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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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walt der Wunsch, sich in die großen Kämpfe seiner Zeit zu werfen. Er
hatte sich Reisegeld gespart und ging nach Paris, um dort dem Philhellenen-
comit6 seine Dienste für den griechischen Befreiungskampf anzubieten.' In
Paris schrieb er an den Grafen Harcourt -- er hat das Concept des Brie¬
fes aufbewahrt -- bot sich und sein Leben der Freiheitssache an und ersuchte
um Beförderung nach Griechenland. Bei der Menge von Abenteurern, welche
sich damals zudrängten und der diplomatischen Wendung, welche die griechische
Angelegenheit bereits erhalten hatte, war natürlich, daß Graf Harcourt ihm
eine höfliche Ablehnung zugehen ließ- Aber so schnell war dieser feste Sinn
nicht von einem Vorsatz abzubringen; dreimal schrieb er und forderte, daß
man seinen ehrlichen Willen nicht zurückweise, bis es ihm gelang, den Herren
vom Comite Theilnahme für seine Person einzuflößen, so daß sie ihm durch
verständige Auseinandersetzung die Ueberzeugung beibrachten, für ihn sei
keine Gelegenheit mehr, den Griechen zu nützen. Da blieb er den Sommer in
Paris und gab wieder Unterricht.

Im Herbst rief ihn ein bittender Brief seiner Mutter zurück, welche
nicht verfehlte beizufügen, die Manheimer meinten, daß der gelehrte Student
aus Sorge vor der Staatsprüfung weggegangen sei.

Mathy kehrte zurück, den größten Theil des Weges zu Fuß, und kam
mit wunden Füßen in der Heimath an, als seine Studiengenossen schon zu den
Examenarbeiten versammelt waren. Er meldete sich nachträglich, wurde be¬
reitwillig angenommen, bestand die lange Prüfung, welche unter den Aspi¬
ranten für schwierig galt, als Bester und wurde "sehr gut befähigt" zu den
Ehren und Hoffnungen eines Cameralpraktikanten -- was etwa den Würden
eines preußischen Regierungsreferendars entspricht -- eingezeichnet.

Aber fast unmittelbar nach seiner Aufnahme in den Staatsdienst schlu¬
gen die Wellen der pariser Bewegung von 1830 über den Rhein; sie zer¬
wühlten überall den unsichern Staatsbäu der früheren Rheinbundstaaten,
aus ihnen erhob sich ein neues Geschlecht von Journalisten und Politikern.
Mathy gehörte zu denen, welche von ganzem Herzen Beruf und Neigung
fühlten, für die Erhebung der Nation aus der undeutschen Politik des Für¬
sten Metternich zu arbeiten.

Eine Darstellung unserer Parteien seit 1815 würde lehren, daß stets die
herrschende ihr Gegenbild herauftrieb, das bei entgegengesetzter Tendenz auch
die größte Aehnlichkeit mit der feindlichen Partei hatte, ebenso wie der
Halm so emporschießt, daß sich über einem Blatt das entgegenstehende
erhebt, und wie jede Farbe ihre Ergänzungsfarbe im Auge bildet. Die
Regierungen hatten nach Tilgung Napoleons über den Lebensinteressen ihrer
Völker eine Solidarität ihrer dynastischen Regierungsinteressen proclamirt,
die Opposition im Volke verlor genau in demselben Maße den nationalen


walt der Wunsch, sich in die großen Kämpfe seiner Zeit zu werfen. Er
hatte sich Reisegeld gespart und ging nach Paris, um dort dem Philhellenen-
comit6 seine Dienste für den griechischen Befreiungskampf anzubieten.' In
Paris schrieb er an den Grafen Harcourt — er hat das Concept des Brie¬
fes aufbewahrt — bot sich und sein Leben der Freiheitssache an und ersuchte
um Beförderung nach Griechenland. Bei der Menge von Abenteurern, welche
sich damals zudrängten und der diplomatischen Wendung, welche die griechische
Angelegenheit bereits erhalten hatte, war natürlich, daß Graf Harcourt ihm
eine höfliche Ablehnung zugehen ließ- Aber so schnell war dieser feste Sinn
nicht von einem Vorsatz abzubringen; dreimal schrieb er und forderte, daß
man seinen ehrlichen Willen nicht zurückweise, bis es ihm gelang, den Herren
vom Comite Theilnahme für seine Person einzuflößen, so daß sie ihm durch
verständige Auseinandersetzung die Ueberzeugung beibrachten, für ihn sei
keine Gelegenheit mehr, den Griechen zu nützen. Da blieb er den Sommer in
Paris und gab wieder Unterricht.

Im Herbst rief ihn ein bittender Brief seiner Mutter zurück, welche
nicht verfehlte beizufügen, die Manheimer meinten, daß der gelehrte Student
aus Sorge vor der Staatsprüfung weggegangen sei.

Mathy kehrte zurück, den größten Theil des Weges zu Fuß, und kam
mit wunden Füßen in der Heimath an, als seine Studiengenossen schon zu den
Examenarbeiten versammelt waren. Er meldete sich nachträglich, wurde be¬
reitwillig angenommen, bestand die lange Prüfung, welche unter den Aspi¬
ranten für schwierig galt, als Bester und wurde „sehr gut befähigt" zu den
Ehren und Hoffnungen eines Cameralpraktikanten — was etwa den Würden
eines preußischen Regierungsreferendars entspricht — eingezeichnet.

Aber fast unmittelbar nach seiner Aufnahme in den Staatsdienst schlu¬
gen die Wellen der pariser Bewegung von 1830 über den Rhein; sie zer¬
wühlten überall den unsichern Staatsbäu der früheren Rheinbundstaaten,
aus ihnen erhob sich ein neues Geschlecht von Journalisten und Politikern.
Mathy gehörte zu denen, welche von ganzem Herzen Beruf und Neigung
fühlten, für die Erhebung der Nation aus der undeutschen Politik des Für¬
sten Metternich zu arbeiten.

Eine Darstellung unserer Parteien seit 1815 würde lehren, daß stets die
herrschende ihr Gegenbild herauftrieb, das bei entgegengesetzter Tendenz auch
die größte Aehnlichkeit mit der feindlichen Partei hatte, ebenso wie der
Halm so emporschießt, daß sich über einem Blatt das entgegenstehende
erhebt, und wie jede Farbe ihre Ergänzungsfarbe im Auge bildet. Die
Regierungen hatten nach Tilgung Napoleons über den Lebensinteressen ihrer
Völker eine Solidarität ihrer dynastischen Regierungsinteressen proclamirt,
die Opposition im Volke verlor genau in demselben Maße den nationalen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/372>, abgerufen am 24.08.2024.