver¬ folgungen, auch wo sie geneigt waren zu schonen. Mathy fühlte jetzt als Hausvater doppelt tief das Unsichere seiner äußeren Lage und beschloß, nach der Schweiz überzusiedeln. Im Jahre 1836 ging er nach Viel voraus; seine Frau folgte mit dem erstgeborenen Sohne, zunächst nach Bern. Auch in den Cantonen der Schweiz lag alte und neue Zeit im erbitterten Kampf, und politische Flüchtlinge aus fast allen Ländern Europas steigerten die Bewegung im Bunde mit den liberalen Parteien der Schweiz, daneben in geheimen Gesellschaften, welche die Absicht hatten, von der Schweiz aus das alte System der Großstaaten zu bekämpfen. Es war eine bunt zusammengewürfelte Gesellschaft; neben besonnenen und charaktervoller Männern gehaltlose Enthusiasten, scrupellose Verschwörer, schlechte Abenteurer. Durch Gemeinderäthe von Viel war eine Presse eingerichtet worden , auf Actien sollte ein neues Journal „I.a ^fumo Luisse" in französischer und deutscher Sprache als Organ aller Liberalen herausgegeben werden. Mathy wurde engagirt, die französischen Artikel ins Deutsche zu übersetzen. Er that auch hier seine Pflicht und mehr als das; er sorgte bald auch um die französischen Artikel des Blattes und hatte Mühe, in den geschäftlichen Betrieb Regelmäßigkeit zu bringen. Aber es war doch eine unordentliche Wirthschaft, welche dadurch noch unsicherer wurde, daß die Großstaaten drohend von der Schweiz die Entfernung der Flüchtlinge ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/376>, abgerufen am 24.08.2024.