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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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so souveräner Freiheit in ihnen gewachsen ist, wie er. Möge man die Größe
dieser gesunden Natur auch aus der folgenden kurzen Darstellung seiner äußeren
Schicksale erkennen.

Schon das Leben seines Vaters wurde in ungewöhnlicher Weise von dem
geistigen Kampf der Aufklärungszeit ergriffen. Der Vater, Johann Arnold
Mathy, im Jahre 17S4 auf einem Dorfe bei Boppard von armen Eltern
geboren, in einer Jesuitenschule unterrichtet, studirte katholische Theologie.
Mühevoll arbeitete sich der kränkliche Knabe herauf, endlich wurde er Hof¬
meister in einem gräflichen Hause zu Heidelberg. Dort fielen die Strahlen
der Ausklärung warm in seine empfängliche Seele, er studirte in seinen Muße¬
stunden rastlos kantische Philosophie und Mathematik. Mit solcher Bildung
wurde er katholischer Weltgeistlicher und ein beliebter Kanzelredner Heidel¬
bergs. Streng, eifrig, mit dem stillen Gefühl philosophischer Ueberlegenheit
führte er auf der Kanzel und in anonymen Flugschriften seinen Kampf gegen
Möncherei und Jesuitismus. Als nach Aufhebung des Jesuitenordens in der
Pfalz die lateinischen Schulen mit Weltgeistlichen besetzt wurden, war er
einer der besten Lehrer zu Heidelberg. Aber sein Zwist mit der orthodoxen
Partei der alten Kirche hörte nicht auf. Der Kurfürst Karl Theodor wurde
bewogen, französische Lazaristen an Stelle der Jesuiten ins Land zu rufen und
die Unwissenheit und Sittenlosigkeit der meisten Mitglieder dieser halbmönchi¬
schen Kongregation rief einen mehrjährigen Widerstand der aufgeklärten Welt-
geistlichen des Landes hervor. Die persönlichen Chikanen und der verbissene
Haß der Gesellschaft zwangen endlich doch den Kantianer, seine Stellung auf¬
zugeben, er siedelte 1789 nach Manheim über, zog den Priesterrock aus,
wurde Protestant und errichtete 1800 eine Privaterziehungsanstalt, welche er
1807 bei Gründung des Lyceums von Manheim eingehen ließ, um als
Professor -- Latein und Mathematik -- an diesem zu wirken. Im Jahre
1806 heirathete der S2jährige Mann, das erste Kind war Karl Mathy.

Die Mutter war eine anspruchslose, einfache Frau, welche mit tiefer
Verehrung zu dem gelehrten Gatten aufsah. Wissen und Lehre des Vaters
waren mit vielen geheimen Wunden und Schmerzen bezahlt, sie waren sein
größtes Gut, sein Stolz, und Trost in unsichren Lagen. Der Vater zog den
Knaben mit eiserner Strenge, der kategorische Imperativ Kants, sein hohes
Pflichtgefühl wurde in die Seele des Sohnes gedrückt, im Unterricht die Lieb¬
lingswissenschaft des alten Herrn, die Mathematik, bevorzugt, auch der Haß
des Vaters gegen Gleißnerei, hohlen Schein und den Egoismus der Mäch¬
tigen ging auf den Knaben über, und eine deutsche Gesinnung, die durch
den Streit mit den fremden Lazaristen besonders lebendig geworden war.
Als Karl neun Jahr alt war, ließ sich der Vater wegen Kränklichkeit pensio-
niren, fuhr aber fort, bis zu feinem Tode im Jahr 1825 Privatunterricht zu


so souveräner Freiheit in ihnen gewachsen ist, wie er. Möge man die Größe
dieser gesunden Natur auch aus der folgenden kurzen Darstellung seiner äußeren
Schicksale erkennen.

Schon das Leben seines Vaters wurde in ungewöhnlicher Weise von dem
geistigen Kampf der Aufklärungszeit ergriffen. Der Vater, Johann Arnold
Mathy, im Jahre 17S4 auf einem Dorfe bei Boppard von armen Eltern
geboren, in einer Jesuitenschule unterrichtet, studirte katholische Theologie.
Mühevoll arbeitete sich der kränkliche Knabe herauf, endlich wurde er Hof¬
meister in einem gräflichen Hause zu Heidelberg. Dort fielen die Strahlen
der Ausklärung warm in seine empfängliche Seele, er studirte in seinen Muße¬
stunden rastlos kantische Philosophie und Mathematik. Mit solcher Bildung
wurde er katholischer Weltgeistlicher und ein beliebter Kanzelredner Heidel¬
bergs. Streng, eifrig, mit dem stillen Gefühl philosophischer Ueberlegenheit
führte er auf der Kanzel und in anonymen Flugschriften seinen Kampf gegen
Möncherei und Jesuitismus. Als nach Aufhebung des Jesuitenordens in der
Pfalz die lateinischen Schulen mit Weltgeistlichen besetzt wurden, war er
einer der besten Lehrer zu Heidelberg. Aber sein Zwist mit der orthodoxen
Partei der alten Kirche hörte nicht auf. Der Kurfürst Karl Theodor wurde
bewogen, französische Lazaristen an Stelle der Jesuiten ins Land zu rufen und
die Unwissenheit und Sittenlosigkeit der meisten Mitglieder dieser halbmönchi¬
schen Kongregation rief einen mehrjährigen Widerstand der aufgeklärten Welt-
geistlichen des Landes hervor. Die persönlichen Chikanen und der verbissene
Haß der Gesellschaft zwangen endlich doch den Kantianer, seine Stellung auf¬
zugeben, er siedelte 1789 nach Manheim über, zog den Priesterrock aus,
wurde Protestant und errichtete 1800 eine Privaterziehungsanstalt, welche er
1807 bei Gründung des Lyceums von Manheim eingehen ließ, um als
Professor — Latein und Mathematik — an diesem zu wirken. Im Jahre
1806 heirathete der S2jährige Mann, das erste Kind war Karl Mathy.

Die Mutter war eine anspruchslose, einfache Frau, welche mit tiefer
Verehrung zu dem gelehrten Gatten aufsah. Wissen und Lehre des Vaters
waren mit vielen geheimen Wunden und Schmerzen bezahlt, sie waren sein
größtes Gut, sein Stolz, und Trost in unsichren Lagen. Der Vater zog den
Knaben mit eiserner Strenge, der kategorische Imperativ Kants, sein hohes
Pflichtgefühl wurde in die Seele des Sohnes gedrückt, im Unterricht die Lieb¬
lingswissenschaft des alten Herrn, die Mathematik, bevorzugt, auch der Haß
des Vaters gegen Gleißnerei, hohlen Schein und den Egoismus der Mäch¬
tigen ging auf den Knaben über, und eine deutsche Gesinnung, die durch
den Streit mit den fremden Lazaristen besonders lebendig geworden war.
Als Karl neun Jahr alt war, ließ sich der Vater wegen Kränklichkeit pensio-
niren, fuhr aber fort, bis zu feinem Tode im Jahr 1825 Privatunterricht zu


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[0370] so souveräner Freiheit in ihnen gewachsen ist, wie er. Möge man die Größe dieser gesunden Natur auch aus der folgenden kurzen Darstellung seiner äußeren Schicksale erkennen. Schon das Leben seines Vaters wurde in ungewöhnlicher Weise von dem geistigen Kampf der Aufklärungszeit ergriffen. Der Vater, Johann Arnold Mathy, im Jahre 17S4 auf einem Dorfe bei Boppard von armen Eltern geboren, in einer Jesuitenschule unterrichtet, studirte katholische Theologie. Mühevoll arbeitete sich der kränkliche Knabe herauf, endlich wurde er Hof¬ meister in einem gräflichen Hause zu Heidelberg. Dort fielen die Strahlen der Ausklärung warm in seine empfängliche Seele, er studirte in seinen Muße¬ stunden rastlos kantische Philosophie und Mathematik. Mit solcher Bildung wurde er katholischer Weltgeistlicher und ein beliebter Kanzelredner Heidel¬ bergs. Streng, eifrig, mit dem stillen Gefühl philosophischer Ueberlegenheit führte er auf der Kanzel und in anonymen Flugschriften seinen Kampf gegen Möncherei und Jesuitismus. Als nach Aufhebung des Jesuitenordens in der Pfalz die lateinischen Schulen mit Weltgeistlichen besetzt wurden, war er einer der besten Lehrer zu Heidelberg. Aber sein Zwist mit der orthodoxen Partei der alten Kirche hörte nicht auf. Der Kurfürst Karl Theodor wurde bewogen, französische Lazaristen an Stelle der Jesuiten ins Land zu rufen und die Unwissenheit und Sittenlosigkeit der meisten Mitglieder dieser halbmönchi¬ schen Kongregation rief einen mehrjährigen Widerstand der aufgeklärten Welt- geistlichen des Landes hervor. Die persönlichen Chikanen und der verbissene Haß der Gesellschaft zwangen endlich doch den Kantianer, seine Stellung auf¬ zugeben, er siedelte 1789 nach Manheim über, zog den Priesterrock aus, wurde Protestant und errichtete 1800 eine Privaterziehungsanstalt, welche er 1807 bei Gründung des Lyceums von Manheim eingehen ließ, um als Professor — Latein und Mathematik — an diesem zu wirken. Im Jahre 1806 heirathete der S2jährige Mann, das erste Kind war Karl Mathy. Die Mutter war eine anspruchslose, einfache Frau, welche mit tiefer Verehrung zu dem gelehrten Gatten aufsah. Wissen und Lehre des Vaters waren mit vielen geheimen Wunden und Schmerzen bezahlt, sie waren sein größtes Gut, sein Stolz, und Trost in unsichren Lagen. Der Vater zog den Knaben mit eiserner Strenge, der kategorische Imperativ Kants, sein hohes Pflichtgefühl wurde in die Seele des Sohnes gedrückt, im Unterricht die Lieb¬ lingswissenschaft des alten Herrn, die Mathematik, bevorzugt, auch der Haß des Vaters gegen Gleißnerei, hohlen Schein und den Egoismus der Mäch¬ tigen ging auf den Knaben über, und eine deutsche Gesinnung, die durch den Streit mit den fremden Lazaristen besonders lebendig geworden war. Als Karl neun Jahr alt war, ließ sich der Vater wegen Kränklichkeit pensio- niren, fuhr aber fort, bis zu feinem Tode im Jahr 1825 Privatunterricht zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/370>, abgerufen am 24.08.2024.